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Man muss "nun wirklich handeln"

Naturkatastrophen und vom Mensch gemachte Katastrophen überschneiden sich immer häufiger, sagt Klaus Töpfer vom Institut für Nachhaltigkeitsstudien. Klimawandel-Skeptiker sind aus seiner Sicht nicht zu retten.

13.08.2010
    Tobias Armbrüster: Bei uns in Deutschland wird zurzeit ausführlich über die Naturkatastrophen in Russland und in Pakistan gesprochen, auch hier bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Viele Menschen, nicht nur Politiker, beschäftigen sich intensiv mit der Frage, was Trockenheit und Überschwemmungen für uns hier in Deutschland bedeuten. Aber nicht überall in Europa ist die Aufmerksamkeit bei diesem Thema so groß. In Spanien etwa schafft es die Klimapolitik nur selten in die Schlagzeilen.
    Waldbrände also in Russland, Überschwemmungen in Pakistan – das sind die beiden Katastrophen, die uns seit Tagen beschäftigen. Wir hören von verstrahlten Partikeln, die durch die Feuer in Russland wieder in die Höhe gewirbelt wurden, und von Wassermassen, die Millionen von Menschen in Pakistan zu Obdachlosen machen. Aber wie weit sind diese Katastrophen tatsächlich von uns entfernt? Hängen sie möglicherweise mit der Erderwärmung zusammen? – Darüber wollen wir jetzt mit Klaus Töpfer sprechen, dem ehemaligen Bundesumweltminister. Heute ist er Direktor am Institut für Klimawandel, Erdsysteme und Nachhaltigkeit, außerdem Vizepräsident der Welthungerhilfe. Schönen guten Morgen, Herr Professor Töpfer.

    Klaus Töpfer: Einen schönen guten Morgen!

    Armbrüster: Herr Töpfer, was die Menschen in Pakistan in den vergangenen Wochen erlebt haben, ist das ein Resultat der Erderwärmung?

    Töpfer: Man soll sehr vorsichtig sein, es nur auf einen Grund zurückzuführen, wie immer. Es gibt eine immer engere Überschneidung zwischen Naturkatastrophen und von Menschen gemachten Katastrophen. Das sehen Sie auch in Spanien. Wenn sie in diesen Ländern massiv solche Pflanzen anbauen, die viel Wasser brauchen, dann produzieren sie eigentlich selbst ihre Trockenheit. Wenn sie dort Erdbeeren, wenn sie dort Aprikosen und vieles andere erzeugen und zu uns exportieren, so exportieren sie Wasser. So ist es in Pakistan in anderer Weise. Wir wissen, dass dieses Land noch massiv unter den Folgen des Erdbebens leidet, dass die Strukturen noch nicht wieder gefestigt sind, dass man dort jetzt eine Regierung hat, die zwei Jahre als Zivilregierung im Amt ist und alles, aber nichts geschafft hat, um sich selbst dort sehr viel Respekt in der Bevölkerung zu besorgen. Wir sehen, dass zu wenig investiert worden ist in Dämme und Deiche, sodass das, was als Naturkatastrophe, nämlich massiver Regen, hinzukam, dann ganz andere Konsequenzen für die Menschen hat.
    Aber eines ist auch ganz sicher richtig: Alles das, was wir als extreme Wettersituationen sehen – Sie haben einige davon genannt -, sie alle sind auch voll und ganz im Einklang mit dem, was Klimawissenschaft vorhergesagt hat, was sie ausgearbeitet hat, was in den Projekten und in den Berichten des Weltklimarates mitgeteilt worden ist. Keineswegs kann jemand sagen, das ist schon eine abschließende Beweisführung, aber wer jetzt noch der Meinung ist, die Wahrscheinlichkeiten sind nicht so hoch, dass man nun wirklich handeln muss, der ist, glaube ich, kaum noch mit anderen Beispielen zu retten.

    Armbrüster: Können wir denn Aussagen darüber machen, was nun in den nächsten Jahren und Jahrzehnten hier in Deutschland auf uns zukommt?

    Töpfer: Ich glaube, Prognosen werden ja nie gemacht, damit sie eintreten, sondern damit man weiß, wie man dagegen reagieren muss. Wenn nichts passiert, werden sich solche Entwicklungen deutlich verschärfen und werden häufiger kommen. Dies ist seit vielen, vielen Monaten und Jahren eigentlich schon die Aussage der Klimawissenschaft. Dafür haben wir schon ab 1992 eine Konvention gemacht, die dann mit einem Protokoll von Kyoto so weiterentwickelt werden sollte, dass man hinreichend handelt. Also diese Aussagen sind ja klar. Das muss jetzt, wenn man die Auswirkungen und die Perspektiven für die Zukunft sehen will, nun wirklich klar gemacht werden: Ohne Handeln, einfach ein "weiter so" in der Energieversorgung, wie wir sie haben, in unseren Lebensabläufen, in unserem Lebensstil, wird natürlich diese Sorgen deutlich erhöhen. Aber ich glaube schon, dass auch das dazu führt, dass man handelt und nicht nur abwartet, bis Diplomaten und Politiker so weit gekommen sind, in Riesenverhandlungen und Riesenkonferenzen etwas weiterzuführen. Es ist jetzt zu handeln, und das ist auch im Sinne unserer wirtschaftlichen Stabilität.

