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Manche mögen's kalt

Mikrobiologie. - In Vulkanen und heißen Quellen haben Biologen schon vor längerer Zeit Lebewesen gefunden - Bakterien, die an das Leben in der Hitze bestens angepasst sind. Doch auch an den extrem kalten Orten der Erde gibt es Leben, zum Beispiel im ewigen Eis an den Polen und im Hochgebirge. Was diese Einzeller auszeichnet und was man mit ihnen anfangen kann, das ist das Thema einer Tagung in Innsbruck, die heute zu Ende geht.

Von Hellmuth Nordwig | 30.03.2006
    Man findet sie in Permafrostböden, auf den Gipfeln des Himalaja und in Eisbohrkernen, die seit Jahrtausenden gefroren sind. Die Rede ist von den kältetoleranten Einzellern, vor allem Pilze und Bakterien. Seit einigen Jahren stehen molekularbiologische Methoden zur Verfügung, um deren Erbgut rasch zu untersuchen. Dabei wurden viele bislang unbekannte Einzeller entdeckt, berichtet Rosa Margesin, Professorin am Institut für Mikrobiologie der Universität Innsbruck.

    "Wir haben auch eine neue Art gefunden und aus Material vom Stubaier Gletscher isoliert: den so genannten Paedobacter cryoconitis, benannt nach dem Cryoconit, das sind schwarze organische Ansammlungen, wie man sie häufig auf Gletschereis vorfindet. Also die Wahrscheinlichkeit, immer neue Gattungen und Arten zu entdecken, ist sehr hoch."

    Vergleicht man ein Lebewesen wie das Bakterium vom Stubaier Gletscher mit verwandten Einzellern, die sich bei höheren Temperaturen wohlfühlen, dann zeigt sich: Die Natur hat hier das Rad nicht neu erfunden. Grundsätzlich sind die Zellen gleich aufgebaut, egal, ob ein Bakterium in der Hitze eines Vulkans lebt oder im ewigen Eis der Antarktis. Drei Dinge fallen aber doch auf. Margesin:

    "Eines der Kennzeichen solcher Kälte liebender Organismen ist, dass sie Bestandteile produzieren, die sie vor Frost schützen. Das sind zum Beispiel Frostschutzproteine."

    Also Eiweiße, die das gleiche bewirken wie der Frostschutz in der Scheibenwaschanlage. Sie ermöglichen das Leben bis etwa 12 Grad unter Null. Auch der zweite Unterschied hat mit Eiweißen zu tun, genauer gesagt, mit den Enzymen, die an allen Stoffwechselvorgänge beteiligt sind. Sie sind in ihrem Aufbau deutlich biegsamer als die Enzyme, die bei höherer Temperatur funktionieren. Sie bringen deswegen die Partner einer Stoffwechselumsetzung auch dann noch zusammen, wenn die sich wegen der Kälte recht langsam bewegen und nicht so recht miteinander reagieren wollen. Margesin:

    "Ein weiterer wichtiger Unterschied ist zum Beispiel die Zusammensetzung der Membranen solcher Bakterien: Sie haben einen sehr hohen Anteil ungesättigter Fettsäuren und dies ermöglicht die Aufrechterhaltung der Fluidität der Membran."

    Denn Zellmembranen bestehen im wesentlichen aus einer Art Fett. Und je mehr ungesättigte Fettsäuren enthalten sind, desto flüssiger ist ein Fett auch bei tieferer Temperatur. Frostschutzmittel, eine spezielle Zusammensetzung der Fette und angepasste Enzyme - das ermöglicht das dauerhafte Leben auch unterhalb des Nullpunkts. Vor allem die Enzyme sind in den letzten Jahren auch für technische Anwendungen interessant geworden. Margesin:

    "Denn wenn Prozesse bei niedrigeren Temperaturen ablaufen können, bedeutet das ein enormes Potenzial an Energieersparnis. Hier sind von besonderem Interesse Waschmittelenzyme, da der Trend dahin geht, dass man die Temperaturen während des Waschvorgangs senkt, und andererseits, dass immer mehr synthetische Stoffe und Materialien verwendet werden, und die kann man nicht bei hohen Temperaturen waschen, dann sind sie ruiniert."

    Aus Japan kommen bereits die ersten Waschmittelenzyme, die auch bei niedriger Temperatur funktionieren - mit gentechnischen Methoden nach ihrem Vorbild aus Kälte liebenden Bakterien zusammengebaut. Auch die Nahrungsmittelindustrie entdeckt die Enzyme, die aus der Kälte kommen. Mit ihrer Hilfe sollen schon bald Probiotika erzeugt werden, also Lebensmittel-Zusatzstoffe mit einem angeblichen Nutzen für die Gesundheit. Und auch Milch für Eiweißallergiker könnte leichter hergestellt werden als bisher. Es sind also auch ganz handfeste Anwendungen, die Forschern an den Polen und auf Gletschern nach Leben suchen lassen.