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Mannesmann-Affäre ohne Ende

Die Geschichte um Mannesmann, Vodafone und viel Geld hatte alle Facetten eines saftigen Wirtschaftskrimis und wurde über Wochen auch medial mit einer Intensität begleitet, die so noch nie in der deutschen Ökonomiegeschichte beobachtet wurde. Die Stationen des Rekorddeals nehmen sich auch im nachhinein noch dramatisch aus - und werden die Juristen noch geraume Zeit beschäftigen.

Von Klaus Hempel, Brigitte Scholtes und Volker Wagener | 21.12.2005
    4. Februar 2000. Die Schlacht war geschlagen, Mannesmann geschluckt - von den Briten - wie es in der deutschen Boulevard-Presse etwas martialisch hieß. Noch nie schlugen die Emotionen selbst bei Wirtschaftslaien so hoch, angesichts eines üblichen Geschäfts im Alltag des Turbokapitalismus. Dass ausgerechnet Mannesmann - dieser Musterkonzern, der rechtzeitig den Wechsel von Kohle und Stahl zur blitzsauberen Telekommunikation geschafft hatte - den Regeln des Marktes zum Opfer gefallen und von der Bildfläche verschwunden war, entfachte in Deutschland über Wochen nationale Gefühle wie sie sonst nur bei Auftritten unserer Fußballer mit dem Bundesadler auf der Brust zu beobachten sind.

    Die Geschichte um Mannesmann, Vodafone und viel Geld hatte alle Facetten eines saftigen Wirtschaftskrimis und wurde über Wochen auch medial mit einer Intensität begleitet, die so noch nie in der deutschen Ökonomiegeschichte beobachtet wurde. Die Stationen des Rekorddeals nehmen sich auch im nachhinein noch dramatisch aus.

    Der Konkurrenzkampf zwischen Klaus Esser, dem Mannesmann-Chef, und Chris Gent, dem Chef von Vodafone, wurde am 18. Oktober 1999 ernst. Mannesmann hatte den britischen Mobilfunker Orange gekauft, quasi vor der Haustüre Vodafones. Gent fasste dies als Affront auf. Ab November ist in der Düsseldorfer Konzernzentrale bekannt, dass sich Gent Mannesmann einverleiben will. In Düsseldorf wird das "Projekt Friedland" reaktiviert, eine Initiative aus den 80er Jahren, um feindliche Übernahmen zu verhindern. Gent macht Esser ein Angebot, das abgelehnt wird.

    " Wir haben dem Aufsichtsrat erläutert die Pluspunkte und die Minuspunkte einer Zusammenarbeit. Wir haben gesprochen über die verschiedenen strategischen Gesichtspunkte, die zu berücksichtigen sind. Mannesmann ist ein europäisches Telekommunikationsunternehmen. Unser strategisches Ziel ist der Fokus Europa."

    Ab Januar 2000 überschlagen sich die Ereignisse. Schon am 16. Januar beschließt der Aufsichtsratsausschuss für Vorstandsangelegenheiten, Esser und weitere Manager im Falle der erfolgreichen Abwehr großzügig zu belohnen. Zwei Wochen später verhandeln Gent und die Spitzen von Mannesmann am Pariser Flughafen. Praktisch zeitgleich verkündet der französische Mischkonzern Vivendi die Fusion mit Vodafone. Lange hatte sich Klaus Esser um die Franzosen bemüht. Damit war nun eine Vorentscheidung zu Ungunsten Mannesmanns gefallen.

    Ab Anfang Februar lenkt Esser ein. Jetzt muss alles ganz schnell gehen. Grundsätzlich sind sich alle Beteiligten einig: Trotz Niederlage sollen Esser und rund zwei Dutzend Manager des Konzerns mit Boni und Abfindungen belohnt werden. Begründung: Die Kurssteigerung der Mannesmann-Aktie im Abwehkampf in wenigen Monaten um unglaubliche 128 Prozent habe den Anteilseignern einen so noch nie dagewesenen Reichtum beschert. Nur: Wer sollte zahlen? Die Schatulle wurde schließlich bei Mannesmann geöffnet.

