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„Man Alive!“ von King Krule
Wie ein Punk, der den Blues hat

Depression, Angst, Drogen: Diese Themen beschäftigen Archy Marshall alias King Krule seit seinem Debüt. Inzwischen ist der Südlondoner jedoch zum ersten Mal Vater geworden und aufs Land gezogen. Das wirkt sich auch auf sein neues Album „Man Alive!“ aus. Eine gewisse Schwermut ist geblieben.

Von Juliane Reil | 15.02.2020
King Krule alias Archy Ivan Marshall
King Krule alias Archy Ivan Marshall (Deutschlandradio / Christian Lehner)
"Man Alive! Ausrufezeichnen! Der Titel von Album Nummer vier sei ein Ausruf, ein Schrei: "Hier ist ein Überlebender!" Dabei lässt Archy Marshall alias King Krule im Interview offen, ob es sich bei dem Mann um ihn selbst handelt. Der 25-Jährige litt unter einer schweren Depression. Wie sich so eine Erkrankung anfühlt, thematisiert der Song "(Don’t let the Dragon) Draag On".
"Du bist nicht allein"
"How did you get so low, that’s what their illness spoke." – "Wie konntest Du so tief sinken?", flüsterte ihnen die Krankheit ein, croont King Krule. Im dazu veröffentlichten Video steht er gefesselt auf einem brennenden Scheiterhaufen. Möglicherweise ein Bild für die Qualen und die Isolation, die depressive Menschen erleiden. In den Worten von King Krule schwingt Empathie mit – und Trost. "Du bist nicht allein", heißt es an anderer Stelle. Hoffnung schimmert auf. Das mag auch daran liegen, dass King Krule letztes Jahr zum ersten Mal Vater wurde. Natürlich hätte ihn das verändert, wie er sagt. Von der City zog er aufs Land. Hatte das auch eine Wirkung darauf, wie er Musik macht?
"Nicht wirklich. Ich fühle keinen großen Unterschied zu den letzten drei, vier, fünf Jahren. Ich habe mich einfach nur verbessert. Auf ganz unterschiedliche Weisen."
Die da wären?
"Ich sehe die Dinge klarer. Meine Einstellung hat sich geändert. Ich fühle mich sehr klar und viel stärker als früher. Ich fühle mich einfach besser."
Manchmal handeln seine Texte auch einfach nur von Alltagsbetrachtungen, für die der Musiker eindrückliche Bilder schafft. Dann ist etwa von einem Massaker in Übersee die Rede, das der Erzähler des Songs in seiner Handfläche sieht - und meint damit auf dem Display seines Handys.
Hingetupfte Gitarrenakkorde
Der Klang von King Krule ist wie auf den Vorgängeralben eklektisch. Hip-Hop-Einflüsse, Dub-Hall, einzelne hingetupfte Gitarrenakkorde, die entfernt nach Jazz klingen, ein bisschen Elektronik, Samples von Gesprächsfetzen. Nach wie vor baut Krule alles um einen Beat, der auf einem Loop basiert. Nichts Krudes, sondern klassische Groovebeats, die man aus der Popmusik kennt. Die einzelnen Instrumente werden zum größten Teil quasi perkussiv um diese Beats platziert. Das Saxophon beispielweise wird wie der Bass und die Gitarre vor allem als Sound eingesetzt.
"Ich hatte schon immer eine Schwäche für mehrschichtige Klanggewebe. Dafür, mit verschiedenen Instrumenten und unterschiedlichen Sounds eine Klanglandschaft zu erschaffen. Manchmal übertreibe ich es vermutlich auch."
Die Lastz der Welt ausgekotzt
Harmonisch passiert dagegen wenig. Selten gibt es mehr als eine Melodiestimme. Auf diese Weise entsteht nur eine scheinbare Spannung, wie mit Stopptaste festgehalten: Sie wird weder gesteigert noch entlädt sie sich. Auf Albumlänge wirkt das etwas monoton. Was seiner Musik an Ausdruck fehlt, fängt jedoch sein unverwechselbarer Bariton - der mal rau, mal weich klingen kann – wieder auf. Krule faucht, bellt, schreit, spricht, singt, flüstert, heult, klingt erstickt. Dieser jungenhafte Rotschopf mit dem schmalen, blassen Gesicht wirkt mitunter wie ein Punk, der in den frühen Morgenstunden den Blues hat und sich die Last der Welt aus der Seele kotzt.
Neben den gelegentlichen Ausbrüchen hat die Musik gleichzeitig eine Coolness, die in einer englischen Tradition steht. Wenn Krule in den Sprechgesang geht, fühlt man sich an Sleaford Mods oder The Streets erinnert. Drums und Gitarre könnten auch von einer rückwärts abgespielten Blur-Platte stammen. Während die Songs auf seinem Debüt vor sieben Jahren noch eingängig waren, setzt der Brite seitdem immer stärker auf Ecken und Kanten. Diese Eigenwilligkeit spricht für ihn, genauso wie der Mut schwierige Themen wie Depression anzusprechen. Darauf ruht sich King Krule jedoch nicht aus. Wie würde er das Album "Man Alive!" zusammenfassen?
"Abgeschlossen. Jetzt will ich das nächste Album angehen."