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Maihold: Reformansätze auf Kuba versandet

Die Freilassung von ersten politischen Gefangenen auf Kuba sei keineswegs ein Hinweis, dass ein Reformprozess in Gang komme, meint der Lateinamerika-Experte Günther Maihold von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Herrschaft Raúl Castros ähnle der seines Bruders Fidel.

Günther Maihold im Gespräch mit Dirk Müller | 13.07.2010
    Dirk Müller: Ob Fidel Castro das alles weiß, oder hat er sogar dazu geraten? Die Ankündigung ist vom Mittwoch vergangener Woche. Die kubanische Staatsführung unter Fidels Bruder Raúl Castro gibt bekannt, 52 Regimegegner freizulassen, politische Gefangene, die seit Jahren inhaftiert sind und zum Teil bis zu 28 Jahren in den Gefängnissen der Zuckerinsel ausharren sollten. Zugleich hat sich jetzt der Maximo Leader selbst wieder im Fernsehen gezeigt.

    Kuba lässt also heute die ersten Gefangenen frei, ein Signal der Liberalisierung in dem sozialistisch-autokratischen Regime, das so viele Sympathisanten weltweit in den zurückliegenden Jahrzehnten verloren hat und noch immer die internationale Politik polarisiert? Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Lateinamerika-Experten Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Morgen!

    Günther Maihold: Guten Morgen!

    Müller: Herr Maihold, ist Fidel Castro über alles in seinem Land noch im Bilde?

    Maihold: Man hat den Eindruck, dass er durchaus konsultiert wird, und seine Rolle hat er natürlich immer auch verstanden, wie auch in dem Interview gestern Abend, als weltpolitischer Sachverständiger aufzutreten. Aber dieses Zusammentreffen der Freilassung und seine erneute Präsenz in der Öffentlichkeit ist sicherlich kein Zufall. Man will da Kontinuität und weitere Kontrolle des Systems durch ihn suggerieren.

    Müller: Das heißt, Liberalisierung in Zukunft, trotzdem weiter repressiv regieren?

    Maihold: Es gibt bisher keine Hinweise, dass wir in dieser Freilassung der Gefangenen einen Hinweis darauf erkennen könnten, nun beginne ein Reformprogramm, nun würde die überfällige Wirtschaftsreform in die Spur gebracht. Weithin ist es, glaube ich, eher nur ein Schadensbewältigungsprogramm. Man will nicht durch weitere Tote, etwa durch die im Hungerstreik befindlichen Sträflinge, in die Defensive geraten und hat deswegen den Kontakt zur katholischen Kirche gesucht, um dort eine Entspannung der Lage herbeizuführen.

    Müller: Aber warum, Herr Maihold, schert sich die Führung plötzlich um diese Argumente?

    Maihold: Ich glaube, der letzte Vorfall im Februar mit dem Tod – und wir hatten ja jetzt wieder einen Fall eines Gefangenen, der knapp an der Todesschwelle stand – hat dem Regime doch deutliche Einbußen in der Anerkennung international eingebracht, im eigenen Lager der Linken Lateinamerikas, aber auch darüber hinaus, und diesen Schaden wollte man nun in irgendeiner Weise versuchen, zu vermeiden, und hat deswegen für ein umfassendes Programm der Abschiebung von Gefangenen und ihrer Familien optiert – eine Option, die man auch schon in den 90er-Jahren gezogen hat, um dann ein Jahr darauf wieder in größerem Umfang Dissidenten gefangen zu nehmen und damit den Zyklus wieder neu zu beginnen.

    Müller: Ist im politischen Sinne Raúl Castro anders als Fidel Castro?

    Maihold: Das war die große Hoffnung, die allgemein damit verbunden war, weil natürlich Raúl als Chef des Militärs einer Organisation vorsteht, die sich durchaus als kapitalistischer Akteur durch Unternehmen im Tourismusbereich sehr engagiert hatte und einen Modernisierungspfad eingeschlagen hatte. Indes hat er sich massiv mit alten Genossen der Revolution umgeben und die anfänglichen Erwartungen, dass es zu einer Wirtschaftsreform komme, angesichts der Krise, die das Land nun seit geraumer Zeit schon durchlebt, enttäuscht. Vielmehr sind die Reformansätze versandet, es hat keinen zusätzlichen Auftrieb gegeben, und insofern ist das Projekt Raúl Castro nicht sehr viel anders zu bewerten als die jahrzehntelange Herrschaft von Fidel Castro.