    Am 4. Februar 2000 tagt wiederum der Ausschuss für Vorstandsangelegenheiten. Der Betriebsratsvertreter ist krank, Klaus Zwickel, damals noch erster IG-Metaller, ist abwesend und wird telefonisch zugeschaltet, als es sich um die Frage der Abfindungen dreht. Esser bekommt zu seinen vertraglich zugesicherten 30 Millionen D-Mark, rund 15 Millionen Euro, noch einmal die gleiche Summe als Extra-Dankeschön zugesprochen. Plötzlich meldet sich auch Aufsichtsratschef Joachim Funk zu Wort. Er möchte ebenfalls ein Stück vom großen Millionenkuchen abbekommen. Er nennt auch einen Betrag. Neun Millionen D-Mark, 4,5 Millionen Euro, will der Vorgänger Essers. Josef Ackermann nickt, Klaus Zwickel enthält sich fernmündlich und - Joachim Funk hebt in eigener Angelegenheit die Hand. Josef Ackermann erklärt später, er habe nicht gewusst, dass über Vergütungen von Aufsichtsräten in Deutschland nur die Hauptversammlung entscheiden darf. Ein Rechtsverstoß, wie er deutlicher nicht sein könnte, fand schon damals der Kölner Arbeitsrechtler Ulrich Preis.

    " Dass man hier übersehen hat, dass derjenige, der den Aufsichtsratsvorsitz hat, sich nicht selbst eine Prämie beschließen kann, ist natürlich schon ein dickes Ding."

    Insgesamt wurden aus dem Konzernvermögen fast 60 Millionen Euro an einige wenige verteilt, bis hin zu Witwen und Kindern ehemaliger Konzernmanager. Als im Januar 2004 der Prozess gegen Esser, Ackermann, Zwickel und andere vor dem Landgericht Düsseldorf beginnt, geht es vor allem um die Frage, ab wann über Prämien bei Mannesmann, Vodafone und auch beim größten Aktionär bei Mannesmann, dem chinesischen Hutschison Wamphoa-Konzern, gesprochen wurde. Chris Gent, der Sieger der Übernahmeschlacht, hat im Zeugenstand nur Höflichkeiten für seinen früheren Kontrahenten parat. Esser hatte schon vorher auf Entlastung durch den Briten gebaut:

    " Es besteht meinerseits professionelle Hochachtung. Ich bin mir sicher, dass Herr Gernt die Wahrheit sagt, und das reicht dann zur Entlastung."

    Canning Fok, der Generalbevollmächtigte von Hutschison Whampoa, berichtet im späteren Gerichtsverfahren per Live-Videoschaltung aus Hongkong, man habe über Prämien für Esser und sein Team erst zwei Tage nach der faktischen Entscheidung des Übernahmekampfes gesprochen. Das Gericht erkennt Verstöße gegen das Aktiengesetz an, will aber ansonsten keine gravierenden Pflichtverletzungen bei den Hauptbeteiligten entdeckt haben.

    Ackermann und Zwickel werden nach 39 Verhandlungstagen für ihr Stimmverhalten bei der Funk-Prämie vom Gericht sogar entlastet. Es habe sich bei diesem Vorgang um einen so genannten "unvermeidlichen Verbotsirrtum" gehandelt, eine nur höchst selten aufgegriffene Option in der Gerichtspraxis.

    Vor Gericht stehen bis zum Frühjahr 2004 sechs Angeklagte. Josef Ackermann ist derjenige, der am meisten zu verlieren hat. Für den Schweizer ist die Anklage eine Ungeheuerlichkeit:

    " Alle berühmten Politiker dieses Landes haben mir gesagt, das ist wirklich schlimm und lassen Sie sich nicht beeindrucken."

