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Malen mit Gehirnströmen

Neurotechnologie.- In Berlin fand nun die Tagung "Fortschritte in der Neurotechnologie" statt, bei der Forscher neueste Entwickelungen bei den Brain-Computer-Interfaces diskutierten - den Schnittstellen zwischen Gehirn und Computer.

Von Volkart Wildermuth | 13.07.2009
    Brainpainting. Nie gehört? Das ist Malen mit Gehirnströmen. In Berlin nutzte ein Künstler seine Hirnaktivität als modernen Pinsel und ließ so Gemälde auf einem Bildschirm entstehen. Über den künstlerischen Wert der Aktion lässt sich sicher streiten, das Beispiel zeigt aber, die Brain-Computer-Interfaces beginnen, die ersten Schritte außerhalb des Labors zu unternehmen. Entscheidend sind technische Fortschritte. So stellte die Firma Pico Imaging Technologies aus London und Berlin ein Stirnband vor, das Hirnströme auffangen kann. Der Clou: Erstmals müssen die Elektroden nicht über ein Kontaktgel leitend mit der Kopfhaut verbunden werden. Die Signale trockener Elektroden galten eigentlich als viel zu verrauscht. Yakob Badower und seine Kollegen konnten das Störrauschen aber mit einer ausgefuchsten Signalverarbeitung in den Griff bekommen.

    "Die ersten Tests haben gezeigt, dass es sehr wohl möglich ist und ungefähr 20 bis 30 Prozent Unterschied, Qualitätsunterschied, vorhanden ist, aber immer noch ausreichend, um Brain-Computer-Interface mit Trockenelektroden zu realisieren."

    Statt langwierig Kontaktgel aufzutragen, heißt es also nur noch: aufziehen und losmessen. Die ersten EEG-Stirnbänder für den Normalverbraucher sind Teil eines Entspannungstrainings fürs Gehirn, sozusagen die High-Tech-Variante des Yoga. Die Vereinfachung der Systeme ist aber auch entscheidend für ernstere Anwendungen. Die Gehirn-Computer-Schnittstellen sollen es einmal Gelähmten erlauben, intelligente Prothesen per Gedankenkraft zu steuern oder dem Computer aus dem Geist heraus einen Brief zu diktieren. Auch das kann nur gelingen, wenn die EEG-Verfahren alltagstauglich werden. Klaus-Robert Müller vom Bernstein-Fokus Berlin hat die Tagung mit organisiert. Er spürt eine Aufbruchsstimmung, und sieht eine Vielzahl neuer Möglichkeiten, für die Gehirn-Computer-Schnittstellen. Sie reichen von der intuitiven Steuerung von Computerspielen über Ermüdungs-Warnsysteme für den Autofahrer bis hin zu Schlaganfallrehabilitation.

    "Man könnte sehen, direkt messen auf individueller Basis, wie eine bestimmte Form der Rehabilitation anschlägt, welche Veränderungen im Gehirn da vorkommen, das wird man in Echtzeit direkt machen und könnte versuchen besser und schneller zu rehabilitieren. Das ist noch ein bisschen Zukunftsmusik, aber also diese Blickwinkel auf das Brain-Computer-Interface, der ist im Grunde etwas Neues, etwas sehr Spannendes, was auch viele Leute jetzt sehen in verschiedenen Zusammenhängen."

    Auch die bildgebenden Verfahren, die mit großen Scannern die Hirnaktivität sichtbar machen, werden immer effektiver. Mit genauen Messungen können die Forscher die Informationsverarbeitung im Gehirn eines Menschen kartieren. In einem zweiten Schritt können die technischen Gedankenleser dann anhand der Bilder aus dem Scanner auslesen, welches von mehreren 1000 Bildern dieser Mensch sieht oder an welchen von 1000 Begriffen er gerade denkt. Für das Erkennen fast beliebiger Gedankeninhalte müssen die Systeme an den individuellen Menschen angepasst werden. Für die Grundlagenforschung lohnt der Aufwand, für die kommerziellen Anwendungen wäre er zu groß. Bei einfacheren Fragen, kann man aber durchaus von einem Gehirn aufs andere schließen. Deshalb, so John-Dylan Haynes vom Bernstein-Zentrum Berlin,

    "funktionieren die praktischen Anwendungen, wie zum Beispiel das Erkennen von Lügen oder das Erkennen von Kaufabsichten sehr gut auch, wenn man gelernt hat, wie die Muster einer anderen Person aussehen. Das liegt daran, dass man da an einfachen Ja-Nein-Entscheidungen interessiert ist, kauft er das Produkt, ja oder nein, hat er bei dieser Aussage gelogen, ja oder nein."

    Ob die Verfahren den Praxistest bestehen, ist noch völlig offen. Eine Lüge im Labor ist etwas anderes als eine Lüge im Gerichtssaal. Und ob der ganze Aufwand des Neuromarketings per Hirnscanner lohnt, bezweifelt auch John-Dylan Haynes.

    "Was man zeigen müsste, und das ist bisher noch nicht gezeigt worden, ist, dass man damit mehr Informationen herausholen kann, als man aus einem einfachen Fragebogen bekommen könnte. Das heißt, wenn man die Person fragt, bekommt man in der Regel noch immer die beste Information."