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Mala, Misbaha und der Rosenkranz
Gebetsketten und Perlenschnüre in den Weltreligionen

Mal sind es Samenkapseln, mal kleine Steinchen, Perlen oder Knoten. Die Gebetsketten in Buddhismus, Islam und Christentum unterscheiden sich in Material und Anzahl der Elemente, haben jedoch manches gemeinsam.

Von Thomas Daun | 12.01.2016
    Irakische sunnitische Muslime mit Gebetsketten vor dem Freitagsgebet in der Umm Al-Qura Moschee in Bagdad,
    Irakische sunnitische Muslime mit Gebetsketten vor dem Freitagsgebet in der Umm Al-Qura Moschee in Bagdad, (picture-alliance/ dpa / dpaweb / epa Ali Haider)
    Mysterium und Magie - in den religiösen Vorstellungen zu Gebetsketten mischt sich vieles. In der schamanistischen Praxis von Naturvölkern etwa waren Perlenschnüre aus kleinen Knochen als Amulett beliebt. Die christlichen Mönche des Mittelalters zählten an den Perlen des Rosenkranzes ihre Gebete. Buddhisten streben mit Hilfe der "Mala" Versenkung in der Meditation an. Die islamischen Sufi-Derwische benutzen ihre Gebetsschnur, um den Namen Allahs zu preisen, etwa beim Gebetsritual des Zikr.
    "Die Gebetskette im Islam nennt man im Arabischen Misbaha; in nicht-arabischen Ländern wird sie eher Tesbih genannt, z.B. im türkischsprachigen Raum. Tesbih heißt die Lobpreisung. Also sich bewusst werden, dass Gott absolut frei ist von Mängeln, von Fehlern, und dass diese Eigenschaften nur Gott zukommen. Tesbih ist auch eine Form des Zikr, also des Gedenkens an Gott."
    Tausend oder mehr Perlen sind bei einer Tesbih-Kette der Sufi-Bruderschaften aufgereiht. Im Zikr-Ritual dauert die Anrufung Allahs Stunden; oft wird das Gebet um Gesang, Trommel und Tanz ergänzt. Die Betenden streben einen Zustand tranceartiger Ekstase an.
    Der Standardtyp der islamischen Gebetskette ist natürlich kürzer. Die heute übliche Tesbih besteht aus 99 Perlen, wie Religionswissenschaftler Ali Mete erläutert.
    "Eine alltäglich von den Muslimen benutzte Gebetskette, hat vier Bestandteile, das sind dreimal 33 Perlen an einer Schnur, ganz am Ende befindet sich dann noch ein im türkischen 'Imame' genanntes Element, was dann der 100. Teil ist. Drei mal 33."
    "Allah hat 99 Namen – wer sie aufzählt, geht ins Paradies" – soll ein Gefährte des Propheten Mohammed gesagt haben. Den hundertsten Namen kenne nur das Kamel, deshalb schaue es so spöttisch auf die Menschen herab, sagt ein Sprichwort aus Ägypten.
    99 verschiedene Namen in der richtigen Reihenfolge hintereinander aufzuzählen und gleichzeitig einen Zustand der Andacht und spirituellen Versenkung anzustreben – das ist fast unmöglich. Deshalb ist es in der religiösen Praxis des Islams üblich, sich auf drei Namen zu beschränken. Dabei beruft man sich auf einen Ausspruch Mohammeds.
    "Der Prophet sagte: Wenn jemand nach jedem Gebet 33 mal 'Subhan Allah' sagt, 'Subhan Allah' heißt gepriesen sei Allah, 33 mal 'Al-hamdu lilah', also Dank gilt Allah, und 33 mal 'Al-hamdu lilah', also Allah ist groß sagt, also 99 mal insgesamt, und zur Vollendung der hundert sagt: 'Es gibt keinen Gott außer Allah' – dann werden ihm die Sünden vergeben, selbst wenn diese sehr viel sind."
    Die Parallelen zwischen der islamischen Tesbih und den Gebetsketten des Fernen Ostens sind auffällig. "Mala" heißt die Perlenschnur im Sanskrit. Für Hindus symbolisieren die 108 Perlen die verschiedenen Namen Gottes.
    Auch im Buddhismus gilt die 108 als magische Zahl.
    "Im Zen ist das das Lotus-Sutra: 108 Bücher oder Belehrungen des Buddha. Es gibt die 108 Niederwerfungen. Als ich den koreanischen Zen praktiziert hab, war es zugleich eine Zählhilfe, weil wir mussten jeden Morgen 108 Verbeugungen machen und wir haben das dann durch diese Kette abgezählt."
    Der Kölner Werner Heidenreich ist seit über 20 Jahren praktizierender Buddhist. Eine Mala trägt er immer bei sich; meist hat er die Gebetskette ums Handgelenk gewickelt.
    Mit den Fingern ständig die Perlen zu berühren – das erinnert immer wieder an das Gebet oder Mantra und verhindert ein Abschweifen der Gedanken.
