Donnerstag, 25. April 2024

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"Man darf die Menschen auf den Weg dahin nicht überfordern"

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) will die Finanzierung der Krankenversicherung schrittweise auf einkommensunabhängige Prämien umstellen. Trotz der Kritik des CSU-Chefs Horst Seehofer an der Prämie, erwartet Rösler, dass alle Regierungsparteien die Umstellung mittragen.

Philipp Rösler im Gespräch mit Gerhard Schröder | 29.11.2009
    Gerhard Schröder: Herr Rösler, Sie waren sieben Monate Wirtschaftsminister in Niedersachsen, sind jetzt Bundesgesundheitsminister und mit 36 Jahren, das kann man vielleicht so sagen, so etwas wie der Jungstar im Kabinett.

    Sie übernehmen ein Ministerium, das zuvor fast neun Jahre von einer Sozialdemokratin geführt wurde, davor zwei Jahre von einer Grünen-Ministerin, aber noch nie von einem Freidemokraten. Jetzt nach einem Monat: Haben Sie da schon einen Eindruck, fühlen Sie sich da heimisch, fühlen Sie sich zu Hause, werden Sie mit offenen Armen empfangen, oder merken Sie, dass es da doch auch Vorbehalte gibt?

    Philipp Rösler: Nein, ich fühle mich sogar sehr wohl und sehr gut hier in dem Ministerium, das will ich ausdrücklich festhalten. Ich glaube, die jeweilige Hausführung war immer eine andere Parteirichtung, das haben Sie eben zu recht beschrieben. Aber unabhängig davon bin ich fest davon überzeugt, dass es ihn gibt oder sie gibt: Den treuen loyalen Beamten. Das ist das, was wir einfordern - jeweils den jeweiligen politischen Führungen entsprechend auch Treue und Loyalität zu zeigen.

    Im Gegenzug versprechen wir ein Führungskultur, so wie man es gewohnt ist in der öffentlichen Verwaltung und natürlich eine entsprechende Fürsorgepflicht. So bin ich an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Hauses herangetreten und habe wirklich das Gefühl, dass das Arbeitsklima nicht nur so gut ist, sondern alle Menschen motiviert sind, die Herausforderungen auch anzunehmen, vor denen wir uns jetzt alle gestellt sehen.

    Schröder: Sie haben ja nicht ganz unbescheiden angekündigt, das Gesundheitssystem grundlegend umbauen zu wollen. Da laufen Sie ja vermutlich nicht nur offene Türen ein?

    Rösler: Das ist ja auch nicht eine Frage, die wir machen müssen, weil ich sie mir wünsche oder weil ich das angekündigt habe, sondern weil klar ist, dass wir aufgrund der demografischen Entwicklung und des medizinisch-technischen Fortschrittes nicht einfach so weitermachen können wie bisher, jedenfalls dann nicht, wenn wir die hochwertige Qualität, die wir heute in unserem Gesundheitssystem haben, auch morgen noch sicherstellen und finanzieren wollen. Und deswegen gibt es einfach eine sachliche Notwendigkeit, zu Veränderungen, zu Verbesserungen im System zu kommen.

    Schröder: Gesundheit geht alle an, und deswegen fragen sich natürlich viele, was ist das für ein Mensch, was ist das für ein Politiker, der sich jetzt anschickt, das Gesundheitssystem umkrempeln zu wollen? Also wer kommt jetzt hier in das Ministerium, ist das ein neoliberaler Sanierer, der das System auf Effizienz, auf Wirtschaftlichkeit trimmt, oder was haben wir da zu erwarten?

    Rösler: Also richtig ist, dass man ein Stück weit den freien Wettbewerb auch in einem Gesundheitssystem finden und suchen kann - oder suchen und finden kann. Das ist der eine Punkt. Aber trotzdem ist für jeden guten Liberalen klar: Freiheit und Wettbewerbsfreiheit oder freier Wettbewerb kann es nie ohne Verantwortung geben. Und Verantwortung in Bezug auf ein Gesundheitssystem heißt, dass es anders als andere marktwirtschaftlich geordnete Systeme wie im Automobilmarkt oder eine Bäckerei, dass es hier einen echten Unterschied gibt, weil die Krankenversicherung eben eine Solidargemeinschaft ist. Und insofern muss hier auch das Prinzip der Solidarität gelten. Das heißt, der Starke hilft dem Schwachen. Und darauf werde ich mich immer wieder beziehen bei allen meinen Maßnahmen in den nächsten Jahren.

