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"Man sollte ein Bekenntnis zum Grundwertekatalog verlangen"

Integration kann nach Ansicht von Werner Schiffauer, Professor für Kulturwissenschaften und Ethnologie, nicht durch Fragebögen ermittelt werden. Ein Bekenntnis zu dem Grundwertekatalog sei allerdings ratsam, da er das Selbstverständnis der Gesellschaft widerspiegele. Schiffauer plädierte außerdem für praktische Formen der Identifikation wie das kommunale Wahlrecht.

26.03.2006
    Köhler: In der Diskussion um die Einbürgerung, da sind die Frontenverläufe durchaus unscharf. Da gibt es einerseits die Befürworter der Einbürgerungsfragebögen wie den hessischen Ministerpräsidenten, der das auch im Alleingang machen will, sowie den Unions-Generalsekretär Volker Kauder, der gar einen nationalen "Aktionsplan Integration" fordert. SPD-Innenexperte Wiffelspütz hält Fragebögen indes für ungeeignet, möchte aber auch ein Bekenntnis der Einbürgerunswilligen. Frage deshalb an Werner Schiffauer, Professor für Kulturwissenschaften und Ethnologie an der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder und Spezialist für solche Integrationsfragen. Kann man mit Fragebögen, die Wissen abfordern, kulturelle Integration herstellen oder messen?

    Schiffauer: Ich glaube nicht. Fragebögen können, wie Sie schon sagen, allenfalls Wissensbestände abmessen. Diese Wissensbestände können relativ schnell und zügig erworben werden. Es wird da auch Agenturen geben, die sich dessen annehmen. Von Fragebögen wird viel zu viel erwartet, in diesem Zusammenhang.

    Köhler: Dennoch ist ja der Antragsteller in einer gewissen, ich nenne es einmal Bringschuld. Es reicht nicht unauffällig zu leben, im Gastland. Ein sichtbares Zeichen der Einbürgerungswilligen zu verlangen, wie das übrigens auch Bundestagspräsident Lammert gefordert hat, ist doch legitim, oder?

    Schiffauer: Ja, wobei wir schon sehen müssen, dass sich hier die Debatte etwas verschoben hat. In den 90er Jahren war noch sehr deutlich, dass man ja durch den Zwang, die alte Staatsbürgerschaft aufzugeben, bereits ein ziemlich hohes symbolisches Opfer verlangt und auch eine ziemlich hohe symbolische Hürde setzt. Viele Migranten, auch übrigens der zweiten und dritten Generation, haben durchaus noch eine Identifikation mit dem Herkunftsland beziehungsweise dem Herkunftsland dieser Eltern. Das ist die erste Hürde, die tatsächlich zu nehmen ist, und die schon ein Bekenntnis zum neuen Staat abverlangt. Hinzu kommt, dass Einbürgerung ja nicht von heute auf morgen kommt. Es ist ja nicht so, dass jemand zwei Monate in einem Land lebt und sich dann einbürgern lassen kann. Er lebt eine geraume Zeit in diesem Land und verhält sich in diesem Zeitraum straffrei, das wird abgefragt, und beteiligt sich eben an praktischen Lebensvollzügen dieses Landes. Er zahlt Steuern, er arbeitet, et cetera.

    Köhler: Ohne dabei dann aber die Identifikationen mit dem Herkunftsland ganz aufgeben zu müssen? Ohne sie auch aufgeben zu können?

    Schiffauer: Ohne sie aufgeben zu können. Und ohne sie aufgeben zu müssen. Ich lege eigentlich viel mehr Wert auf sozusagen praktische Formen, mit denen Identifikation eingeübt und gelernt werden könnte. Eine der Möglichkeiten wäre etwa das kommunale Wahlrecht, wo sich Bürger unterhalb der Einbürgerung engagieren können und nicht nur engagieren können, sondern auch etwas bewirken können. Das ist eine Möglichkeit, die schon lange angedacht wurde, die immer wieder verworfen wird, was ich schade finde, in diesem Zusammenhang.

    Köhler: Ich greife das einmal auf, was Sie gerade genannt haben: Praktische Identifikation. Bevor ich gleich noch einmal auf eine Problematisierung komme. Ich glaube ich trete Ihnen nicht auf die Füße, wenn ich behaupte, Sie und ich hätten auch den Test nicht ganz fehlerfrei, oder zumindest nicht ganz vollkommen richtig, absolviert. Mit Fragebogen Parallelgesellschaften zu bekämpfen ist wenig wirkungsvoll. Müsste es nicht andere Formen, ich nenne das mal der sozialen Prämierung geben? Also, könnte man nicht einen Mann oder Frau, einen Einbürgerungswilligen, prämieren, belohnen, der sich, sagen wir, im örtlichen Schwimm- oder Turnverein engagiert? Also irgendwelche integrationsnahen oder integrationsfördernden Tätigkeiten anzuerkennen und damit dann zu einer Art Anerkennungsintegration zu kommen und weniger eine Fahrprüfung abzulegen.

    Schiffauer: Also, das wäre zumindest ein Schritt in die richtige Richtung und würde sich mit dem was ich zum kommunalen Wahlrecht gesagt habe auch durchaus decken. Das Problem ist immer so, was macht man mit denen, die sich nicht aktiv engagieren, in der ein oder anderen Sicht. Da können persönliche Schwächen oder so etwas eine Rolle spielen. Dass man aber so etwas, ein kommunales Engagement, bei einem Einbürgerungswilligen dann prämiert und anerkennt, das finde ich hervorragend und einen Schritt in der richtigen Richtung.

