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Mangelnde Wettbewerbsfähigkeit einzelner Volkswirtschaften

Immer mehr Länder geraten in den Sog der Euro-Krise. Eine Studie des Centrums für Europäischen Politik zeigt, dass viele Volkswirtschaften wegen fehlender Investitionen stark gefährdet sind. Griechenland, Portugal und Zypern, aber mit geringem Abstand auch Frankreich, Spanien und Italien stünden schlecht da, sagt Matthias Kullas vom CEP.

Matthias Kullas im Gespräch mit Gerd Breker | 13.07.2011
    Gerd Breker: Die zugespitzte Euro-Krise bleibt das Top-Thema. Am Montag hatten die Finanzminister ihre feste Entschlossenheit nach einer Marathon-Sitzung in Brüssel bekundet, das hatte die Märkte eher verunsichert, denn beruhigt, weil konkrete Beschlüsse ausblieben. Gestern nun wurde von den Finanzministern der Instrumentenkasten gefüllt, mit dem man der Euro-Krise Herr werden will. Nichts sei mehr ausgeschlossen, hieß es. Nur auch da wurde es wenig konkret, wie man nun vorgehen will. Ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs am Freitag wurde ins Gespräch gebracht, die Entscheider sollten für Vertrauen sorgen.

    Am Telefon sind wir nun verbunden mit Matthias Kullas, er ist beim Centrum für Europäische Politik zuständig für Wirtschafts- und Stabilitätspolitik. Guten Tag, Herr Kullas.

    Matthias Kullas: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Ihr Institut hat einen sogenannten Default-Index erarbeitet, mit dem die Solvenzentwicklung der einzelnen europäischen Staaten bewertet werden kann. Welche Kriterien liegen diesem Index zugrunde?

    Kullas: Vielleicht erst mal ganz grundlegend: Wir haben festgestellt, dass die gegenwärtige Diskussion eigentlich am Kern vorbei geht. Es wird gegenwärtig viel diskutiert über die Höhe der Staatsschulden einzelner Mitgliedsstaaten. Wir glauben aber, das Problem geht eigentlich viel tiefer, es liegt an der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit einzelner Volkswirtschaften. Und diese mangelnde Wettbewerbsfähigkeit hat dann dazu geführt, dass die Volkswirtschaften über ihre Verhältnisse gelebt haben. Deswegen schauen wir uns nicht nur den Staat an, sondern die gesamte Volkswirtschaft, und wir schauen uns an, wie viel Geld hat die Volkswirtschaft eingenommen als gesamte und wie viel hat sie ausgegeben, und können dann daraus schließen, wenn sie mehr Geld ausgegeben hat als eingenommen, dass sie über ihre Verhältnisse gelebt hat. Wir vergleichen das einfach mit einem privaten Haushalt und sagen, ein privater Haushalt kann auch mehr Geld ausgeben als einnehmen, aber entweder nur über einen sehr kurzen Zeitraum, oder für Kredite. Das gleiche gilt auch für Volkswirtschaften und wenn Volkswirtschaften sich für Investitionen verschulden, dann entstehen Rückflüsse später und daraus kann dann dieser Kredit bedient werden. Das haben wir uns angeschaut und haben danach die Volkswirtschaften untersucht, ob die Solvenz steigt, oder ob sie abnimmt.

    Breker: Zu welcher Reihenfolge sind Sie gekommen? Was folgt nach Irland, Portugal, Italien?

    Kullas: Wir sind zu der Reihenfolge gekommen, wenn ich jetzt unten anfange: Am schlechtesten entwickelt hat sich über den Zeitraum von den letzten zehn Jahren Griechenland und Portugal tatsächlich, nur unwesentlich schlechter Zypern, Zypern ist auch in einer sehr schlechten Entwicklung, und Malta. Ebenfalls problematisch, weil sie mehr Geld ausgeben als einnehmen, sind Frankreich, Spanien und Italien. Diese Länder verschulden sich, alle diese Länder, die ich bisher genannt habe, verschulden sich für Konsum. Das heißt, ein Teil der Kapitalimporte aus dem Ausland wird, wie man so schön sagt, verfrühstückt. Es werden keine Investitionen damit getätigt, sodass auch keine Rendite zu erwarten ist.

    Breker: Herr Kullas, wie würden Sie Ihr Vorgehen beschreiben? Ist das so ähnlich, wie Rating-Agenturen vorgehen in ihrer Bewertung? Sind das ähnliche Kriterien?