    Schröder: Die Chronik der Gesundheitspolitik in den letzten Jahren war auch eine Chronik der Gesundheitsreformen. Die haben nie fürchterlich lange gehalten, waren immer darauf ausgerichtet, die Kosten zu dämpfen, die Ausgaben zu begrenzen, damit die Lohnnebenkosten - die Beiträge - nicht zu stark steigen. Das ist nur bedingt gelungen. Was ist da falsch gelaufen?

    Rösler: Man hat immer versucht, über die Reformen die Lohnzusatzkosten stabil zu halten. Im Ergebnis waren es immer Kostendämpfungsgesetze. Und eine echte Gesundheitsreform muss das Ziel haben, eine Krankenversicherung robust in die Zukunft zu gestalten und für diese Zukunft robust auszugestalten. Das heißt, dass die Menschen die Gewissheit haben müssen, dass das Geld, das sie einbezahlen, am Ende auch für Vorsorge und Versorgung zur Verfügung steht. Und diese Gewissheit muss das Ziel einer Gesundheitsreform sein, und nicht allein die Frage, wie kann ich die Krankenversicherungsbeiträge stabil halten, um die Lohnzusatzkosten stabil zu halten.

    Schröder: Kernpunkt Ihrer Pläne ist eine radikale Änderung der Finanzierung des Gesundheitssystems. Sie wollen eine einkommensunabhängige Pauschale einführen, die für alle Versicherten gleich ist. Sie wollen gleichzeitig den Arbeitgeberbeitrag einfrieren, sie wollen ihn also abkoppeln. Warum wird dann alles besser?

    Rösler: Also, zunächst einmal passt der Begriff radikal nicht. Sie haben ihn jetzt schon zweimal verwendet. Es steht mir nicht zu, über die Fragen zu diskutieren. Aber ich will nur die Antwort noch mal erklären, warum es eigentlich radikal aus meiner Sicht in der Form nicht gehen kann - weil es den Eindruck erweckt, wir würden es von heute auf morgen wollen. Genau das kann nicht möglich sein, das können wir nicht wollen. Sondern Ziel muss es sein, die Systeme zukunftsfest zu gestalten, robust zu machen, ohne dabei die Menschen überfordern zu wollen. Und das heißt: Jede Veränderung muss ein klares Ziel vor Augen haben. Und das haben wir vor Augen, Sie haben es eben auch beschrieben …

    Schröder: … aber das Ziel ist ein radikal anderes System, oder?

    Rösler: Wenn Sie sich das System heute ansehen und das, was wir beschrieben haben, dann lohnt sich die Diskussion schon, ob es wirklich ein radikaler Umbau ist - oder ob es nicht ein anderes, ein besseres System ist als das, was wir momentan haben. In jedem Fall glaube ich, bleibe ich dabei, man darf die Menschen auf den Weg dahin nicht überfordern. Und es wird in kleinen Schritten gehen, aber in kleinen Schritten nach vorne in die richtige Richtung. Und ich glaube, das hat unser Gesundheitssystem verdient.

    Schröder: Was konkret erhoffen Sie sich, wenn Sie eine einkommensunabhängige Pauschale haben und abgekoppelte Arbeitgeberbeiträge?

    Rösler: Zunächst einmal ist die Entkopplung der Krankenversicherungskosten von den Lohnzusatzkosten ein wichtiger Beitrag, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Denn in Deutschland sind nicht die Löhne zu hoch, sondern die Lohnzusatzkosten. Und wenn man die stabil halten kann, vielleicht sogar eines Tages senken kann - auch durch Reformen in anderen Bereichen -, dann ist das der beste Weg zu mehr Arbeit und Beschäftigung. Und das ist das erste Ziel für die Menschen neben der Reform in der Krankenversicherung.

    Der zweite Bereich, der einkommensunabhängige Beitrag, hat das Ziel, mehr Gerechtigkeit herzustellen. Denn jetzt ist es so, dass die Krankenversicherung als solidarische Versicherung nicht nur den Ausgleich schafft der Gesunden zu den Kranken, wo die Gesunden also den Kranken helfen, sondern es gibt auch noch einen Ausgleich zwischen arm und reich, den wir ausdrücklich auch immer haben müssen in unserer Gesellschaft, aber eben nicht im Krankenversicherungssystem, sondern im Steuersystem. Und deswegen glaube ich, ist ein einkommensunabhängiger Beitrag, der sozial ausgeglichen wird, das bessere, das solidarischere und das gerechtere System im Vergleich zu dem, was wir jetzt haben.