    Müller: Findet denn Raúl Castro noch internationale Unterstützung?

    Maihold: Er hat Unterstützung, insbesondere durch Hugo Chávez. Das ist ganz essenziell für Kuba, weil natürlich die Energieversorgung des Landes von den Öllieferungen aus Venezuela abhängt. Und er hat natürlich sich auf den Zug gesetzt der Linken Lateinamerikas, die versucht hat, mit China, mit Iran, mit Russland extra-regionale Akteure wieder an Lateinamerika zu binden, und dort schwimmt Kuba mit, wenn auch nicht als zentraler Akteur, wenn auch nicht als der Spiritus Rector, aber es profitiert davon und kann so in begrenztem Umfang überleben. Die wirtschaftliche Lage ist aber weiterhin sehr prekär.

    Müller: Also der alte Partner Russland, respektive Sowjetunion, heute Russland, spielt immer noch eine wichtige Rolle?

    Maihold: Hat sich wieder neu in die Region hineinbegeben und hat Investitionen angekündigt. Das sind keine großen Investitionen, die das Land auf einen neuen Pfad bringen würden, aber zumindest die Situation der Wirtschaftskrise etwas lindern.

    Müller: Und China?

    Maihold: China hat die Unterstützung von Kuba in einer Fülle von Bereichen, etwa Ausstattung mit Uniformen für Schüler, für die Polizei, Investitionen im Rohstoffbereich, insbesondere in der Nickel-Industrie, wieder aufgenommen, aber setzt sehr darauf, dass dies nicht als eine systematische Unterstützung für den Kommunismus in der Region interpretiert wird und damit aus seinem Engagement in Kuba eine Krise oder eine Belastung des Verhältnisses zu den USA entstehen könnte.

    Müller: Gibt es, Herr Maihold, denn Kräfte, die Raúl Castro auffordern, mehr zu liberalisieren, zu demokratisieren?

    Maihold: Es gibt eine Bewegung innerhalb des Landes, die wird von Intellektuellen getragen, die wird aber auch aus Teilen der Partei offensichtlich getragen, hier einen Durchbruch in Richtung von Wirtschaftsreformen, in Richtung von Öffnung des Systems auf den Weg zu bringen. Allerdings steht nach wie vor jedes Jahr wieder der Parteikongress aus, der wird dann wieder verschoben mit dem Vorwand, es gebe eine angespannte Lage, die es nicht gestatte. Also es kommt nie zu dem entscheidenden Sprung innerhalb des Systems, nun eine Bestandsaufnahme zu machen und auf dieser Basis sich neu zu positionieren.

    Müller: Wir haben das in den vergangenen Jahren, in den vergangenen Monaten ja häufiger lesen können, auch in den europäischen Kommentaren und Analysen, dass Kuba wirtschaftlich am Ende ist, wirtschaftlich am Ende sei. Wenn das alles so weitergeht, ist Kuba offenbar wirtschaftlich noch nicht am Ende?

    Maihold: Es ist ja eine Ökonomie, die immer überlebt hat an der Grenze. Die Bevölkerung ist auf solch ein Krisenmanagement eingespielt. Es gibt dann immer wieder leichte Versuche, hier Chancen für privates Engagement, etwa durch die Verpachtung von Ländereien, zu eröffnen und damit sozusagen wieder etwas Luft durch privatwirtschaftliche Elemente in das System zu lassen, aber man kommt aus der Notwirtschaft nicht heraus, und dieses Problem wird sich auch ohne Änderung der Rahmenbedingungen nicht bewältigen lassen.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Lateinamerika-Experte Günther Maihold, stellvertretender Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Maihold: Danke Ihnen!