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Malu Dreyer (SPD) zu Corona-Lockerungen
"Ziel ist, dass alle Schüler vor der Sommerpause nochmal in die Schule gehen"

Anfang Mai sollen die Schulen in Deutschland wieder öffnen können - zunächst für Abschlussklassen. In Rheinland-Pfalz sollen dann auch die Viertklässler wieder zur Schule gehen. Ob und wann weitere Stufen folgen, hänge vom Infektionsgeschehen ab, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) im Dlf.

Malu Dreyer im Gespräch mit Silvia Engels | 16.04.2020
Die SPD-Politikerin Malu Dreyer ist Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz
Die SPD-Politikerin Malu Dreyer ist Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz (picture alliance/ dpa/ Malte Ossowski / Sven Simon)
Bis zum vierten Mai bleibt es vorerst bei den geltenden Abstandsgeboten und Kontaktbeschränkungen. Bund und Länder haben aber in ihrer Videokonferenz gestern vorsichtige Lockerungen beschlossen : Geschäfte mit einer Verkaufsflächen bis 800 Quadratmeter dürfen grundsätzlich ab Montag wieder öffnen. Der Schulbetrieb soll ab dem 4. Mai zunächst für Abschlussklassen und Schülerinnen und Schüler vor einem Schulwechsel wieder aufgenommen werden. Prüfungen sind bereits vorher möglich. Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, hat angekündigt, dass in ihrem Bundesland schon ab dem 27. April Prüfungen möglich sind und dass ab dem 4. Mai auch die Grundschulen für die Viertklässler öffnen sollen.
Silvia Engels: Wie schwer war es denn gestern, eine einheitliche Linie unter den Ländern zu finden, wie man mit diesen Corona-bedingten Einschränkungen umgeht?
Dreyer: Persönlich, finde ich, war es gar nicht so furchtbar schwer. Man muss sich einfach mal vorstellen, dass wir unterschiedliche Situationen in unseren Bundesländern haben, dass jeder Länderchef und jede Chefin auch seine eigenen Experten hat. Die Bundesregierung bildet sich ihre eigene Meinung und es ist eigentlich nur logisch, dass man miteinander diskutiert. Ich finde, wir haben eine gemeinsame, sehr, sehr gute Linie gefunden und trotzdem genug Spielräume, dass im Rahmen des föderalen Handelns auch wirklich das möglich ist, was vielleicht auch die Situation jeweils im Bundesland dann auch erfordert.
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"Ich finde diese Schrittigkeit sehr gut"
Engels: Dann machen wir es konkret. Die Schulen sollen ab dem 4. Mai schrittweise wieder öffnen. Das war zunächst zu hören. Jetzt hört man doch wieder, möglicherweise gibt es da auch verschiedene Starttermine. Losgehen soll es auf jeden Fall mit den Abschlussklassen. Wie ist das konkret in Rheinland-Pfalz geplant?
Dreyer: Wir beginnen mit den Abschlussklassen. Wir beginnen mit den Prüflingen am 27.4. Alle die, die Prüfungen vor sich haben, sollen noch ein bisschen Unterricht haben können, Vorbereitung haben, und dann sowohl in der beruflichen Bildung ihren Abschluss machen können als auch das Abi, das restliche Abi bei uns. Wir haben G9 schon geschrieben.
Ab dem 4. Mai geht es dann los, prioritär mit den Abschlussklassen und allen qualifikationsrelevanten Jahrgängen, sowohl im allgemeinen als auch im berufsbildenden Schulbereich. Ich finde diese Schrittigkeit wirklich sehr gut und ich glaube auch, dass die Mehrheit der Bundesländer diese Schrittigkeit gehen werden. Natürlich muss man immer bedenken, Sommerferien starten ganz unterschiedlich in den Bundesländern, so dass Bayern zum Beispiel angekündigt hat, nicht am 4. Mai, sondern etwas später zu beginnen, aber das ist auch angemessen, bedenkt man einfach, dass die Rhythmen der Ferien sehr unterschiedlich sind in den Bundesländern.
"Schulen werden vorbereitet sein"
Engels: Sie wollen aber jetzt in Rheinland-Pfalz schon etwas früher als dem 4. Mai starten. Wie steht es denn da um Ihre Vorbereitungen in den Schulen, Stichwort Abstand halten, Mundschutz, kleinere Klassen? Funktioniert das alles?
Dreyer: Wenn wir am 27. 4. Beginnen mit denjenigen Schülerinnen und Schülern, die Prüfungen noch vor sich haben, ist das ohnehin nur noch eine kleine Gruppe in Rheinland-Pfalz. Insofern überhaupt gar kein Problem. Wir haben auch am Anfang, in der Anfangszeit der Corona-Krise das Abi schreiben lassen, um den Schülern keine Nachteile zukommen zu lassen. Das hat wirklich wunderbar funktioniert und ich halte das für den richtigen Weg, weil wir so den Schülern und Schülerinnen nicht diese Chancen verbauen, dass sie rechtzeitig ihre Prüfungen machen können.