    Schröder: Wenn die Arbeitgeber nicht mehr im gleichen Maße wie die Versicherten die Gesundheit, das Gesundheitssystem, finanzieren: Hat das nicht logischerweise zwingend zur Folge, dass die Versicherten dann mehr zahlen müssen, weil eine Säule weg bricht?

    Rösler: Das hört man ja immer wieder von Seiten der Opposition, und deswegen will ich die Gelegenheit gerne nutzen, um darauf hinzuweisen, dass die sogenannte Parität, wo die Arbeitgeber und Arbeitnehmer den gleichen Beitrag bezahlen, von Rot-Grün damals aufgelöst wurde, indem man nämlich jetzt schon einen höheren Beitrag für die Versicherten hat. Die Arbeitgeber zahlen sieben Prozent von den 14,9 Prozent, und die Arbeitnehmer zahlen 7,9 Prozent.

    Schröder: Das heißt ja nicht, dass es richtig ist.

    Rösler: Ob es gerechtfertigt ist oder nicht, hängt davon ab, ob die Menschen auch den entsprechenden Gegenwert dafür bekommen. Und deswegen ist es, ich habe es eingangs gesagt, so wichtig, dass sie die Gewissheit haben können, dass das Geld, was sie einbezahlen, ihnen am Ende auch für Leistung zur Verfügung steht.

    Heute haben viele Menschen das Gefühl, dass dem nicht so ist. Und wenn die Menschen schon Geld einbezahlen, dann müssen sie am Ende auch das Gefühl haben, dass sie am Ende auch Vorsorge und Versorgung bekommen, wenn sie sie brauchen.

    Schröder: Wenn also die Sekretärin genau so viel wie der Bankdirektor zahlt, dann - sagen Sie - kann das nur funktionieren, wenn es hier einen sozialen Ausgleich gibt. Wie soll der funktionieren?

    Rösler: Die Sekretärin wird ja nicht den gleichen Beitrag bezahlen wie der Bankdirektor. Denn der Bankdirektor bekommt keinen Sozialausgleich, womöglich bekommt man eine günstige Prämie, weil man eben einen steuerlichen Sozialausgleich bekommt. Und jetzt ist es so - nur damit da kein falscher Eindruck entsteht -, dass meistens der Bankdirektor gar nicht in die Solidargemeinschaft einbezahlt, jedenfalls nicht in die der gesetzlichen Krankenversicherung, weil er gar nicht teilnimmt an der gesetzlichen Krankenversicherung. Bankdirektoren verdienen meist so viel, dass sie oberhalb der Versicherungspflichtgrenze liegen, und dann können sie aus der gesetzlichen Krankenversicherung in die private Krankenversicherung wechseln …

    Schröder: Und das werden sie nach der Reform nicht mehr?

    Rösler: … und in unserem System wird der Kollege womöglich in der privaten Krankenversicherung versichert sein, das ist ja auch eine Solidargemeinschaft, aber über das Steuersystem, wo jeder nach seiner Leistungsfähigkeit besteuert wird, würde er einen sozialen Ausgleich leisten. Also der Reiche hilft auch hier der Ärmeren, und auch das ist Solidarität.

    Schröder: Wenn eine einheitliche einkommensunabhängige Prämie festgelegt wird, wird die nicht zwingender Weise niedriger sein als die Höchstbeträge, die jetzt etwa gut verdienende Bankdirektoren zahlen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung sind, weil das sonst nicht mehr finanzierbar wäre - der soziale Ausgleich? Das heißt: Sind nicht die Gutverdienenden die Profiteure dieser Reform, die Sie planen?

    Rösler: Das wäre reine Spekulation, weil es ja sehr davon abhängt, wie Sie das System ausgestalten, und zwar nicht nur eine Prämie - wenn wir nur die Prämie rechnen, wäre das unseriös, weil Sie eben in unserem Modell einen Solidarausgleich brauchen. Ohne den kann aus meiner Sicht keine Prämie kommen. Und wie das System im Detail aussieht, das ist dann Aufgabe der Reformkommission, die für nächstes Jahr einzusetzen ist. Und genau das vom Zahlenwerk her zu rechnen, das kann man nicht mal soeben, schon gar nicht überschlägig machen. Dafür ist das System zu komplex und die Aufgabe zu groß.