    Mit breitem Lächeln und Victory-Zeichen ging Ackermann am ersten Verhandlungstag auf seine Mitangeklagten zu. Ein medialer Paukenschlag, der daneben ging. Das sei vulgär und provozierend, lautete die Quittung in der veröffentlichten Meinung.

    Der letzte Mannesmann-Chef Klaus Esser sucht die Rehabilitation in diesem Verfahren. Die Schlagzeile "60 Millionen und Tschüss" vier Jahre zuvor will er nicht auf sich sitzen lassen:

    " Für mich ist es eine schreckliche Geschichte, dass eine Staatsanwaltschaft, die mit einem falschen Vorwurf versehentlich gestartet war, sich einfach bei uns daran festhalten kann zu sagen, wir haben uns in jemanden verbissen."

    Esser wollte von Anfang an - im Gegensatz zu Josef Ackermann - den langen Prozess. Entsprechend detailgenau berichtete er dem Gericht über den Ablauf der spannenden Übernahmeschlacht 1999/2000. Fünfeinhalb Stunden lang!

    Ganz anders Klaus Zwickel. Die Körpersprache des einst mächtigen ersten IG-Metallers verrät gefasstes Beleidigtsein. Am Zustandekommen der Millionenabfindungen war er mit einer nicht ganz eindeutigen Enthaltung beteiligt, was ihn aber seinerzeit nicht daran gehindert hatte, kurz darauf eine im Ausdruck empörte Pressemitteilung der IG-Metall über die goldenen Handschläge verbreiten zu lassen. Letzteres hatte er schon zu Prozessbeginn als Fehler eingeräumt. Dennoch: Zwickel sieht sich als Opfer:

    " Es geht offensichtlich nicht mehr um die als Skandal empfundene Höhe der Bonuszahlungen, sondern offensichtlich um die Befriedigung eines Jagdfiebers einiger ganz offensichtlich selbsternannter Moralisten."

    Auch die Vernehmung des prominentesten Zeugen, Sir Christopher Gent, des früheren Vodafone-Chefs, entlastet Klaus Esser. Schon zuvor zeigt sich Esser optimistisch.

    Die Übernahme sei letztlich vom Markt bestimmt worden, resümierte Gent. Esser habe durch seinen langen Widerstand den Aktionären einen immensen Reichtum beschert. Nie habe man über Prämien vor dem tatsächlichen Ende der Übernahme gesprochen.

    Zuvor hatten mehrere Mitarbeiter der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG ausgesagt. Zum Teil schwere Verletzungen des Aktienrechtes seien begangen worden, so der Tenor der Zeugen der Anklage.

    Nach dem Freispruch im Jahr 2004 ruft die Staatsanwaltschaft den Bundesgerichtshof an, der heute die Urteile im ersten Verfahren aufhebt und das Verfahren zur neuen Verhandlung an die erste Instanz zurückverweist.

    Nach Ansicht des Bundesgerichtshofes haben sich alle damaligen Aufsichtsratsmitglieder von Mannesmann der Untreue strafbar gemacht. Ackermann, Funk und Zwickel hätten ihre Vermögensbetreuungspflicht verletzt und das Vermögen von Mannesmann geschädigt. Die Millionenprämie an Klaus Esser sei unzulässig gewesen.
    Bereits während der Revisionsverhandlung hat der Vorsitzende Richter Tolksdorf von Geschenken gesprochen. Damit bestätigt er die Rechtsauffassung von führenden deutschen Aktienrechtlern, die ebenfalls von Geschenken gesprochen hatten, so Marcus Lutter, Professor für Wirtschaftsrecht an der Universität Bonn:
    " Der Aufsichtsrat ist nicht berechtigt, Geschenke zu verteilen. Zahlungen aus der Gesellschaftskasse müssen im Interesse der Gesellschaft liegen. Wenn ich also einen Vorstand habe, den ich weiterhin behalten will, dann will ich ihn vielleicht motivieren, dass er besser arbeitet. Hier hat die Gesellschaft praktisch aufgehört zu existieren. Ein Interesse, nachträglich etwas zu zahlen, ist überhaupt nicht erkennbar."