Und man muss wirklich auch sagen: Die Kultusministerkonferenz ist seit zwei Wochen mindestens daran, einen Hygieneplan zu überlegen, wie kann die Umsetzung erfolgen. Da wird jetzt mit Hochdruck gearbeitet, so dass die Schulen, die dann Schritt für Schritt wieder regulär ans Netz gehen werden, ab dem 4. Mai dann auch entsprechend vorbereitet darauf sind.
Engels: Können Sie schon etwas dazu sagen, wie es mit den Grundschulen steht?
Dreyer: Da haben wir eine Öffnung in unserem gemeinsamen Text. Es heißt ja immer "können geöffnet werden". In Rheinland-Pfalz wird es so sein, dass wir die vierten Klasse Grundschule öffnen werden. Unser Gedanke ist, dass all die Schüler und Schülerinnen zunächst dran kommen sollen, die dann im nächsten Schuljahr auch einen echten Schritt zu machen haben. Das bedeutet, in der Grundschule wechselt man nach der 4. Klasse in Rheinland-Pfalz zu einer weiterführenden Schule, und das ist auch immer schon ein ganz schönes Päckchen für die Schüler und Schülerinnen. Insofern haben wir uns entschieden, dass ab 4. Mai dann auch die Grundschüler im vierten Schuljahr an den Start gehen sollen.
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"Notbetreuung soll offener gestaltet werden"
Engels: Und die anderen, noch jüngeren Schüler, oder die Schüler, die jetzt nicht vor einem Schulwechsel stehen, die müssen sich noch länger gedulden? Ist denn da absehbar, ob die überhaupt noch mal vor den Sommerferien tatsächlich regulär in die Schule gehen?
Dreyer: Die Kultusministerkonferenz hat ja den Auftrag, bis 29. April wirklich einen Stufenplan jetzt noch mal vorzulegen. Unser Ziel wäre es, wenn es irgendwie möglich ist, dass alle Schüler und Schülerinnen vor der Sommerpause auch nochmals in die Schule gehen können. Aber das wird natürlich abhängig sein vom Infektionsgeschehen. Wir müssen das betrachten, was passiert nach den Lockerungen, und müssen da auch sehr sorgsam mit umgehen.
Nichts desto trotz: Wir haben in Rheinland-Pfalz genauso wie Hamburg von Anfang an auch eine großzügige Notbetreuung sowohl in den Schulen als auch in den Kitas, und wir haben ja gemeinsam beschlossen gestern, dass die Notbetreuung gerade auch im Kindertagesstätten-Bereich noch offener gestaltet werden soll, dass Eltern, die doch jetzt schon immerhin vier Wochen sich arrangieren zuhause und Familie und Beruf zusammenhalten irgendwie, dass die die Möglichkeit haben sollen, wenn berufstätige Eltern da sind, dass sie die Kinder wirklich auch in die Notbetreuung dann bringen.
Engels: Da sind wir beim Stichwort Kitas. Sie sagen, die Notbetreuung soll erweitert werden. Aber das ist ja ein bisschen die Quadratur des Kreises, weil die Gruppen klein bleiben sollen. Wenn jetzt allerdings mehr Geschäfte öffnen, haben viel mehr Eltern ein akutes Betreuungsproblem mit kleinen Kindern. Wie kommen Sie dieser Quadratur des Kreises nach?
"Bislang haben die Eltern sich extrem zurückgehalten"
Dreyer: Bislang haben die Eltern sich extrem zurückgehalten bei der Inanspruchnahme der Notbetreuung und sind sehr, sehr verantwortungsvoll mit der Situation umgegangen. Das heißt, zwei bis drei Prozent haben bei uns diese Möglichkeit in Anspruch genommen. Wir gehen davon aus, dass wir es ohne Probleme hinbekommen, in kleinen Gruppen diese Notbetreuung anzubieten.
Wir haben im Grunde alle Kitas offen gehalten. Nur dort, wo wirklich gar kein Kind mehr aufgetaucht ist, nicht. So werden wir es auch in Zukunft versuchen zu halten und abzusprechen mit unseren Kommunen, dass die Gruppen wirklich klein bleiben, aber die Eltern auch bitten, wenn sie große Probleme haben, oder die Kinder auch einen besonderen Unterstützungsbedarf haben, dass sie wirklich ihre Kinder dann auch in die Notbetreuung schicken.
Engels: Und das gilt dann auch ab 4. Mai, dass das etwas liberaler gehandelt wird?