    Schröder: Sie wollen einen Sozialausgleich, damit Geringverdiener sich die Prämie leisten können. Machen Sie damit nicht eben diese Geringverdiener zu Bittstellern, die vom Staat Hilfe brauchen, damit sie sich die Gesundheit noch leisten können?

    Rösler: Genau deswegen brauchen wir einen automatischen Sozialausgleich, da wird man auch nicht zu Bittstellern, sondern man kann so etwas, meine ich, sehr klug, im System organisieren, dass man automatisch eben diesen Sozialausgleich bekommt, ohne dass man ihn irgendwo beantragen muss oder seine Gehaltsfragen offenlegen muss.

    Schröder: Sie müssen viel Geld in die Hand nehmen, um den Sozialausgleich zu finanzieren, damit er noch sozial gerecht ist. Woher soll denn das Geld kommen? Gleichzeitig will ja die schwarz-gelbe Regierung, will vor allem Ihre Partei, die Steuern senken.

    Rösler: Zunächst einmal wollen wir alle gemeinsam - CDU, CSU und FDP - die Steuern senken mit dem Ziel, dadurch Wachstumsimpulse zu geben, um so insgesamt im Ergebnis zu mehr Steuereinnahmen zu kommen, indem wir eben die Steuersätze dann auch tatsächlich senken. Das ist das Ziel. Die Menschen müssen entlastet werden. Und durch Wachstum am Ende soll sich das dann für alle Seiten gemeinsam lohnen.

    Das ist die ordnungspolitische Vorstellung, die wir bei dem Ziel Steuersenkung in dem Punkt haben. Und ob wir wirklich viel Geld für einen Sozialausgleich brauchen oder nicht, hängt davon ab, in welchen Schritten, in welchen Größenordnungen, mit welcher Frequenz wir beispielsweise die Prämie einführen. Das kann man erst seriös diskutieren, wenn die Zahlen auf dem Tisch liegen. Die können erst auf dem Tisch liegen, wenn die Kommission fertig ist mit ihrem Modell. Und die ist ja jetzt noch nicht mal eingesetzt.

    Schröder: Das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler. Herr Rösler, Widerstand kommt ja nicht nur von der Opposition und von den Gewerkschaften. Widerstand kommt ja vor allem auch aus dem Lager der CSU. Der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer hat erst am Donnerstag gesagt: Die Kopfpauschale ist tot, sie ist nicht finanzierbar. Das ist ein Staatsbegräbnis erster Klasse. Wie wollen Sie ihn überzeugen?

    Rösler: Also, das sehe ich ganz gelassen, weil ich ihn jetzt nicht mehr überzeugen muss, denn wir haben ja alle gemeinsam einen Koalitionsvertrag unterschrieben - CDU, CSU und FDP. Dort ist ja das Modell klar beschrieben, so wie wir es jetzt auch die ganze Zeit über diskutiert haben. Und Herr Seehofer hat als Parteivorsitzender der CSU auch seine Unterschrift unter den Vertrag gesetzt. Also, insofern bin ich guter Dinge, dass, wenn die Kommission den Weg zu unserem neuen System beschreibt, dass ihn alle gemeinsam mitgehen werden.

    Schröder: Aber Horst Seehofer interpretiert ihn offenbar völlig anders. Er gibt der Gesundheitsprämie, wie Sie sie planen, keine Chance mehr. Können Sie sie gegen den Widerstand der CSU einführen?

    Rösler: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es da Widerstand gibt. Denn, wie gesagt, das ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Den wollen wir und den werden wir gemeinsam in dieser Legislaturperiode umsetzen. Und da den alle unterschrieben haben, werden ihn auch alle gemeinsam mittragen.

    Schröder: Aber müssen Sie nicht auch davon ausgehen, dass Sie in Zukunft mehr Steuermittel brauchen, um das Gesundheitssystem so, wie Sie es planen, zu finanzieren?