    Hinzu kommt, dass eine nachträgliche Prämie im Dienstvertrag mit Klaus Esser nicht vereinbart gewesen war. Auch deshalb, so der BGH, hätten die angeklagten Aufsichtsräte nicht das Recht gehabt, eigenmächtig Millionensummen zu verteilen.

    Als das Landgericht Düsseldorf die Angeklagten 2004 freisprach, hat es die Freisprüche damit begründet, dass eine Bestrafung wegen Untreue eine gravierende Pflichtverletzung voraussetze. Diese Schwelle, so das Düsseldorfer Landgericht, sei bei der Prämie an Klaus Esser nicht überschritten worden. Nach Ansicht des BGH hat das Landgericht die Schwelle für eine Bestrafung zu hoch angesetzt. Untreue setze keine gravierende Pflichtverletzung voraus. Eine Rechtsauffassung, die Bernd Schünemann, Strafrechtsprofessor an der Universität München, uneingeschränkt teilt. Er hatte schon das Urteil des Landgerichts Düsseldorf scharf kritisiert und von "Klassenjustiz" gesprochen:

    " Wir haben Tausende von Urteilen, wo nie eine gravierende Pflichtverletzung verlangt wurde. Der einfache Mensch wird immer schon bestraft, wenn er seine Pflichten verletzt. Aber als Vorstandsvorsitzender muss ich meine Pflichten ‚gravierend' verletzen. Ich halte das weder für in sich logisch haltbar noch für kriminalpolitisch, rechtspolitisch vertretbar, dass man hier oberhalb der Ermessensgrenze noch einen zusätzlichen Sicherheitsgürtel einzieht, bevor ein Manager sich strafbar machen kann."

    Widersprochen hat der BGH auch der Ansicht der Düsseldorfer Strafkammer, dass die Angeklagten bei der Prämienzahlung an den ehemaligen Aufsichtsratschef Joachim Funk einem "unvermeidbaren Verbotsirrtum" erlegen wären. Dass führende Wirtschaftsvertreter wie Ackermann und Ex-IG-Metall-Chef Klaus Zwickel über so wenig Rechtsgefühl verfügt haben sollen, die greifbare Rechtswidrigkeit der Drei-Millionen-Euro-Prämie an den damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Joachim Funk zu übersehen, könne sich der Senat nicht vorstellen, so der Vorsitzende Richter Tolksdorf.

    Das Landgericht Düsseldorf war davon ausgegangen, dass die Rechtslage in diesem Punkt derart unklar gewesen sei, dass die Angeklagten eine Strafbarkeit nicht hätten vorhersehen können. Strafrechtsprofessor Schünemann macht deutlich, warum sich ein Angeklagter in einem Strafprozessen nur in absoluten Ausnahmefällen auf einen Verbotsirrtum berufen kann:

    " Er wird nur entschuldigt auf der Ebene des Verbotsirrtums, wenn er den Irrtum nicht hätte vermeiden können. Und da gilt der Grundsatz einer ziemlich strengen Erkundigungspflicht. Wenn man merkt, dass man sich, ich will mal sagen‚ auf einem verminten Gelände befindet', in einer juristisch äußerst komplizierten Angelegenheit, dann muss man eben als Laie zuverlässigen Rechtsrat einholen."