    Kullas: Das ist ein Teil, den auch Rating-Agenturen machen. Rating-Agenturen haben aber die Aufgabe, dass sie viel zeitnaher sind. Wir schauen nur auf die Daten der Vergangenheit und wir schauen uns die Daten bis 2010 an, weil wir auf offizielle Daten von Eurostat angewiesen sind. Was man jetzt bei den Rating-Agenturen sehr schön sieht ist, dass sie auch die Tagespolitik verfolgen und sehr aktuell am Rand auf Entscheidungen der Tagespolitik reagieren. Das können wir nicht, wir können immer erst mit einer gewissen Verzögerung, wenn es offizielle Daten gibt, reagieren. Aber diese Daten, die wir uns anschauen, bin ich mir sicher, schauen sich auch die Rating-Agenturen an.

    Breker: Nun haben gestern die Finanzminister der Euro-Zone den Instrumentenkasten gefüllt, mit diesen Instrumenten will man der Krise Herr werden. Das klingt alles eindrucksvoll. Was aber immer noch fehlt, ist eine konkrete Politik, es wurde ja nichts entschieden.

    Kullas: Das Problem ist gegenwärtig, dass wir in der Situation sind, wo es kein Äquivalent gibt, von dem wir irgendwie lernen können. Es gab diese Situation noch nicht und entsprechend weiß auch eigentlich keiner, was momentan zu tun ist, um dieses Problem zu lösen. Wir vom CEP sagen, setzt an der Wettbewerbsfähigkeit an, schaut nicht nur auf die Staatsverschuldung, sondern macht etwas, dass investiert wird in den Ländern, dass Unternehmertum in diesen Ländern wieder eine Chance bekommt, dass das aufblüht und dass die Länder damit wieder wettbewerbsfähig werden und damit diese Problematik gelöst wird. Aber das ist natürlich ein sehr, sehr langfristiger Ansatz, das ist nichts, was innerhalb eines Jahres geht.

    Breker: Wenn wir uns die Wettbewerbsfähigkeit anschauen, Herr Kullas, dann ist Griechenland definitiv pleite, denn die haben ja gar keine Industrie, die hoffen ließe, dass die Griechen irgendwann ihre Schulden zurückzahlen können.

    Kullas: Das ist so richtig. Momentan ist das in Griechenland nicht abzusehen, dass Griechenland irgendwann all diese Mehrwerte erwirtschaftet, damit es seine Kredite zurückzahlen kann.

    Breker: Da ist die Frage, welches Drama würde denn für Griechenland ein Ausstieg aus dem Euro bedeuten?

    Kullas: Wir haben uns das auch mal angeschaut und haben geschaut, man kann das ungefähr vergleichen mit anderen Ländern, die ihre Dollar-Bindung aufgeben. Eine eigene Währung einführen, als die Drachme wieder, ist nichts anderes als damals Brasilien, die die Dollar-Bindung aufgegeben haben, oder asiatische Länder, die das ja auch gemacht haben. Das ist vergleichbar und für diese Länder, muss man sagen, war der Schritt sehr heilsam. Es ist kurzzeitig problematisch, ohne Frage, aber in der langen Sicht ist das ein sehr heilsamer Schritt, weil abgewertet werden kann. Und kein Land, auch wenn es bisher immer verhindert werden sollte bei solchen Ländern, die ihre Dollar-Bindung aufgegeben haben, hat es geschafft, eine Abwertung zu vermeiden, und das ist gesund für ein Land, denn diese realwirtschaftlichen Reformen, die nötig werden, wenn man eine Abwertung ausschließen will, die sind politisch nicht durchsetzbar. Das sieht man jetzt in Griechenland ganz stark.

    Breker: Bei der Einführung des Euros wurde damals ausgeschlossen, dass dies zu einer Transferunion werde. Nun de facto haben wir sie. Das bedeutet natürlich auch Probleme der Euro-Länder in ihren nationalen Parlamenten.

    Kullas: Ja, das ist richtig. Wenn ich mir anschaue, dass Deutschland mittlerweile mit ungefähr drei Viertel des Bundeshaushalts haftet für andere Staaten, ist das natürlich höchst problematisch. Es ist auch in Deutschland schon, wenn man das vergleicht: Wir haben ja in Deutschland auch einen Länderfinanzausgleich und darüber hinaus noch viel stärkere Transfers innerhalb der sozialen Sicherungssysteme, und auch da sieht man, das sind Transfers, die dauerhaft laufen, Länder wie Saarland oder Bremen, die bekommen seit Jahrzehnten Hilfen von anderen Staaten, und das ist natürlich problematisch für ein Parlament oder für einen Politiker, der seinem Bürger jetzt erklären muss, dass Geld, was wir hier erwirtschaften, nach Griechenland fließt, und das dauerhaft.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das Matthias Kullas, er ist beim Centrum für Europäische Politik zuständig für Wirtschafts- und Stabilitätspolitik. Herr Kullas, ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch.

    Kullas: Ich danke Ihnen auch!

    Die Äußerungen unserer Gesprächspartner geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.