    Armbrüster: Haben Sie denn den Eindruck, Herr Töpfer, dass diese dramatischen Bilder, die wir da aus Pakistan bekommen und auch aus Russland, dass die und die damit verbundenen Botschaften bei den Politikern bei uns ankommen?

    Töpfer: Zunächst einmal – lassen Sie uns das nicht vergessen – geht es darum, dass wir den Menschen dort unmittelbar helfen. Wir müssen jetzt nicht fragen, was wird im Klimabereich daraus gemacht. Wenn wir nach Pakistan heute gehen und wenn man sieht, welche Hilfsorganisationen mit Menschen dort vor Ort tätig sind, dann kann man nicht sagen, aber jetzt machen wir Klimapolitik. Jetzt muss sofort geholfen werden, jetzt muss Wasser, sauberes Wasser verfügbar gemacht werden, Lebensmittel, Medikamente, Zelte und so weiter und so fort. Ich kann nur dringlichst darauf hinweisen, dass das in einem solchen Land besonders schwierig, aber auch besonders notwendig ist. Wir müssen darüber hinaus nachsehen, dabei sein, wenn es darum geht, die Infrastruktur dieses Landes wieder aufzubauen, dort zu helfen, wo die Ackerflächen jetzt massiv unter Wasser stehen und dieses eine sehr, sehr negative Auswirkung haben wird auf die Ernten dieses Jahres, nebenbei in einer Zeit, in der die großen Brände in Russland auch dazu führen, dass dieses Korn produzierende Land erhebliche Schwierigkeiten bekommen wird. Alles das ist jetzt gefragt. Aber wir dürfen danach nicht zur Tagesordnung übergehen wie jemand, der ein Feuer gelöscht hat, sich dahinter zurücksetzt und sagt, jetzt können wir erst mal ein Bier trinken. Nein, wir müssen aus dieser Katastrophe, die wir jetzt zu behandeln haben, von der wir jetzt auch mitmenschliches Solidaritätsgefühl brauchen, aus der heraus müssen wir dann dazu kommen, auch die Ursachen, die Faktoren mit in Angriff zu nehmen, erneuerbare Energien durchzusetzen, höhere Energieeffizienz. Zusammenarbeit mit solchen Ländern, das hilft ja unserer Wirtschaft und hilft dort, eine wirtschaftliche Entwicklung zu ermöglichen, die dringlich notwendig ist, um Armut zu überwinden, Armut, die ich etwa in Afrika gesehen habe, wie man sie sich bei uns kaum vorstellen kann. Das sind die zusammenhängenden Größen, so wie ich sie zumindest jetzt sehe und wie ich sie jetzt dringlichst zum Handeln auch im politischen, aber auch im zwischenmenschlichen Bereich einfordere.

    Bremkamp: Wenn wir noch mal auf die Überschwemmung in Pakistan zu sprechen kommen. Wie zufrieden sind Sie denn mit der Spendenbereitschaft der Deutschen?

    Töpfer: Es hat sicherlich sehr viel länger gedauert als bei anderen vergleichbaren Katastrophen. Da gibt es viele Gründe, die braucht man nicht alle nachzuzeichnen. Es ist jetzt festzustellen, jedenfalls gibt es deutliche Anzeichen dafür, dass die Spendenbereitschaft in Deutschland wieder größer geworden ist, und es liegt an mir, ganz herzlich dafür zu danken – nicht nur dem, was man der Welthungerhilfe zur Verfügung gestellt hat, sondern allen denen, die im humanitären Bereich sogar oft stärker, als wir es können, in Pakistan tätig sind, die Karitas, die Diakonie, das Rote Kreuz und viele andere. Es wäre falsch, würden wir jetzt darauf hinweisen, wir wollen das meiste oder wir müssen besonders beachtet werden. Auch die Zusammenarbeit zwischen diesen Hilfsorganisationen wird besser und besser. Wir arbeiten mit einer Allianz 2015 über die nationalen Grenzen hinaus sogar. Wir müssen vor Ort in Pakistan die örtlichen Organisationen erreichen, mit denen man immer schon zusammengearbeitet hat, die verlässlich sind, wo die Besorgnis, das Geld geht, irgendwo auf welchen Wegen auch immer bis zu den Taliban hin, dass diese Sorgen unberechtigt sind. Das ist jetzt unsere Verpflichtung. Zufrieden zu sein in einer solchen historischen dramatischen menschlichen Tragödie, das wäre schon ein großer Fehler und wäre von den Tatsachen nie getragen.

    Armbrüster: Der ehemalige Bundesumweltminister, heute ist er unter anderem Vizepräsident der Welthungerhilfe, Klaus Töpfer war das im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Vielen Dank, Herr Professor Töpfer. Und die Nummern für die Spendenkonten finden sie auf unserer Website im Internet, www.dradio.de.

    Spendenkontenübersicht auf ard.de für Pakistan-Flut

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