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Mali
Ein Friedensvertrag, gestützt auf lose Hoffnungen

Seit mehr als einem Jahr spitzt sich die Sicherheitslage im Norden Malis immer weiter zu – tödliche Anschläge vor allem auf die UN-Friedensmission MINUSMA und die malische Armee gibt es fast täglich. Jetzt will die Regierung in Mali mit verschiedenen Gruppen von Tuareg-Rebellen einen Friedensvertrag unterschreiben. Dass damit wirklich Frieden einkehrt, darf bezweifelt werden.

Von Alexander Göbel | 20.06.2015
    Malische Soldaten patrollieren am 07.02.2013 auf einem Markt in Gao (Nord Mali).
    Der Norden Malis gilt als der gefährlichste Ort Westafrikas. (dpa / Seb Crozier)
    Mit seiner Karawane für den Frieden reist Ousmane Ag Rhissa derzeit unermüdlich durch Mali. Mit Begeisterung wirbt der frühere Umweltminister für den Friedensvertrag. Der soll bei einer feierlichen Zeremonie in Bamako unterzeichnet werden – von allen Konfliktparteien. Von der malischen Regierung, den republikanischen Milizen – und von den Tuareg-Separatisten. Die fordern bislang im Norden Malis einen eigenen Staat namens "Azawad".
    "Das ist ein Friedensvertrag, wie es ihn im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten in Afrika noch nicht gegeben hat. Bei der Vermittlung hat uns die internationale Gemeinschaft jederzeit unterstützt. Wir sind überzeugt: Dies ist ein guter Friedensvertrag für Mali."
    Malis Regierung will die Haftbefehle für Tuareg-Separatisten aufheben. Eine große Geste der Versöhnung: Denn der Tuareg-Aufstand von 2012, in dessen Folge sich islamistische Terroristen und Kriminelle im Norden breit machten, hätte Mali fast zusammenbrechen lassen. Monatelang haben sich die Unterhändler in Algier die Köpfe heiß geredet, alle bisherigen Entwürfe sind gescheitert. Jetzt aber wird es klappen, hofft Ousmane Ag Rhissa. Das Abkommen will dem Norden des Landes zwar keine Unabhängigkeit, aber mehr Autonomie geben. Die Rebellen verpflichten sich im Gegenzug, die Souveränität der Regierung von Präsident Keita anzuerkennen. Soweit die Theorie.
    "Ich denke, dass die Azawad-Separatisten den Appell des malischen Präsidenten gehört und verstanden haben. Der Präsident nennt sie seine Brüder, denn die Tuareg sind unsere Brüder. Sie sollten dem malischen Staat vertrauen – und auch ihm,dem Präsidenten."
    Bis zum Schluss stand der Friedensvertrag auf der Kippe. Erst in letzter Minute kündigte die regierungstreue Tuareg-Miliz namens "Gatia" an, die Stadt Menaka zu räumen und die Kontrolle in die Hände der UN-Mission MINUSMA zu legen. Das war eine Bedingung der Tuareg-Separatisten. Menaka gilt als strategisch wichtiges Drehkreuz zwischen dem Norden Malis und der Grenze zu Burkina Faso. Nach blutigen Kämpfen und vielen Toten hatte die Gatia die Stadt von den Separatisten erobert und besetzt. Der Weg scheint also frei für den Frieden – aber Moussa Traoré, der in Ségou gerade den Sonntagsreden bei der so genannten Karawane für den Frieden zuhört, ist skeptisch.
    "Nein, ich glaube nicht, dass diese Leute sich an ihre Versprechen halten werden, weder auf der einen, noch auf der anderen Seite. Warum stellen sie sich dermaßen quer? Sie wollen die Krise weiter am Kochen halten, um ihren Krieg weiterzuführen."
    Frankreich nimmt indirekt Einfluss auf seine ehemalige Kolonie
    Im Norden Malis stehen sich zwei Tuareg-Milizen und viele andere bewaffnete Gruppen gegenüber; dazwischendie noch immer schwache malische Armee, die UN-Friedenstruppe MINUSMA, die französischen Truppen – und im Schatten des Ganzen treiben Dschihadisten weiter ihr Unwesen: eine chaotische, gefährliche Situation. Symptomatisch für Malis Zustand, so Hannes Stegemann, Mali-Experte der Caritas.
    "Dass die Tuareg-Rebellen reklamieren, dass es einen geografischen Raum namens Azawad geben soll, der nur ihnen gehört – das ist natürlich eine Schimäre, das ist historisch nicht zu halten, und das wissen auch 80 Prozent der loyalen Tuareg. Und natürlich haben sich die Peul, die Songhay und andere Ethnien längst bewaffnet, um sich zur Wehr zu setzen."
    Für den Mali-Kenner Stegemann steht fest: Die republikanischen Tuareg und auch die anderen ethnischen Gruppen des Nordens, die sich von den Separatisten nicht vertreten fühlen, werden ihren Widerstand gegen einen unabhängigen Staat Azawad niemals aufgeben. Und damit stünden die Zeichen nicht auf Frieden. Es sei denn, es gebe einen Dialog der verschiedenen ethnischen Gruppen des Nordens – und eine flächendeckende Entwaffnung aller Milizen – vor allem der Azawad-Separatisten.
    "Dazu gehört natürlich auch, dass diese Tuareg-Miliz erst mal zurückgedrängt wird - politisch, aber auch militärisch. Und genau da haben wir ein Problem."
    Und dieses Problem heißt: Frankreich. Denn Malis ehemalige Kolonialmacht hat vor zwei Jahren zwar die Islamisten im Norden zurückgedrängt und wichtige Städte wie Gao und Timbuktu befreit. Gleichzeitig aber hat Frankreich die Tuareg-Separatisten gewähren lassen. Eine kleine, schwer bewaffnete Tuareg-Minderheit also darf mit Frankreichs Gnaden von Azawad träumen – bis heute.
    "Die Franzosen sagen natürlich: Das sind unsere Alliierten im Kampf gegen die Dschihadisten, gegen islamistische Terrororganisationen – das ist aber nur die halbe Wahrheit. Auf diese Art und Weise hat man den Tuareg-Rebellen eine gewisse Legitimität gegeben und dadurch zwei malische Armeen in einem Staat geschaffen – und das kann nicht gutgehen!"
    Malis Friedensbemühungen, so der Vorwurf, würden knallharten Interessen geopfert. Dadurch verschlechtere sich auch die Sicherheitslage in Mali dramatisch. Das gäben mittlerweile sogar frustrierte französische Offiziere zu.
    Fakt ist: Wie im Nachbarland Niger gibt es auch im Norden Malis Uran, außerdem Gold, Seltene Erden, Erdöl. Je näher die Tuareg-Rebellen ihrem Ziel kommen - einem unabhängigen Staat Azawad -, desto leichter dürfte es für Frankreich sein, später die Ressourcen zu kontrollieren.
    Ein Friedensvertrag, gar ein wirklich souveräner und stabiler malischer Staat, der würde dieser Strategie nur im Wege stehen.