Donnerstag, 18. April 2024

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Manfred Weber wird EVP-Spitzenkandidat
"Europa zieht seine eigene politische Elite heran"

Die nationale Politik sei immer noch die Kraftquelle für Europa, sagte der Politikwissenschaftler Jan Techau im Dlf. Der zum Spitzenkandidat der EVP für die Europawahl gekürte CSU-Politiker Manfred Weber bediene sowohl die deutschen als auch die Brüsseler Interessen. Das sei eine gute Mischung.

Jan Techau im Gespräch mit Daniel Heinrich | 09.11.2018
    Manfred Weber, EVP
    Manfred Weber leitet die EVP seit 2014. (AFP / Emmanuel Dunand)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist Jan Techau, Politikwissenschaftler beim German Marshall Fund Berlin. Guten Abend, Herr Techau.
    Jan Techau: Hallo! – Guten Abend.
    Heinrich: "Hast Du einen Opa, dann schick ihn nach Europa." Den Spruch gab es mal. Manfred Weber ist 46. Da hat sich viel getan, oder?
    Techau: Ja! Es ist so, dass diese Europaschiene schon längst nicht mehr der Friedhof der abgelegten Politiker ist. Erstens entdecken viele nationale Politiker Europa längst als Spielfeld, weil da manchmal auch Karrieren möglich sind, die einem vielleicht sogar zuhause verstellt sind. Und dann ist es auch so, dass es eine Menge Rückkehrer gibt, viele, die in Brüssel ihren Weg gemacht haben und den Weg zurück in die Bundespolitik finden. Und dann gibt es noch eine dritte Kaste, und das sind diejenigen, die in Europa in eigenem Recht politisch wachsen werden. Europa zieht seine eigene politische Elite doch langsam heran, und Manfred Weber, der zwar in der CSU verwurzelt ist, und auch in Bayern, aber der natürlich in Brüssel an Statur gewonnen hat als Fraktionsvorsitzender der EVP im Europäischen Parlament, der gehört zu dieser Kaste. Deswegen ist der Schritt jetzt hin in Richtung Kommission, dort Chef zu werden, aus seiner Sicht eigentlich der logische.
    Heinrich: Sie sprechen Karrieren schon an. Lassen Sie uns mal auf die Person Weber gucken: Geboren in der niederbayerischen Provinz, Hauptschule, Fachabitur, Diplomingenieur an der FH München, Junge Union, CSU, Europaparlament. Seit 2014 führt er die EVP an. Jetzt diese Nominierung. Der Mann, der weiß, was er will, oder?
    Techau: Ja! Das sieht jetzt so, wie Sie das vortragen, nach einem sehr stringenten Lebenslauf aus. Wir wissen aber alle, dass das natürlich in Parteien nicht immer so leicht ist. Da führen einen auch die Zufälle hier und da hin und man muss gucken, welche Öffnungen es gerade gibt. Zu nicht geringem Maße hängt es auch davon ab, was gerade frei wird, was die anderen tun. Dass er sich auf dem zweiten Bildungsweg dann hochgearbeitet hat und diese Karriere jetzt anstrebt, gehört ja immer noch zu den großen Ausnahmen, aber es zeugt von einer Willenskraft und von einem Ehrgeiz.
    "Bei aller Europabegeisterung auch Verwurzelung in der Heimat"
    Heinrich: Wer Manfred Weber persönlich kennenlernt, der erlebt einen nachdenklichen Politiker, jemand, der von Europa stark überzeugt ist. Er ist auch konziliant im Umgang. Ist das ein neues Politikermodell?
    Techau: Eigentlich nicht. Eigentlich gibt es von dieser Sorte Politiker viel mehr, als man denkt und glaubt. Der Europadiskurs ist ja gerade in den letzten Jahren in Deutschland ein bisschen vergiftet. Aber diese sehr nachdenklichen, überzeugten Europäer, die deswegen nicht nur eine Geschichte erzählen können, die in der Tiefe das ausloten können, die auch die Grenzen Europas kennen und die bei aller Europabegeisterung auch eine Verwurzelung in der Heimat haben, das ist gar nicht so ein seltenes Modell, wenn man sich in Brüssel mal umschaut. Für diese Leute ist es natürlich besonders verletzend, wenn sie als heimatlose Gesellen oder Citizens of Nowhere bezeichnet werden oder diffamiert werden. Das entspricht eigentlich nicht der Realität, jedenfalls nicht der Realität aller Leute, die in Brüssel ihren Dienst versehen.