    "Es gibt ein schönes Gleichnis von einem indischen Lehrer. In Indien gibt es so Zeremonien. Und bei diesen Zeremonien werden Elefanten durch enge Straßen geführt und links und rechts sind Obststände und Gemüsestände. Und die Elefanten mit ihren langen Rüsseln, die sind natürlich dann immer doch natürlich schnell dabei, sich Gemüse und Obst zu stehlen. Das kann man gegen so 'nen Elefanten auch schlecht verhindern, so dass man sich überlegt hat: was können wir machen. Dann hat man den Elefanten einfach so ein kleines Stöckchen gegeben, was die so mit ihrem Rüssel hochhalten sollen. Da waren sie so beschäftigt, dass diese Verführungen rechts und links nicht mehr griffen. So ähnlich ist das hier. Wir fokussieren den Geist auf dieses Mantra und kommen dann nicht in so ein Grübeln und Gedanken-Kreisen sondern bleiben eigentlich in so einem Ruhemodus."
    Auch im Christentum war die Gebetskette früh bekannt: Der Eremit Paulus von Theben etwa murmelte jeden Tag 300 Mal den 51. Psalm, auch "Miserere" genannt. Um den Überblick zu behalten, hatte er ebenso viele Steinchen in der linken Tasche seiner Kutte. Nach jeder Psalm-Rezitation legte er eines davon in die rechte Tasche.
    "Die Wüstenväter waren ja bemüht, dieses immerwährende Gebet zu sprechen; nach Paulus: 'So betet ohn Unterlass!' Und haben sich dann auch diese Gebetsketten zugelegt. Und die waren noch keine Rosenkränze, sondern es war, was sie so kannten aus Ägypten oder Asien: Malas."
    Im sogenannten "Jesusgebet" oder "Herzensgebet" der orthodoxen Christen wird der Forderung des Apostel Paulus nach dem immerwährenden Gebet Genüge getan. In absoluter Stille soll der Gläubige dem Rhythmus seiner Atmung und des Herzschlags lauschen, dazu sein Gebet sprechen und in einen Zustand spiritueller Versenkung eintauchen.
    Im christlichen Abendland blieb der Gebrauch von Gebetsketten Jahrhunderte lang auf Einsiedler, Mönche und theologisch Gebildete beschränkt. Erst im späten Mittelalter wurde das Rosenkranzgebet zum wichtigen Bestandteil volkstümlicher Religiosität. Die Initiative ging von Dominikanermönchen aus, die eine einfache, aber prägnante Gebetsform in Umlauf brachten.
    Die blieb bis heute erhalten: Auf je zehn "Gegrüßet seist du Maria" folgt ein "Vater unser". Ein solcher Zyklus entspricht einem sogenannten "Mysterium" – einer Episode aus dem Leben Jesu, die sich der Gläubige während des Gebets vergegenwärtigen soll. Ein komplettes Rosenkranzgebet besteht aus fünfzehn dieser Mysterien, zusammengefasst in drei Gruppen zu jeweils fünf Mysterien: der freudenreiche, der schmerzhafte und der glorreiche Rosenkranz.
    "Das ist ein einfaches Gebet, das jede und jeder leicht lernen kann. Da brauche ich keine komplizierten Anleitungen. Man kann etwas in die Hand nehmen – das sagen ja auch die Psychologen, das gibt etwas Beruhigenden, das ist auch 'ne äußere Hilfe zur Sammlung zu kommen. Es ist von daher ein Gebet, das einfache Menschen verrichten können; das sagt nicht: 'Du musst' oder 'Du sollst' – es geht um ein Betrachten, ein Anschauen."
    Das Rosenkranzgebet wurde schnell beliebt, vor allem nachdem die Dominikaner im 15. und 16. Jahrhundert in vielen Städten sogenannte Rosenkranzbruderschaften gründeten, die allen Gläubigen offenstanden. Pater Johannes Bunnenberg ist Provinzial des Dominkanerordens in Köln.
    "Im Unterschied zu anderen Bruderschaften, die es in den Städten in den Jahrhunderten im ganzen Mittelalter gab: in diese Bruderschaft konnten auch die Armen eintreten. Die einzige Verpflichtung war, dass man im Laufe einer Woche die drei Rosenkränze, den freudenreichen, den schmerzhaften und den glorreichen Rosenkranz gebetet hat."
    Der Blumenkranz auf dem Kopf galt im Mittelalter als beliebtes Schmuckstück für Damen – besonders wenn er aus Rosen geflochten war. Wer es sich leisten konnte trug einen kunstvoll verzierten Rosenkranz aus teuren Edelsteinen, Silber oder Elfenbein.
    Der Glaube an die magische Wirkung des Rosenkranzes ist auch heute noch verbreitet: als Tattoo auf der Haut oder als Kettchen am Auto-Innenspiegel. Aber auch die Gebetsform hat Jahrhunderte überdauert.