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Mal gefördert, mal verfolgt

Der Sound der Befreiung: In den Nachkriegsjahren war Jazz überall in Europa populär, im Osten genauso wie im Westen. Jazz, das war mehr als eine Musikrichtung, das war ein Versprechen von Freiheit und einem besseren Leben.

Von Andreas Beckmann | 16.08.2007
    Dieses Versprechen hallte noch lange nach, gerade in jenen Ländern, in denen sich bald eine kommunistische Diktatur etablierte. Für Gertrud Pickhan, Historikerin am Osteuropa-Institut der FU Berlin, ist Jazz eine zutiefst politische Musik:

    "Wir gehen davon aus, dass dem Jazz im Kontext des Staatssozialismus im sogenannten Ostblock tatsächlich eine politische Bedeutung zukam als Ausdruck von Freiheit, als Ausdruck von Individualität, Improvisation, amerikanischem Lebensstil, der mit dieser Musik sozusagen hinter den Eisernen Vorhang transferiert werden konnte."

    Die kommunistischen Kulturfunktionäre wussten lange nicht, was sie von dieser Mode halten sollten. Die einen schätzten den Jazz als künstlerischen Ausdruck des unterdrückten schwarzen Proletariats in den USA. Für andere war er Teil der 'Affenkultur des Imperialismus', wie es Walter Ulbricht ausdrückte. Bis in die 70er Jahre hinein wurden Jazz-Musiker in sozialistischen Ländern mal gefördert und mal verfolgt.

    "Ein wildes Pfeifen und Quietschen, ein Rasseln, Heulen und Brüllen wie das Geschrei eines metallenen Schweins oder das amoröse Krächzen eines monströsen Frosches. Das beleidigende Chaos des Irrsinns pulsiert zu einem pochenden Rhythmus. Lauscht man diesen Schreien ein paar Minuten, so stellt man sich unfreiwillig ein Orchester sexuell aufgepeitschter Irrer vor, dirigiert von einem Hengst-Mann, der ein riesiges Genitalorgan schwenkt."

    Dieses Zitat Maxim Gorkis tauchte Ende der 40er Jahre wieder in der kommunistischen Presse auf, als in allen Staaten des Ostblocks Kampagnen gegen den Jazz begannen. In der DDR etwa wurde das Radio Berlin Tanzorchester aufgelöst, das wesentlich zur Verbreitung des Jazz in Ostdeutschland beigetragen hatte. Die staatlichen Kultureinrichtungen sollten keine Bühne mehr bieten für amerikanische Einflüsse. Viele Musiker gingen in den Westen. Aber gleichzeitig formierte sich in fast allen Ländern des Ostblocks eine verschworene Szene von Jazz-Enthusiasten. Die zogen sich Tweedjacketts und Flanellhosen an, wenn sie sich heimlich zu illegalen Konzerten trafen, erzählt Gertrud Pickhan.

    "In Polen gilt diese Zeit als die Zeit des Katakomben-Jazz. Der Jazz geht in den Untergrund, das heißt, man spielte in privaten Kellern, man spielte in privaten Wohnungen, das wurde durch Flüsterpropaganda bekannt gemacht und hat eben doch so viele Menschen angezogen, dass in dieser Zeit einer sehr rigiden Kulturpolitik der Jazz überleben konnte in diesen Katakomben."

    Nach Stalins Tod setzte langsam Tauwetter ein. 1958 fand in Warschau ganz offiziell das erste Jazz Jamboree statt. Dieses Festival wurde seither jedes Jahr wiederholt und so zu einem Wallfahrtsort für Jazz-Fans aus ganz Osteuropa. Bald traten hier auch Künstler aus dem Westen auf.

    Der Star der frühen Jazz Jamborees war Krzysztof Komeda, ein junger Hals-Nasen-Ohrenarzt, der in den Jahren des Katakomben-Jazz in Krakau seine ersten Kompositionen geschrieben hatte. Nachdem er sich nicht mehr zu verstecken brauchte, fing Komeda an, Filmmusiken für einen Nachwuchs-Regisseur zu schreiben, für Roman Polanski. Als Polanski 1968 in Hollywood angekommen war, gab er bei Komeda den Soundtrack für "Rosemary's Baby" in Auftrag. Für dieses Werk erhielt Krzysztof Komeda eine Nominierung zum Golden Globe.

    In der DDR machte die Plattenfirma Amiga den Jazz populär mit Produktionen von Künstlern, die später auch jenseits der Republikgrenzen bekannt wurden, wie Manfred Krug oder Ernst-Ludwig Petrowsky. Gleichzeitig aber behielt das Ministerium für Staatssicherheit die Jazz-Szene stets weiterhin im Auge. Über einen Treffpunkt in Jena notierten die Spitzel:

    "Der Klub entstand durch Eigeninitiative von Jazzanhängern. Besucher sind zum Großteil dekadente Jugendliche und politisch negativ eingestellte Personenkreise. Es bestehen Querverbindungen zu oppositionellen Kräften."

    Ganz abwegig war der Argwohn der Kommunisten gegenüber Jazzmusikern und -fans nicht, meint Gertrud Pickhan. Denn tatsächlich hatte die Regierung der USA schon früh begonnen, den Jazz im Propagandakrieg gegen den Osten einzusetzen.

    "Das amerikanische State Department hat sehr bewusst und sehr gezielt Jazz-Musiker in den Ostblock geschickt, und diese amerikanischen Musiker, ob das Miles Davis war, ob das Brubeck war, ob das Gillespie war, alle großen Jazz-Musiker sind in Ost-, Ostmitteleuropa aufgetreten, und das war offizielle amerikanische Kulturpolitik."

    Geheime Umfragen der Amerikaner hatten ergeben, dass etwa die Jazz-Programme ihres Regierungssenders "Voice of America" täglich ein Millionenpublikum hinter dem Eisernen Vorhang erreichten und damit sehr viel erfolgreicher waren als alle Politiksendungen. Und Musiker wie Miles Davis berichteten, kaum einmal eine so große Begeisterung erlebt zu haben wie etwa auf dem Jazz Jamboree in Warschau. Dave Brubeck schrieb sogar ein speziellen Song "Thank you" für seine osteuropäischen Fans.

    In den 70er Jahren hatte dann Rockmusik vor allem beim jungen Publikum dem Jazz den Rang abgelaufen. Die Kommunisten hörten auf, ihn zu fürchten.

    "Der Jazz ist Bestandteil der sozialistischen Musikkultur in der DDR. Er trägt zur Entfaltung sozialistischer Lebensweise bei und kommt dem Anspruch der Werktätigen der DDR nach niveauvoller Unterhaltung und Geselligkeit sowie musikalischer Bildung entgegen."

    1986 hatte man nicht nur beim Kulturbund der DDR die subversive Kraft dieser Musik vergessen. Gertrud Pickhan will sie mit ihrem Forschungsprojekt jetzt wieder in Erinnerung rufen, denn sie ist überzeugt: Jazz-Musiker hatten ihren Anteil daran, dass der Freiheitswille in Osteuropa stets wach gehalten wurde.

    "Nach dem polnischen Selbstverständnis gesehen gehört der Jazz in Polen eben auch zur polnischen Widerstandstradition. Dass man noch nicht darüber geforscht hat ist für mich erklärungsbedürftig, aber das ist für uns jetzt die gute Gelegenheit, das nachzuholen."