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"Man sollte den Mannesmut haben, sich dazu zu bekennen."

Noch immer ist nicht klar, wer sich bei der Bundespräsidentenwahl gegen Christan Wulff stellte. Elmar Brok, Mitglied im CDU-Bundesvorstand, ist darüber enttäuscht und fordert von den Delegierten mehr Mut, in der Sache seine Meinung zu vertreten.

Elmar Brok im Gespräch mit Stefan Heinlein | 02.07.2010
    Stefan Heinlein: Zweimal Verlängerung und dann alles andere als ein glanzvoller Sieg. Christian Wulff geht angeschlagen in sein neues Amt als Bundespräsident und die Kanzlerin muss sich fragen, ob sie noch den vollen Rückhalt ihrer schwarz-gelben Truppen hat. Die Aufarbeitung des Wahldisasters wird die Koalition wohl noch eine Weile beschäftigen. In vielen inhaltlichen Fragen droht künftig erneut die Zerreißprobe.
    Mitgewählt und miterlebt hat diesen dramatischen Tag der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Er ist Mitglied im Bundesvorstand seiner Partei. Guten Morgen, Herr Brok.

    Elmar Brok: Guten Morgen!

    Heinlein: Haben Sie Christian Wulff in allen drei Wahlgängen Ihre Stimme gegeben?

    Brok: Ja, ich habe ihm in allen drei Wahlgängen meine Stimme gegeben. Ich kenne ihn, seitdem er 16 ist, als aktiven Vorsitzenden der Schülerunion, und habe gesehen, wie dieser Mann im Laufe der Jahre gewachsen ist, und glaube, dass er für dieses Amt jetzt geeignet ist.

    Heinlein: 44 Abgeordnete der Koalition verweigerten aber im ersten Wahlgang dem Kandidaten Christian Wulff ihre Zustimmung. Wissen Sie inzwischen, wer das war?

    Brok: Nein. Das wird man auch nie herausfinden und das ist auch vergebliche Liebesmüh, dies herauszufinden. Das ist ja auch das Bedauerliche, dass Leute nicht dazu stehen. Man sollte dann den Mannesmut haben, sich dazu zu bekennen, und das ist leider Gottes nicht erfolgt.

    Heinlein: Hat sich denn niemand, tatsächlich niemand in den Fraktionssitzungen Ihrer CDU während der Bundesversammlung offen bekannt, dass er für Gauck stimmen wird?

    Brok: Nein, nicht ein einziger.

    Heinlein: Was schließen Sie daraus?

    Brok: Ich schließe daraus, dass das möglicherweise gar nicht mit dem Kandidaten Wulff zu tun hat, und für Christian Wulff ist das auch wahrscheinlich schnell erledigt. In drei, vier Wochen redet keiner mehr darüber, ob er im ersten oder dritten Wahlgang gewählt worden ist. Auch Roman Herzog ist im dritten Wahlgang gewählt und ist einer der großen Präsidenten geworden. Das ist vielmehr ein Problem der innerparteilichen Auseinandersetzung und ein Problem der Koalition, des schlechten Dastehens in Berlin zurzeit, und ist, glaube ich, noch mal eine wichtige Mahnung an die Parteiführung, jetzt doch anständig miteinander umzugehen, um über sachliche Debatten Lösungen für unser Land zu erreichen und nicht so sehr über solche öffentlichen Auseinandersetzungen mit Vokabular, das nicht sinnvoll ist, wenn man eine Partnerschaft hat.

    Heinlein: Sie sagen, es hat nichts mit Christian Wulff zu tun, diese 44 Gegenstimmen. Waren das also Stimmen gegen Merkel?

    Brok: So will ich das nicht sagen - natürlich waren sicherlich auch einige Stimmen dabei, die mit dem Anerkennen von Herrn Gauck zu tun haben -, sondern das ist ein Bild, das innerhalb der Koalition insgesamt gegeben ist, und wir müssen ja sehen, dass es ungeheuer schwer ist, dass gerade diese Auseinandersetzungen in vielen Bereichen zwischen Vertretern der beiden kleineren Parteien innerhalb der Koalition Probleme mit sich gebracht haben, zwischen CSU und FDP, und dass das manchmal doch schwer anzuschauen ist und schwer zu lenken ist. Es sind drei Parteien letztlich.

    Heinlein: Sind also die inneren Probleme der Koalition größer, als man in der Öffentlichkeit vermutet? Sie können das ja aus der Distanz aus Brüssel beurteilen. Sie sind aber auch als CDU-Bundesvorstandsmitglied ja regelmäßig in Berlin.