    Heinrich: Hat so einer das, was es braucht, um sich gegen die Populisten und Kraftmeier durchzusetzen?
    Techau: Eigentlich ist seine Mischung ziemlich gut dafür, denn seine Verwurzelung und die Glaubwürdigkeit, die er in der eigenen Partei hat, das erdet ihn natürlich zurück – nicht nur an die eigene Heimat, sondern auch an Deutschland, an das deutsche politische Territorium, was ja in Brüssel durchaus eine ganz wichtige Kategorie ist. Die nationale Politik ist ja immer noch die Hauptkraftquelle für Europa eigentlich. Die Impulse für europäische Integration und auch gegen sie kommen ja aus den Mitgliedsstaaten. Die Brüsseler Institutionen sind ja von sich aus so stark gar nicht. Er kann da auf beiden Tastaturen spielen. Er spielt auf der Heimattastatur, auf der deutschen nationalen Tastatur, und er spielt gekonnt auf der Brüsseler Klaviatur. Er hat dadurch, dass er die EVP-Fraktion jetzt vier Jahre schon geleitet hat, einen ganz wichtigen Schritt gemacht, nämlich in diesem hochkomplexen Gebilde Europäisches Parlament eine wirklich große Fraktion mit 50 Parteien aus den Mitgliedsstaaten, die dazugehören, zu jonglieren, beieinanderzuhalten, bei Stimmung zu halten, zu disziplinieren, und das ist keine geringe Erfahrung auch mit Blick auf den Kommissionsjob.
    "Es gibt ganz große Kritik an Orbán"
    Heinrich: Sie sprechen diesen Balanceakt schon an. Lassen Sie uns mal ein Land rauspicken. Sie werden wahrscheinlich schon wissen, worum es geht: um Ungarn. Weber hat für Viktor Orbán auch Wahlkampf gemacht, die Fidesz-Partei unterstützt. Teilweise ist die rassistisch, islamophob, antisemitisch aufgefallen. Orbán hat dann Weber wiederum seine Unterstützung zugesagt. Wie ist denn dieser Widerspruch aufzulösen?
    Heinrich: Das ist wirklich ein klassischer Akt der Realpolitik. Es gibt natürlich in der EVP-Fraktion gerade bei den deutschen EVP-Abgeordneten ganz große Kritik an Orbán und an der Art und Weise, wie er mit Europa umgeht, wie er polarisiert, auch gegen Deutschland polarisiert. Aber die Überlegung in Brüssel in der EVP-Führung ist immer die gleiche, nämlich dass es erheblich besser ist, Orbán und seine Leute im eigenen Lager zu halten, als sie rauszuwerfen und damit zu Todfeinden zu machen, die sich dann anderen Gruppierungen in Brüssel anschließen. Wenn man sich jetzt anschaut, was im nächsten Jahr bei den Europawahlen passieren kann, nämlich dass wir einen sehr, sehr starken Block im Europaparlament bekommen von Euroskeptikern und offenen Europafeinden, dann kann es am Ende sehr, sehr nützlich sein, die europäischen Abgeordneten aus Ungarn in der EVP-Fraktion zu halten, damit diese andere Gruppierung nicht zu stark wird. Hier geht es wirklich tatsächlich um eine Überlegung, nicht so sehr Sympathie für Orbán, Sympathie für seine Positionen, sondern zu schauen, wie kann die Gruppierung der rechten Mitte mehrheitsfähig bleiben und wie können diese Leute zumindest in Grundzügen diszipliniert werden. Das ist wirklich die hohe Kunst des Brüsseler Schachspiels und hat mit Sympathien für Orbán in dem engeren Sinne eigentlich nicht viel zu tun.
    Heinrich: Wobei es ja auch gewichtige Stimmen innerhalb der EVP gibt, die sagen, Orbán gehört raus, das sollte Weber nicht tun.
    Techau: Ja, diese Stimmen gibt es. Es gibt ganz, ganz herbe Kritik, auch wirklich Fundamentalkritik daran. Aber bisher ist es so, dass sich die Führung der EVP durchgesetzt hat mit diesem realpolitischen Kurs, mit Blick darauf, hier dieser möglicherweise antiskeptischen Europawelle nicht auch noch die Ungarn zuzuführen, denn von sich aus haben diese Ungarn kein Interesse, aus der EVP-Fraktion auszusteigen, denn sie wissen ganz genau, dass dort ihr Einfluss erheblich größer ist, ihr Einfluss auf Gesetzgebung beispielsweise, als er das in so einer antieuropäischen Fraktion wäre. Insofern ist beiden damit gedient und am Ende vermutlich auch Europa insgesamt, auch wenn das Ganze natürlich einen strengen Geruch hat.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.