    Köhler: Lassen Sie es uns trotzdem noch mal ein bisschen problematisieren. Eine bundeseinheitliche Lösung scheint ja ratsam. Hat die Bundesbeauftragte für Integration, Frau Böhmer, eigentlich mal mit Ihnen oder Integrationsforschern Kontakt aufgenommen?

    Schiffauer: Mit mir nicht und von anderen weiß ich es ebenfalls nicht. Was ich einen Schritt in die richtige Richtung auch finde, wäre die Überlegung mit dem Grundwertekatalog unserer Verfassung. Das ist ja nun wirklich eine Form, wo das Selbstverständnis, unser Selbstverständnis, geprägt wird. Und dass man hier zu einem Bekenntnis zu dem Grundwertekatalog ablegt, das erscheint mir ratsam. Ohne dann allerdings ihn im Einzelnen wieder ausbuchstabieren zu wollen, wie das in Baden-Württemberg der Fall war.

    Köhler: Ich greife das mal auf. Unter Bedingungen des verschärften Kulturkonflikts, also das was Soziologen Segregation nennen, auch in unseren Städten, und der teils immer noch missachteten Menschenrechte, also die Fälle von Ehrenmorden, Zwangsverheiratung - Sie haben selber darüber ja gearbeitet - kann man doch ein Bekenntnis zum Grundgesetz, wenn nicht verlangen, so zumindest doch auf dessen Einlösung bestehen, oder nicht?

    Schiffauer: Ja, und das sollte man auch. Man sollte ein Bekenntnis zum Grundwertekatalog verlangen und man sollte den Grundwertekatalog vermitteln. Das Problem der Diskussion im Augenblick ist, dass man diese ganzen Sachen fokussiert und zu einem Misstrauensdiskurs gegen eine ganz spezifische Bevölkerung wendet. Und das ist nun wirklich, im Bezug auf die Identifikationsbemühungen, wirklich kontraproduktiv. Der Punkt ist, dass man, wenn man einer Bevölkerung Misstrauen entgegenbringt, man tatsächlich die Identifikation verhindert. Wenn man jemanden misstrauisch abfragt, stehst Du zu diesem Punkt, stehst Du zu diesem Punkt, und dabei die Punkte im Grundwertekatalog selektiert, womit man meint, eine bestimmte Gruppe, also die Muslime, überführen zu können, dann führt das dazu, dass diese sich zu Recht in die Ecke gestellt fühlen und die Distanz zu der Einbürgerungsgesellschaft wächst. Wenn Grundwertekatalog, dann der Ganze. Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit. Elternrechte und Schulrechte. Und dann die Forderung und die Überlegungen, dass im Konfliktfall das abgewogen werden muss, das ist der Geist unserer Verfassung.

    Köhler: Nun lehrt ja das einfache Leben, dass das mit den Vorschüssen, egal ob in monetärer oder in anderer Hinsicht, ja so eine Sache ist. Ob man die dann auch zurückgezahlt bekommt, wenn der Vorschuss zu groß ist?

    Schiffauer: Das ist die Krux von jeder Vertrauenskultur. Vertrauen lebt davon, von unbegründeten Vorschüssen. Es ist ein Kredit. Und die Logik des Vertrauens ist, dass in der Regel Vertrauen Vertrauen erzeugt. Nicht in jedem Fall und nicht im einzelnen Fall. Aber Misstrauen erzeugt das Gegenteil, erzeugt Distanz. Die Sache, dass Vertrauen gut ist und Kontrolle besser, ist ein Rezept, an dem der Sozialismus schon gescheitert ist.

    Köhler: Sie haben gearbeitet über Ehrenmorde. Sie haben gearbeitet über Fälle von Zwangsverheiratung und ähnlichem. Sehen Sie da, im Zuge auch einer kulturellen Adaption, Besserung mit der Zeit oder bleibt das immer noch ein virulentes, ein großes problematisches Feld?

    Schiffauer: Es bleibt ein großes und problematisches Feld. Wofür ich bloß plädiere ist, dieses Feld zu trennen von der Einbürgerung, und von den Bürgerschaftsfragen. Das heißt, wir dürfen uns von Einbürgerungssachen, Fragebögen, aber auch Bekenntnissen zur Verfassung, nicht versprechen, dass wir solche Probleme in den Griff bekommen. Diese sind auf einer ganz anderen Ebene angesiedelt und werden sich auch durch ein perfektioniertes Integrationsversprechen überhaupt nicht angehen lassen.

    Hier finden andere Mechanismen statt. Hier findet beispielsweise Ausdruck einer Migrantenkultur, die sich in sich selbst zurückzieht aus ganz verschiedenen Gründen, die aber mit der Herkunftskultur wenig zu tun haben, statt. Wir wissen es ja, dass Einwanderer oft konservativer sind als im Heimatland, einfach weil sie sich gegen die Mehrheitsgesellschaft meinen verteidigen zu müssen. Und hier führt zusätzlicher Druck oft ganz kontraproduktiv wieder dazu, dass die Leute ihre Borsten aufstellen, dass sie in Verteidigungshaltung et cetera gehen und sich tatsächlich zurückziehen. Und all das ist der Boden, wo tatsächlich solche Probleme aufkommen können. Ich habe den Eindruck, wenn wir tatsächlich die Integration schaffen, wenn wir Vertrauensvorsprünge geben, dann lockern wir diese Fronten auf und schaffen die Grundlage, den Boden, für die Möglichkeit, dass sich etwas ändert. Es wird sich nicht in jedem einzelnen Fall ändern, es wird sich auch nicht immer ändern, aber die Chance dazu ist da.