    Rösler: Das ist nicht zwangsläufig ausgemacht, dass wir mehr Steuergelder brauchen, sondern das kann man erst sagen, wenn man sich das gesamte System angeguckt hat, zumal wir ja nicht nur die Einnahmeseite sehen sollen - wir haben ja jetzt nur über die Einnahmeseite diskutiert -, sondern natürlich stellt sich auch die Frage, wie man das System insgesamt aufstellt, also nicht nur die Einnahmeseite, sondern auch die Ausgabenseite sich genau noch einmal ansieht. Und auch da gibt es Möglichkeiten, um am Ende die Beiträge der Versicherten effizienter einzusetzen.

    Schröder: Das heißt, Sie planen ganz konkret auch Einsparungen im Gesundheitsbereich?

    Rösler: Das wäre zu kurz gegriffen. Einsparungen, das wäre ein Agieren im bestehenden System. Unser Ziel ist es, nicht von oben auf ein System draufzusehen wie das Gesundheitssystem von seiner Gesundheitsverwaltung und dann zu entscheiden, wo wir sparen wollen und wo nicht, sondern wir wollen ein System auf den Weg bringen, das eine klare Ordnung vorgibt im Sinne einer sozialen Marktwirtschaft, also eines fairen Wettbewerbes, aber wir wollen eben nicht alle einzelnen Maßnahmen von oben lenken.

    Und ich glaube, das ist die entscheidende Herausforderung für eine gesetzliche Krankenversicherung, wenn man sie reformieren will. Nicht nur die Einnahmenseite muss gestaltet werden, sondern auch die Frage, wie kann man das System selber fairer wettbewerblicher ordnen als bisher.

    Schröder: Was heißt denn das konkret? Es gibt ja durchaus Vorschläge, wie man auch auf der Ausgabenseite einsparen kann, Beispiel Arzneimittelmarkt. Da gibt es den Arzneimittelverordnungsreport. Einsparungen von drei bis sechs Milliarden jährlich werden da für möglich gehalten, ohne die medizinischen Leistungen verringern zu müssen. Wollen Sie hier ansetzen?

    Rösler: Genau das, was ich vorhin gesagt habe. Wenn Sie die Preise senken und das von oben vorgeben, dann ist das ein Agieren im System und entspricht nicht dem Prinzip einer sozialen Marktwirtschaft, wo von oben die Preise festgelegt und bestimmt werden. Die sollen sich am Markt entwickeln. Dazu brauchen Sie souveräne, selbstständige Marktteilnehmer. Das ist der erste Punkt. Die muss man womöglich ermöglichen durch ein klares Ordnungssystem. Und Sie brauchen auch klare Marktregeln. Und deswegen haben wir im Koalitionsvertrag vereinbart, dass zum Beispiel das Kartell- und Wettbewerbsrecht eine wesentliche Rolle spielen soll, zum Beispiel gerade bei der Diskussion um Arzneimittel und Arzneimittelpreise.

    Schröder: Bei neuen Arzneimitteln ist es ja so, dass die Hersteller mehr oder weniger die Preise selbst festsetzen. Muss sich hier nicht etwas ändern?

    Rösler: Es gibt ja momentan schon Entwicklungen, die versuchen, ein Kosten-Nutzen-Verhältnis auf den Weg zu bringen. Es gibt einzelne Institute, die sich genau mit dieser Frage beschäftigen. Auch wir haben solche Institute auf halbstaatlicher Ebene. Und wir sagen eben, natürlich muss man immer genau wissen, welche Kosten hat man auf der einen Seite, welchen Nutzen auf der anderen Seite. Aber die Frage ist ja, gibt man das als Gesetzgeber vor, entscheidet man das von oben, oder kann nicht ein Stück weit das auch der Markt selber entscheiden? Und ich sage es noch mal, dafür brauchen Sie klare Regeln und klares Wettbewerbsrecht. Nur so können Sie zu einem freien und fairen Wettbewerb erst kommen.

    Schröder: Wo konkret hakt es denn da? Wo sind denn da die Bremsen, die Sie lösen wollen?

    Rösler: Jetzt haben Sie sehr starke, sehr starre Marktteilnehmer. Sie hatten vorhin die Arzneimittel angesprochen. Da gibt es ja die Diskussion um Rabattverträge, wo man ja versuchen kann, in Verhandlung zu gehen von Seiten der Kassen mit den Pharmaunternehmen. Aber man muss dabei aufpassen, dass nicht einer von beiden Seiten eine Marktmacht erhält, mit der er dann den Markt dominieren kann. Und deswegen, sage ich noch mal, ist es so wichtig, dass wir zu einem vernünftigen Kartell- und Wettbewerbsrecht kommen.