    Brok: Ich meine, es gibt natürlich immer unterschiedliche Auffassungen, und ich habe mehr den Eindruck, dass es hier Probleme gibt der Selbstbeförderung, Fragen, die mit menschlichem nicht miteinander können zu tun haben, denn es ist ja das Normalste in der Welt, dass man erst innerhalb einer Partei und dann innerhalb einer Regierung unterschiedliche Auffassungen hat. Da ist ja nichts Schlimmes daran. Im Gegenteil: in einer Demokratie gehört es ja zu einem solchen Prozess, sich über unterschiedliche Positionen dann schließlich anzunähern. Es ist die Art und Weise, wie es geschieht, was die Menschen in unserem Lande aufregt, was die Basis in der Partei aufregt, dass was heute beschlossen wird morgen nicht gilt, von irgendeinem wieder in einem Interview in Frage gestellt wird, und dann würde man sich manchmal wünschen, die sollten vielleicht zwei Tage länger hinter verschlossenen Kämmerlein miteinander reden und dann gemeinsam nach vorne kommen, als die Verhandlungen über Interviews zu führen.

    Heinlein: Unterschiedliche Meinungen offen artikulieren, das sei normal für eine Demokratie, sagen Sie, Herr Brok. Ist das tatsächlich so? Trauen sich in den Parteisitzungen, die Sie erleben, tatsächlich Abgeordnete, offen ihrer Vorsitzenden die Meinung zu sagen und sie auch offen zu kritisieren?

    Brok: Auch das geschieht, aber es geht hier gar nicht darum, dass man eine Person kritisiert, sondern dass man den Mut hat, in der Sache seine Meinung zu artikulieren.

    Heinlein: Geschieht das?

    Brok: Ja, das geschieht. …, und dass man dann in der Sache miteinander so redet, dass man am Ende sein Ergebnis erzielt. Was aufregt ist, dass dieses immer mit verbalen Injurien, Angriffen auf den anderen geschieht, über Medien, über Interviews und so weiter, und dass dieses, glaube ich, abgestellt werden müsste, denn diese Kampfeshaltungen über Medien, die angeblich Positionen befördern sollen, erreichen ja das Gegenteil, wie wir sehen und wie ja die öffentliche Meinung sich entwickelt hat.

    Heinlein: Sind denn nach Ihrem Eindruck alle zufrieden mit dem Führungsstil der Kanzlerin, oder braucht es mehr Basta-Worte, mehr klare Worte, mehr Führung? Das wird ja nun offen gefordert.

    Brok: Ich glaube, das ist natürlich klar, dass hier geführt sein muss, aber gleichzeitig ist natürlich auch die Bereitschaft notwendig, sich führen zu lassen und auf diese Auseinandersetzung zu verzichten. Ich glaube, es müssten hier wirklich mal, wer es übertreibt, glaube ich, Schlussfolgerungen gezogen werden, und hier sind allerdings alle drei Parteivorsitzenden gefordert, denn die Kanzlerin kann ja schwer jemand aus der CSU und der FDP maßregeln. Deswegen muss das, glaube ich, eine gemeinsame Positionierung sein und diejenigen, die das übertreiben in den Auseinandersetzungen, müssen merken, dass das für sie nicht beförderlich ist.

    Heinlein: Alle drei Parteivorsitzenden sind gefordert, sagen Sie. Wer hat denn seine Truppen nicht im Griff, Merkel, Seehofer oder Westerwelle?

    Brok: Na ja, dass ich jetzt hier eine Differenzierung durchführe, geht vielleicht zu weit.

    Heinlein: Wäre schon interessant!

    Brok: Das überfordert mich wahrscheinlich auch. Aber ich glaube, dass dies vornehmlich – nicht ausschließlich, muss ich sagen, aber vornehmlich – eine Auseinandersetzung zwischen einigen Vertretern der FDP und der CSU ist. Wenn ich etwa diese Auseinandersetzung Rösler-Söder sehe und solche Dinge, oder jetzt, was Frau Haderthauer gesagt hat, dann sind das ja Positionierungen, die einfach in der Art und Weise nicht akzeptabel sind.

    Heinlein: Kann man vor dem Hintergrund, was Sie gerade gesagt haben, dann auch schlussfolgern, dass diese 44 Stimmen vornehmlich aus dem Lager der FDP und der CSU kamen?

    Brok: Nein, das will ich nicht sagen. Das kann ich nicht beweisen. Ich glaube, die kommen von allen her und sind vielleicht auch Ausdruck des Frustes über das Gesamterscheinungsbild.

    Heinlein: Glauben Sie denn, dass die Koalition die Kraft und den Mut aufbringen wird, diesen Frust, und diese Gründe für das Wahldisaster nun umfassend und ehrlich aufzuarbeiten und sich dann auf die Inhalte zu konzentrieren?

    Brok: Ich glaube ja und hoffe ja, und ich hoffe, dass auch der Druck von der Basis her erkannt wird, denn hier ist die Basis oftmals sehr viel vernünftiger als viele Strategen an der Front. Ich glaube, dass von daher der Zwang kommt, hier sich so zu verhalten, und ich glaube ja auch letztlich, dass das Vertrauen in die Vernunft der Menschen, dass dieses Vertrauen immer noch das größte sein sollte.

    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Herr Brok, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören nach Brüssel.

    Brok: Ich danke auch. Auf Wiederhören!