    Nach dem heutigen Urteil des BGH muss sich das Landgericht Düsseldorf erneut mit dem Mannesmann-Fall befassen. Wann der neue Prozess beginnt, ist nach Angaben eines Landesgerichtssprechers noch offen. Ackermanns Anwalt Klaus Volk rechnet nicht mehr mit einer Verfahrenslänge von gut sechs Monaten wie beim ersten Verfahren. Volk schließt einen erneuten Freispruch für Ackermann auch nicht aus. Auch Ex-Mannesmann-Chef Klaus Esser gab sich heute zuversichtlich und meinte, er werde nachweisen können, dass Mannesmann damals kein Schaden entstanden sei. Auch die Bundesanwaltschaft betonte, dass eine Verurteilung der Angeklagten keineswegs sicher sei. Doch die zuständige Düsseldorfer Strafkammer wird die rechtliche Ansicht des BGH entsprechend würdigen müssen. Es wäre deshalb eine große Überraschung, wenn die Angeklagten erneut freigesprochen werden würden.

    Sollten sie verurteilt werden, können sie nur noch auf ein mildes Urteil hoffen. Allen voran Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann, der wie Ex-IG-Metall-Chef Zwickel zumindest nicht die Absicht hatte, sich selbst zu bereichern. Ackermann, meint der Bonner Wirtschaftsrechtler Marcus Lutter, hatte überhaupt kein Unrechtsbewusstsein. Und er hat wohl bis heute nicht begriffen hat, was er falsch gemacht hat:

    " Herr Ackermann hat seine Prägung in den USA erfahren. Er hat seine Prägung erfahren in den zehn Jahren, wo die Börsen aus dem Ruder gelaufen sind. Er hat mit sehr hohen Beträgen gehandelt. Und dann kommt er nach Deutschland, landet im Aufsichtsrat, und dann werden ihm Beträge vorgelegt, die gemessen an dem, was ihm in den USA vertraut war, eher kleinere Beträge sind."

    Schon im Vorfeld der heutigen Entscheidung des BGH gab es Gerüchte über ein schnelles Ausscheiden Ackermanns aus seinem Bank-Job. Dieses Rätselraten um die Zukunft Ackermanns ist kurzfristig beendet: Der Aufsichtsrat der Deutschen Bank spricht Ackermann sein uneingeschränktes Vertrauen aus.

    Den Urteilsspruch des Bundesgerichtshofes im so genannten Mannesmann-Verfahren habe man zur Kenntnis genommen und bedaure, dass das Verfahren vor dem Landgericht wieder aufgenommen werden muss. Gleichzeitig hat das Aufsichtsgremium "keinen Zweifel, dass Herr Dr. Ackermann seine Arbeit erfolgreich fortsetzen wird und unterstützt ihn dabei". Diese kurze Pressemitteilung gab die Deutsche Bank am Nachmittag heraus, nachdem sich schon abgezeichnet hatte, dass es zu einem sofortigen Rücktritt Ackermanns wohl nicht kommen würde. Den aber hatten Aktionärsschützer gefordert, so Reinhild Keitel von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger:

    " Nach diesem Entscheid, denke ich, sollte er von sich aus zurücktreten. Er würde damit der Deutschen Bank sicher einen Gefallen tun, so unbestritten seine Verdienste um die wirtschaftliche Entwicklung der Bank sind. Aber damit wäre das dann nur noch ein Prozess, in dem nicht die Deutsche Bank im Fokus des Interesses steht, sondern nur noch Herr Dr. Josef Ackermann in seiner Funktion von damals."

    Auch Klaus Nieding von der DSW, der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz glaubt, dass Ackermann die Deutsche Bank in seiner jetzigen Funktion nur belasten würde:

    " Wir müssen davon ausgehen, dass Herr Dr. Ackermann im nächsten Jahr wieder auf der Anklagebank Platz nehmen darf, dass er erneut ein langwieriges Verfahren über sich ergehen lassen muss, und das bei einer Bank, die von ihrer Führungsstruktur her nahezu ausschließlich auf die einzelne Person Ackermann zugeschnitten ist, d.h. hier ist der Aufsichtsrat jetzt gefordert, eine Lösung dieses Problems zu finden."

