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"Man kann Geschichte nicht auslöschen"

Durch die öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Geburtshaus von Adolf Hitler entstehe auch ein offenes Bekenntnis zur Tatsache, dass Adolf Hitler lange Österreicher war, bevor er die Staatsbürgerschaft verloren hat. Das sei ein Schritt, vor dem viele Entscheidungsträger zögern, sagt der Wiener Historiker Oliver Rathkolb.

Oliver Rathkolb im Gespräch mit Michael Köhler | 09.11.2012
    Michael Köhler: Es gab Zeiten, da konnte am 20. April in Deutschland unmöglich ein Fußballspiel oder Ähnliches angepfiffen werden. Das geplante Fußball–Länderspiel, das Freundschaftsspiel Deutschland-England, es wurde am 20. 4. gar nicht angepfiffen, es wurde abgesagt. Zu sehr war der Tag, an dem Adolf Hitler geboren wurde, im Bewusstsein der Deutschen und seiner Nachbarn. Die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit und die Erinnerungskultur gilt gleichwohl international als vorbildlich in Deutschland. Im oberösterreichischen Braunau sieht das noch ein bisschen anders aus. Da steht Hitlers Geburtshaus, um dessen Verwendung es seit längerem Streit gibt. Für die Besitzer ist es nur eine Belastung. Aber was tun damit? Verkäufe sind bislang gescheitert, obwohl es Angebote gab. Bislang wird es vom Innenministerium angemietet. Die Weiterverwendung ist aber ungewiss. Ich habe Oliver Rathkolb, Professor für neuere Geschichte an der Uni Wien, gefragt: Warum tut man sich so schwer in Österreich mit einem Nutzungskonzept?

    Oliver Rathkolb: Die Tatsache, dass sich nicht nur die Braunauer und auch die Österreicher so schwer mit dem Geburtshaus von Adolf Hitler tun, hängt meiner Meinung nach damit zusammen, dass man sehr lange versucht hat, Adolf Hitler nach Deutschland abzuschieben, und er ist halt zufällig in Braunau geboren und das ist es, und ich glaube, dass auch als eine Folge der geschichtspolitischen Änderungen in den letzten Jahrzehnten seit der Debatte um die Kriegsvergangenheit von Kurt Waldheim hier doch ein Umdenkprozess stattgefunden hat und jetzt diese Überbleibsel der notwendigen Geschichtsauseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus offengelegt werden. Ich erinnere nur vergleichbar mit dem zeitweisen Wohnsitz von Adolf Hitler am Obersalzberg, wo sich ja auch ein Tourismus rechtsradikaler Rechtspopulisten, Neonazis über die Jahre entwickelt hat und wo man dann doch ein Konzept gefunden hat auch in Zusammenarbeit mit dem Institut für Zeitgeschichte, diesen Ort entsprechend zu dekonstruieren, also ihn nicht zu zerstören, was auch meiner Meinung nach nicht so viel bringt, denn man kann Geschichte nicht auslöschen, aber ihn anders zu präsentieren. Und ich glaube, etwas Ähnliches müsste man auch mit dem Geburtshaus von Adolf Hitler in Braunau versuchen.

    Köhler: Es gibt ja verschiedene Nutzungsvorschläge. Jetzt kommt gerade ein ganz frischer auf den Tisch: Ein russischer Parlamentsabgeordneter will mit Unterstützung eines kommunistischen Mietparlamentariers das Haus kaufen, um es dann abzureißen. Das ist, glaube ich, gelinde gesagt, Unfug, nicht wahr?

    Rathkolb: Also ich habe das auch eher als eine PR-Idee gesehen. Ich glaube, das Grundproblem in der österreichischen Debatte ist: In dem Moment, wo man eine Form der öffentlichen Auseinandersetzung mit diesem Haus in Braunau sucht, entsteht natürlich auch ein offenes Bekenntnis zur Tatsache, dass Adolf Hitler Österreicher war und auch lange gewesen ist, ehe er dann seine Staatsbürgerschaft verloren hat, und das ist, glaube ich, ein Schritt. Da zögern auch vor allem viele politische Entscheidungsträger.

    Köhler: In den letzten Jahrzehnten hat das Innenministerium die Räumlichkeiten angemietet, ganz früher war da mal eine Werkstatt der Lebenshilfe drin. Es heißt, die Besitzerin oder die Besitzer würden sich mit Veräußerungsabsichten tragen, das Ding steht aber, weil es Salzburger Vorstadt auch ist, unter Denkmalschutz. Wie sähe Ihrer Meinung nach eine "Normale Nutzung" aus?

    Rathkolb: Ich glaube, was vielleicht helfen würde, wäre eine wirklich schlichte, einfache Gedenkstätte, und zwar nicht für Adolf Hitler klarerweise, sondern was sozusagen dieser Mann als Teil eines politischen Systems angerichtet hat, also hier den Sprung zu finden, schnell weg von einer klassischen Heroisierung dieser Geburtshäuser, die wir ja bei allen Diktatoren kennen, wenn Sie sich beispielsweise nur Stalin anschauen. Der zweite Grundsatz, den man hier verfolgen sollte, müsste auch klar sein, Adolf Hitler ist nicht gleich die Shoa, ohne ein gesellschaftliches System. Ohne die Akzeptanz des Nationalsozialismus, der Aggressionskriege und des Antisemitismus hätte Hitler überhaupt nichts ausgerichtet. Also man müsste sehr schnell auch diesen Sprung weg von Adolf Hitler zur gesellschaftlichen Verantwortung und Selbstreflexion finden.

    Köhler: Abschließend komme ich an den Anfang unseres Gespräches zurück. Würden Sie sich richtig wiedergegeben fühlen, wenn ich sage, der Anfang einer solchen Nutzung wäre zugleich auch das Ende vielleicht lieb gewonnener österreichischer Geschichtslügen?

    Rathkolb: Ich glaube, es wäre ein notwendiger Schlussstein. Es ist in den letzten Jahren da sehr viel passiert. Mit 2000, auch mit der Debatte um Zwangsarbeit in der NS-Zeit, ist noch einmal ein neues Niveau erreicht worden. Und da wäre es sozusagen ein wichtiger auch Schlussstein unter diese Debatte, und zwar nicht im Sinne eines Schlussstrichs, sondern wirklich in dem Versuch, auch die geschichtspolitische Debatte noch stärker in der Gesellschaft und vor allem auch international zu verankern.

    Köhler: Der Historiker Oliver Rathkolb, Professor in Wien, zur Frage, was aus Hitlers Geburtshaus wird, um das gestritten wird.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.