    Schröder: Aber ist es nicht gerade bei den Rabattverträgen, die ja vor allem im Generikabereich angewandt wurden, haben die nicht dazu beigetragen, dass die Preise für Generika gesunken sind?

    Rösler: Das würde ja bedeuten, dass der Wettbewerb ein Stück weit funktioniert hat. Aber es muss dann nach wie vor immer ein fairer Wettbewerb sein. Und da muss man gucken, zu welchen Lasten am Ende die Preise gesunken sind. Und das kann man nicht von oben entscheiden, sondern wenn Sie sagen, wir wollen einen fairen Wettbewerb, dann muss man gerade an dieser Stelle, wie gesagt, gerade nach dem Wettbewerbs- und Kartellrecht gucken, dass nicht einer von den beiden Partnern womöglich eine zu große Marktmacht und Dominanz hat.

    Schröder: Und wo bleibt der Patient in diesem System von mehr Wettbewerb, von mehr Eigenverantwortung? In der Vergangenheit hieß das eigentlich immer, er muss mehr zahlen.

    Rösler: Gerade eben, in der Frage davor, haben Sie selber festgestellt, dass zum Beispiel im Arzneimittelbereich, im Generikabereich, durch den Wettbewerb, den man sich einmal angucken muss, ob der noch so fair ist oder nicht, aber durch diesen Wettbewerb in jedem Fall die Preise gesunken sind. Und gesunkene Preise sind im Interesse der Versicherten, sind im Interesse der Patienten, also ein gutes Beispiel dafür, dass Wettbewerb im Interesse der Menschen ist.

    Schröder: Sie sagen, Sie wollen einen sanften Einstieg in ein neues System. Wie weit wollen Sie in dieser Legislaturperiode kommen?

    Rösler: Ich glaube, zunächst einmal muss man sich auf den Weg verständigen zu dem Ziel, das man sich vorgenommen hat. Dann kann man die Schrittgröße festlegen. Und dann kann man sehen, in welchen Zeiträumen man genau diese Schritte, die man sich vorgenommen hat, auch dann absolvieren kann.

    Das werden wir im nächsten Frühjahr, denke ich, so weit in der politischen Diskussion haben. Und dann wird die Entscheidung da sein. Aber wichtig ist, dass wir in dieser Legislaturperiode den Einstieg finden in einen Weg, der auch fest vorgegeben ist, um zu einem gerechten und robusten Krankenversicherungssystem der Zukunft zu kommen.

    Schröder: Aber angesichts der Finanzlage des Staates ist Ihr Spielraum da auch sehr begrenzt, oder?

    Rösler: Es hängt, wie gesagt, sehr davon ab, einmal wie viel Steuerzuschuss man geben kann für den sozialen Ausgleich. Nur mit dieser Geschwindigkeit können Sie auch den Umbau dann angehen. Und gleichzeitig hängt es von der Qualität des Sozialausgleiches ab, also wie wir ihn technisch lösen. Das sind zwei große Herausforderungen, vor denen man steht. Aber damit ist eigentlich schon die Hauptaufgabe bei den künftigen Reformen beschrieben.

    Schröder: Schon im nächsten Jahr muss der Staat zusätzliches Geld ins Gesundheitssystem geben. 3,9 Milliarden hat der Finanzminister bewilligt, um die Defizite bei den Krankenkassen zu decken. Damit sind die aber noch nicht ganz aufgefüllt. Insgesamt rechnet man mit 7,5 Milliarden. Was heißt das konkret?

    Rösler: Wir haben im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass die krisenbedingten Einnahmeausfälle, die man im nächsten Jahr zu erwarten hat, dass wir die ausgleichen wollen. Die schätzen wir auf 3,9 Milliarden Euro. Deswegen werden wir die dem System zusätzlich aus Steuermitteln zur Verfügung stellen. Und es gibt nach wie vor auch noch von Seiten der Großen Koalition vereinbarte Veränderungen im Bereich Arzneimittel, Krankenhäuser und Ärztehonorierung. Und wie die sich auswirken im nächsten System, dass muss man abwarten.

