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"Man schlägt jemanden, um von sich selber abzulenken"

Laut Aloys Prinz spiegeln die Ratingagenturen bloß die Marktsituation wider. Möglicherweise trügen sie durch die Herabstufung einzelner Länder zwar dazu bei, dass die Situation sich verschärfe. Die Ratingagenturen für die Schuldenkrise verantwortlich zu machen, sei aber falsch.

Aloys Prinz im Gespräch mit Dirk Müller | 07.12.2011
    Dirk Müller: Wie kommen wir aus dem Schuldenchaos wieder heraus? Wer ist verantwortlich, warum haben wir es überhaupt so weit kommen lassen, dass ein paar Mitarbeiter von Standard & Poor's oder auch anderer Ratingagenturen einen ganzen Kontinent in den finanziellen Abgrund stürzen können? Fragen, mit denen sich der Münsteraner Wirtschaftswissenschaftler Professor Aloys Prinz auch in seinem Buch beschäftigt - mit dem Titel "Abgebrannt. Unsere Zukunft nach dem Schulden-Kollaps." Aloys Prinz ist jetzt bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Aloys Prinz: Guten Morgen.

    Müller: Herr Prinz, sind wir jetzt Teil des Abwärtsstrudels?

    Prinz: Ja und nein gleichzeitig. Nein insofern, als tatsächlich die wirtschaftliche Situation in Deutschland ziemlich günstig ist, zumindest noch. Ja insofern, als wir innerhalb der Europäischen Währungsunion ein wichtiges Land sind, auf das erhebliche Lasten zukommen.

    Müller: Jetzt fragen sich ja viele, es gibt diese realen wirtschaftlichen Kriterien, beispielsweise das Wirtschaftswachstum. Sie sagen es ja, in Deutschland sieht das noch ganz gut aus. Das scheint aber offenbar die Ratingagenturen nicht zu interessieren. Warum nicht?

    Prinz: Na ja, es interessiert sie schon. Das Problem ist das "noch", denn die Aussichten für die Konjunktur sind in Europa insgesamt nicht gut, was teilweise eben auch wiederum an der Schuldenkrise liegt, weil ja eben entsprechende öffentliche Haushalte auf Sparsamkeit umgestellt werden, und das heißt, die öffentlichen Ausgaben werden sinken. Das wiederum alleine löst schon einen rezessiven Impuls in einer Volkswirtschaft aus, sofern hier nicht von außen kompensiert werden kann. Und momentan spricht vieles dafür, dass wir 2012 zumindest in Richtung Rezession gehen. Ob wir tatsächlich eine bekommen, ist noch offen, aber zumindest die Aussichten sind nicht gut, und damit sind die Aussichten auch für den Euro nicht so gut, und das wiederum zieht auch Deutschland mit nach unten.

    Müller: Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, kann Sparen auch schaden?

    Prinz: Auf jeden Fall! Sparen kann eine Rezession auslösen. Das ist eigentlich eine allgemein bekannte Tatsache. Auf der anderen Seite müssen wir halt sehen, dass die öffentlichen Haushalte offensichtlich nicht nachhaltig finanziert sind in vielen europäischen Staaten. Und das größere Problem ist noch, dass die Länder der Europäischen Währungsunion und auch die EU bisher kein schlüssiges Konzept gefunden haben, um Finanzmärkte, das heißt also vor allem Banken, davon zu überzeugen, dass sie tatsächlich solide sind und dass man ihre Papiere in den Bankbilanzen halten kann, ohne dass man Katastrophen riskiert.

    Müller: Herr Prinz, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe und Ihnen weiter folge, bedeutet das in der Konsequenz: Was wir den Griechen zumuten, ist für die Griechen eigentlich gar nicht zumutbar?

    Prinz: Das würde ich auch so sagen. Mit den Griechen hat man, glaube ich, einen bösen Fehler gemacht. Natürlich hat Griechenland sich bis über beide Ohren verschuldet und sie wurden jetzt dazu gezwungen, Haushaltsdisziplin wenigstens einzuführen, und zwar auf die ganz harte Art. Das löst dort eine Rezession aus, die ja schon mindestens zwei Jahre geht und deren Ende noch gar nicht absehbar ist. Das wird Griechenland schwer belasten und schädigen, und die Frage ist, ob es dazu eine Alternative gegeben hätte. Aber hinterher ist man immer schlauer. Momentan ist es einfach so und ich bin mir immer noch nicht sicher, ob das, was man für Griechenland bisher beschlossen hat und vorgesehen hat, reichen wird, um das Land wieder auf die Beine zu bringen, sprich die Griechen wieder in die Lage zu versetzen, dass ihre Volkswirtschaft wachsen wird. Ohne dass diese Volkswirtschaft wächst, wird das Griechenlandproblem nicht lösbar sein, und ob es innerhalb der Währungsunion lösbar ist, bin ich mir auch nicht ganz sicher.

    Müller: Wenn Sie, Herr Prinz, ab heute Berater der griechischen Regierung wären, um das alles besser zu machen, was würden Sie anders machen?