    Wenn man Ackermann auch nicht mit Schmutz bewerfen will, so äußern doch die meisten Banker die Meinung, dass ein Ausscheiden des Deutsche-Bank-Chefs aus seinem Amt angemessen wäre. Ackermann hat nach den Ereignissen der letzten Woche, als die Deutsche Bank einen ihrer Immobilienfonds geschlossen hatte, wieder einmal einen schlechten Ruf in Frankfurt. So meint auch Wolfgang Gerke, Professor für Bankwirtschaftslehre an der Universität Erlangen-Nürnberg:

    " Dies gewichtet aus der ökonomischen Sicht die Politik gegenüber den privaten Bankkunden noch viel höher als das, was hier vor Gericht gerade passiert. Wenn man 300.000 Sparer, zum Teil Sparer für die Altersvorsorge, jetzt bis Februar im Regen stehen lässt und ihnen nicht sicher sagt, wann sie zu welchen Konditionen ihre Anteile zurückbekommen, dann ist es ein Schaden im Privatkundengeschäft, der so groß ist, dass man einfach sagen muss, jemand, der dafür verantwortlich ist, ist angeschlagen."

    Doch vielleicht versucht die Deutsche Bank, Ackermann einen Rücktritt zu ersparen: Schließlich hat er seine Ziele, die Eigenkapitalrendite der Bank auf 25 Prozent zu bringen und den Börsenkurs zu steigern, erreicht. Denkbar wäre deshalb auch ein regulärer Abschied Ackermanns, dessen Vertrag ohnehin im kommenden Jahr ausläuft. Dann hätte er die Gelegenheit, Anfang Februar noch seine gute Bilanz, was die Zahlen betrifft, vorzulegen. Gleichzeitig könnte man in Ruhe in den nächsten Wochen nach einem passenden Nachfolger suchen. Die Anforderungen an ihn beschreibt Aktionärsschützer Nieding:

    " Ein neuer Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank müsste vor allen Dingen auf der einen Seite natürlich notgedrungen diesen Kurs, der jetzt eingeschlagen worden ist, Internationalisierung, Hinwendung zum Investmentbanking fortsetzen, er müsste aber auf der anderen Seite versuchen, den Spagat hinzubekommen, eben nicht den Heimatmarkt außen vor zulassen, und vor allen Dingen den Privatanleger nicht ständig vor den Kopf zu stoßen."

    Die Deutsche Bank werde mit der Wahl eines Nachfolgers, ein wichtiges Signal senden, glaubt Finanzprofessor Gerke. Denn das gewinnträchtige Investmentbanking und das Privatkundengeschäft sind immer noch zwei Sparten mit unterschiedlichen Kulturen, die nur ein starker Vorstandschef zusammenhalten muss, so Gerke:

    " Wenn man sich von diesem Geschäft wirklich trennen will, von dem traditionellen Bankgeschäft in Deutschland, dann muss es ein Investmentbanker sein. Wenn man aber das Deutschland-Geschäft aufrechterhalten will, wäre es beispielsweise problematisch, einen guten Investmentbanker zu holen, der kein Wort deutsch kann. Insofern ist die personelle Entscheidung in meinen Augen gleichzeitig auch eine Geschäftsfeldentscheidung."

    Es bleiben also mehr Fragen als Antworten für die Deutsche Bank nach diesem denkwürdigen Tag.
    Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank AG, Josef Ackermann, rechts, scherzt am 21. Jan. 2004 vor Prozessbeginn im Düsseldorfer Landgericht mit dem ehemaligen Mannesmann-Vorstandsvorsitzenden Klaus Esser, links
    Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank AG, Josef Ackermann, rechts, scherzt am 21. Jan. 2004 vor Prozessbeginn im Düsseldorfer Landgericht mit dem ehemaligen Mannesmann-Vorstandsvorsitzenden Klaus Esser, links (AP)
    Demonstrant vor dem Düsseldorfer Landgericht, 22.07.2004
    Demonstrant vor dem Düsseldorfer Landgericht, 22.07.2004 (AP)