    Aber das jetzige System sieht auch heute schon, ohne irgendwo Änderungen im nächsten Jahr 2010 schon anzustreben, auch die Möglichkeit vor, Zusatzbeiträge zu nehmen oder eine Zusatzprämie gedeckelt auf acht Euro

    Schröder: Die Krankenkassen selbst sagen, wir brauchen mehr Geld vom Staat. Es gibt da eine Unterfinanzierung, zum Beispiel bei den Kosten für Arbeitslosengeld-II-Empfänger. Die sind nur zur Hälfte gedeckt. Haben die Recht?

    Rösler: Also, in dieser Frage wird man noch weiter diskutieren. Da diskutiert ja auch das Arbeitsministerium mit dem Gesundheitsministerium. Aber die großen Kostenbrocken, die in den Milliardenbereich hineingehen, die werden von diesen Fragen nicht berührt, sondern das sind Fragen, wo findet man womöglich im System noch Geld, um am Ende die Defizite möglichst klein zu halten? Aber die Krankenkassen selber haben ja auch Reserven, auf die sie teilweise zurückgreifen können - nicht gänzlich, ein paar der Reserven sind gesetzlich gebunden - aber zu einem kleinen Teil kann man doch auf Krankenkassenseiten selber bei der Aufstellung seiner Haushalte sehen, wie man die Haushalte so aufstellt, dass die Versicherten zu einem optimalen Ergebnis kommen.

    Schröder: Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler im Interview der Woche im Deutschlandfunk. Herr Rösler, eine Reform planen Sie auch für die Pflegeversicherung. Dort wollen Sie einen Kapitalstock aufbauen, um die Pflegeversicherung demografiefest zu machen, um Belastungen, die in einigen Jahren auf die Versicherungen zukommen, aufzufangen. Wird es auch hier ein Prämienmodell geben?

    Rösler: Damals zu Beginn bei der Einführung der Pflegeversicherung hat man ja, anders, als das manchmal auch diskutiert wurde, nicht gleich mit Kapitaldeckung begonnen, sondern ist wieder in ein Umlageverfahren eingestiegen, was dazu führt, dass man 15 Jahre für Kapitaldeckung leider jetzt nicht mehr zur Verfügung hat. Und deswegen kann man das bestehende Umlageverfahren nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Und genau das ist das Ziel. Und da gibt es mehrere Möglichkeiten in Form von Beiträgen, Prämien.

    Wir haben festgehalten, es muss kapitalgedeckt sein, es muss verpflichtend für jeden sein als Ergänzung zum bestehenden Pflegeversicherungssystem und es muss individualisiert sein. Das sind die Eckpunkte, die wir im Koalitionsvertrag vereinbart haben. Und danach muss man jetzt die verschiedenen Modelle durchgehen.

    Schröder: Nun sehen wir gerade durch die globale Finanzkrise, wie solche Kapitalstöcke auch aufgezehrt werden, wenn es Turbulenzen globaler Art gibt. Macht Sie das nicht skeptisch, dass so ein Modell auch große Unsicherheiten bergen kann?

    Rösler: Es zeigt zumindest sehr deutlich, wie verantwortungsvoll mit solch angesparten Geldern dann umgegangen werden muss. Die gute Nachricht ist, dass man ja schon vielfältige Erfahrung hat bei solchem Ansparen eines Kapitalstocks. Es gibt ja berufsständische Versorgungswerke, wo bestimmte Berufsgruppen selber auch kapitalgedeckt sogar die Altersvorsorge abgesichert haben, also nicht nur ein Zusatzbeitrag in der Pflege, die auch keine Vollversicherung ist, sondern eine Zusatzversicherung. Und insofern glaube ich, dass man das für diesen kleinen Bereich gut hinbekommen kann. Aber in der Tat ist der Begriff mündelsicher von entscheidender Bedeutung, damit auch hier gilt, dass die Menschen wissen und die Gewissheit haben können, dass das Geld, was sie einzahlen, auch wirklich angespart wird, sich vermehrt, um dann im Pflegefall auch zur Verfügung zu stehen.

    Schröder: Ein Ziel ist, die Qualität in der Pflege zu verbessern. Wird das ohne zusätzliche Mittel möglich sein?

    Rösler: Zumindest haben wir für uns auch festgelegt, dass wir das Pflegebild der Demenz noch stärker einbeziehen, als das bisher der Fall ist. Und wir diskutieren ja auch über die Pflegedefinition, die unterschiedlichen Einstufungen. Aber natürlich immer dann, wenn solche Neudefinition oder Ergänzung mit mehr Finanzbedarf zu tun hat, ist dann der Druck und die Veränderungsnotwendigkeit für das Finanzierungssystem offenbar. Und deswegen sollte man beides möglichst in engem zeitlichen Zusammenhang machen, also nicht eine neue Definition und damit neue Bilder erschaffen und auch neue Ausgaben, sondern natürlich auch die Frage, wie kann man dieses System langfristig auf solide finanzielle Füße stellen. Die Frage muss man mit beantworten.