Dreyer: Ja. Das haben wir gestern so beschlossen, dass eigentlich in allen Bundesländern die Notbetreuung etwas offener gestaltet werden soll und wirklich auch nicht nur auf die sogenannten systemrelevanten Berufe bezogen wird. Wir haben das in Rheinland-Pfalz nie so gemacht, weil auch Eltern in anderen Berufen manchmal die Not haben, dass sie es einfach nicht vereinbaren können, zusätzlich die Kinder zuhause zu betreuen. Aber das soll jetzt eigentlich auch die Devise sein für alle Bundesländer, dass man wirklich den Eltern dieses Angebot auch macht, gerade weil wir zum Beispiel im Handel ja jetzt wieder stärker öffnen und mehr Eltern auch berufstätig sind.
"800 Quadratmeter - das ist der großflächige Einzelhandel"
Engels: Das Stichwort Handel nennen Sie gerade. Schauen wir genau in diesen Bereich. Die Geschäfte mit einer Verkaufsfläche von bis zu 800 Quadratmeter sollen wieder öffnen dürfen, kleinere Läden. Die Handelsverbände und auch der BDA fragen hier, warum diese Geschäfte und nicht die großen Kaufhäuser, die ja auch wirtschaftlich enorm unter Druck stehen.
Dreyer: Ja, das ist allen Beteiligten wirklich auch sehr klar. Das Thema Geschäfte war schon ein Thema, um das sehr stark gerungen worden ist. Da gab es auch liberalere Auffassungen, alle Geschäfte wieder aufmachen. Am Ende ist das ein gemeinsamer Kompromiss. Er ist letztlich davon geleitet, dass man sagt, wir sollten aufpassen, wie viele Gelegenheiten wir schaffen, dass viele Menschen zusammenkommen, dann zum Beispiel auch viel zu viele Leute auf einmal in die Stadt fahren, im ÖPNV unterwegs sind, um die große Ansteckungsgefahr einfach einigermaßen dann doch noch unter Kontrolle zu halten. Das war am Ende dann die Motivation, warum es zu einer solchen Kompromissformel gekommen ist. Ich finde, man kann ganz gut damit leben. 800 Quadratmeter, das ist eigentlich der großflächige Einzelhandel. Insofern werden auch viele Geschäfte davon positiv betroffen sein. Wir werden, denke ich, auch regional gute Lösungen finden, um Geschäften mit 800 Quadratmeter Verkaufsfläche die Möglichkeit zu geben, zu öffnen. Und natürlich: Wir werden uns in zwei, drei Wochen wieder treffen, und wenn die Lockerungen gut funktionieren, wird Schritt für Schritt auch ein weiterer Schritt gegangen.
Menschen stehen während der Corona-Krise vor einem Geschäft an
Bürgermeister: "Hoffe, dass jetzt nicht wieder Kreativität ausbricht"
Die Lockerungsbeschlüsse für Geschäfte werden für die Kommunen Kontrollaufwand bedeuten, fürchtet der Bürgermeister von Lübeck, Jan Lindenau (SPD). Er hofft darauf, dass es nicht zu allzu kreativen Auslegungen durch den Handel kommt.
Engels: Und was sagen Sie der verzweifelten Gastronomie, die geschlossen bleibt und die nun eine riesige Konkurswelle fürchtet?
Dreyer: Ja, die Gastronomie ist natürlich ein ganz, ganz schwieriges Thema, genauso wie die Reisebranche oder das Veranstaltungsmanagement. Das sind einfach Branchen, die sind ganz besonders hart jetzt von der Krise betroffen. Ich kann da einfach nur um Verständnis bitten. Wir haben große Hilfspakete geschnürt, gerade für die Branchen, die besonders betroffen sind, Bund und Länder, und tatsächlich ist es so, dass wir durch die große Zurückhaltung und dieses verantwortungsvolle Handeln aller Beteiligten es ja geschafft haben, dass wir jetzt die Infektionsgeschwindigkeit gebremst haben. Aber wir sind ja lange noch nicht über dem Berg und man sieht es, finde ich, ganz gut an der Zahl. Im März hat ein Erkrankter vier bis fünf Menschen angesteckt; jetzt ist es so, dass ein Erkrankter einen Mensch ansteckt, aber viel mehr dürfen es auch nicht werden, weil ansonsten die Situation sich wieder exponentiell steigert und wir am Ende alle Verlierer sind. Insofern müssen wir dafür sorgen, dass die, die hart betroffen sind, durch die Hilfspakete auch gestützt werden und unterstützt werden, aber insgesamt brauchen wir weiterhin viel Geduld, viel Disziplin, damit das Virus am Ende uns nicht im Griff hat, sondern wir es kontrollieren können und Stück für Stück auch wieder ein normaleres Leben beginnt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.