    Prinz: Momentan kann man der griechischen Regierung keinen Rat mehr geben, außer dem, was sie tut. Momentan ist ja sozusagen eine technokratische Regierung eingesetzt worden mit jemandem, der sich auskennt, der vorher in der Europäischen Zentralbank tätig war. Und ich denke, momentan sind die Aussichten oder das, was Griechenland machen kann, sehr beschränkt. Sie müssen Geld von außen erhalten, an den Kapitalmärkten bekommen sie nichts mehr, sie hängen am Tropf der Europäischen Union, sie hängen am Tropf des Währungsfonds und sie müssen alle Auflagen erfüllen. Bisher haben sie nicht viele Auflagen erfüllt, das geht aus den Berichten hervor. Eigentlich hätte man ihnen gar kein Geld mehr geben dürfen, weil sie weder die Bedingungen erfüllt haben, noch die Einsparziele erreicht haben, was auch nicht sehr wahrscheinlich war, dass sie das überhaupt erreichen können. Daran zeigt sich das ganze Dilemma. Wenn man in einer solchen Situation mal ist, bleibt einem nur noch der letzte Rettungsanker, nämlich Geld von außen, und dann muss man den harten Weg gehen und tatsächlich sparen, sparen, sparen. Man kann sich aus Schulden alleine kaum heraussparen, aber man kann sparen, um dann Geld von außen zu bekommen, um wieder wachsen zu können.

    Müller: Jetzt steht ja nun auch seit dieser Woche Deutschland auf dieser schwarzen Liste von Standard & Poor's, zumindest ist das angekündigt. Was können, sollen die Deutschen anders, besser machen?

    Prinz: Momentan können sie nur mit Frankreich zusammen versuchen, eine glaubhafte Lösung für die Eurokrise herbeizuführen. Was anderes geht nicht mehr. Also sie müssen jetzt diese Woche zu einem Beschluss kommen, und dann wird man sehen, ob die übrigen Staaten ihnen folgen werden. Es gibt ja zwei Probleme: Erstens kann man versuchen, das Problem innerhalb der Europäischen Union zu lösen, also innerhalb von 27 Ländern. Falls das nicht funktionieren sollte, muss man es halt innerhalb der 17 Länder der Währungsunion versuchen. Wenn das auch scheitern sollte – das wage ich mir gar nicht vorzustellen, was dann im nächsten Jahr an den Kapitalmärkten los sein wird -, dann wird wahrscheinlich das Chaos richtig ausbrechen. Also man muss jetzt eine Lösung finden und es muss noch dieses Jahr eine Lösung gefunden werden, da im nächsten Jahr wichtige Länder, die eben kritisch sind, Italien, Spanien und so weiter, so viel Geld an den Kapitalmärkten refinanzieren müssen, dass ohne eine solche Lösung ich mir nicht vorstellen kann, dass das gut geht.

    Müller: Reden wir über die bösen Ratingagenturen. Muss es eine europäische Ratingagentur geben?

    Prinz: Das bringt meiner Ansicht nach nichts, und zwar jetzt auf die Ratingagenturen einzuschlagen, nur weil sie eigentlich das widerspiegeln, was in den Märkten eh bekannt ist, nämlich dass die Eurozone kurz davor steht, in die Rezession abzugleiten, dass das die Finanzen der beteiligten Länder unter Druck setzen wird und so weiter, ihnen das vorzuwerfen, halte ich für opportunistisch. Man schlägt jemanden, um von sich selber abzulenken. Ich meine, das Problem in der Eurozone liegt ja nicht an den Ratingagenturen, sondern an den Ländern selber, die es bisher nicht geschafft haben, für diese schlimmste Krise, die wir jemals in Europa hatten, eine Lösung zu finden. Dafür die Ratingagenturen verantwortlich zu machen, sehe ich nicht. Dass sie möglicherweise dazu beitragen, dass die Situation noch ein bisschen schwieriger wird, mag so sein. Nur halt würde man umgekehrt, wenn die Ratingagenturen jetzt nichts sagen würden, wir rutschen in eine Rezession und es wird schwieriger für alle beteiligten Länder, ihnen hinterher wieder vorwerfen, dass sie dazu nichts gesagt haben. Sie haben die Investoren über die Risiken zu informieren, das ist ihr Job.

    Müller: Kommen wir, Herr Prinz, noch einmal abschließend auf Ihr Buch zu sprechen. "Abgebrannt" – ich sagte es – "Unsere Zukunft nach dem Schulden-Kollaps." Das wird viele jetzt überraschen. Das heißt, Sie wissen schon, dass es eine Zukunft nach dem Schulden-Kollaps gibt. Das heißt, wir kommen aus den Schulden wieder heraus?

    Prinz: Wissen Sie, es gab ja schon mehr als eine Staatspleite in der Geschichte der Staaten, und ein Staat hat gar keine andere Möglichkeit, als zu überleben. Die Frage ist nur unter welchen Bedingungen. Also ich denke nicht, dass wir auf eine Währungsreform zulaufen, wie das schon einmal ab und zu gesagt wird, aber es wird große Veränderungen sicherlich im Euroraum geben müssen, eventuell auch in der Europäischen Union. Wir haben eine Zukunft nach dem Schulden-Kollaps und wir werden hoffentlich diesmal etwas länger und etwas intensiver aus dieser schlimmen Krise lernen, als wir das bisher getan haben, wo im Wesentlichen verdrängt worden ist, dass der Euroraum kein entsprechend guter Währungsraum ist und dass es eben Probleme vor allem am Rand der Währungsunion gibt und dass diese Probleme nun wirklich tatsächlich angegangen werden müssen.

    Müller: Werden alle an Bord bleiben?

    Prinz: Ja, das ist eine große Frage. Die ist momentan meiner Ansicht nach abschließend gar nicht beantwortbar. Aber zunächst würde ich sagen, dass die Eurozone so erhalten bleibt. Aber ob das in zehn Jahren noch so sein wird, kann ich nicht sagen. Das mag sein, dass das nicht richtig ist.

    Müller: Der Münsteraner Wirtschaftswissenschaftler Professor Aloys Prinz bei uns im Interview. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Prinz: Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.