    Schröder: Letztes Thema, Herr Rösler, Thema Schweinegrippe. Sie selbst - sind Sie schon geimpft?

    Rösler: Ich hätte gestern einen Termin gehabt. Ich habe erst mal die saisonale Grippeimpfung gehabt. Und dann musste ich, wie jeder andere auch, beim Hausarzt auf den Impfstoff warten. Die Impfstoffversorgung ist jetzt zum Glück deutlich besser geworden. Nun konnte ich gestern leider meinen Termin nicht halten, nun habe ich für nächste Woche einen neuen Termin.

    Schröder: Würden Sie es allen empfehlen, sich impfen zu lassen? Oder würden Sie sagen, so dringend ist es nicht?

    Rösler: Also, gerade weil nun viele Äußerungen in den letzten Wochen und Monaten zum Thema Schweinegrippe zu hören waren, ist es jetzt wichtig, dass die Menschen eine Quelle haben, auf die sie sich verlassen können. Und die verlässlichste wissenschaftliche Quelle ist die Empfehlung der ständigen Impfkommission, die dazu rät, sich impfen zu lassen. In Zeiten, in denen nicht ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht, hat die ständige Impfkommission eine sogenannte Stufenempfehlung gegeben, dass zunächst einmal das medizinische Personal sich impfen lässt, dann das Schlüsselpersonal wie Polizei und Feuerwehr und chronisch Kranke. Das ist die Reihenfolge, und daran sollte man sich auch halten.

    Und neben den individuellen Hygienemaßnahmen wie regelmäßig Hände waschen, möglichst nur in die Armbeuge niesen, ist, glaube ich, die Impfung der beste Schutz, übrigens nicht nur für einen selber, sondern auch für andere. Denn wenn man selber nicht mehr die Krankheit bekommen kann, weil man geimpft ist, kann man sie eben auch nicht an andere übertragen. Und so wird dann auch diese starke, schnelle Übertragung auch gestoppt.

    Schröder: Wie lange wird das noch dauern, bis Impfmittel für alle da sind, die sich impfen lassen wollen?

    Rösler: Zum jetzigen Zeitpunkt ist es so: Ich hatte ja zum Impfgipfel eingeladen, nicht nur die Länderministerkollegen, sondern auch die Industrie, den Impfstoffhersteller. Er hat uns zugesichert, bis Ende November 9,3 Millionen Dosen an die Länder auszuliefern. Die sind ja für die Verimpfung, für die Logistik vor Ort, zuständig. Und es sieht so aus, als könnte der Impfstoffhersteller diese Zahlen gut einhalten, sodass die Versorgung momentan noch nicht das Problem ist. So hören wir es auch momentan aus den Ländern. Man muss eigentlich nur hingehen und mit seinem jeweiligen Arzt die Impffrage besprechen.

    Schröder: In der Bevölkerung kann man auch so etwas wie eine Impfmüdigkeit feststellen. Es gibt eine Verunsicherung zum einen darüber, wie stark die Nebenwirkungen der Impfung sind und wie zwingend nötig, wie sinnvoll sie überhaupt ist. Können Sie diese Verunsicherung nachvollziehen?

    Rösler: Aufgrund der Diskussion, ich hatte es angedeutet, in den letzten Wochen und Monaten kann man eben diese Verunsicherung nachvollziehen. Umso wichtiger ist es, dass man sich eben an diese verlässlichen Quellen wie ständige Impfkommission hält, die eben entsprechend der Stufenimpfung auch die Impfung empfiehlt, denn die neue Grippe, so heißt ja die Schweinegrippe, hat ein anderes Gefährdungsbild als zum Beispiel die saisonale Grippe, die meist ältere Menschen trifft, so trifft die neue Grippe eher jüngere Menschen und ist auch nicht nur auf die kalten Jahreszeiten beschränkt, insofern ein neues Bild. Und deswegen macht es Sinn, sich da impfen zu lassen

    Schröder: Herr Rösler, ich bedanke mich für das Gespräch.