Donnerstag, 18. April 2024

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Manuela Schwesig (SPD) zu Corona-Maßnahmen
"Wir können uns Reisen in Risikogebiete nicht leisten"

Eine bundeseinheitliche Regelung für Reiserückkehrer sei wichtig, betonte Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, im Dlf. Hier habe bislang eine Strategie gefehlt. Sie kritisierte auch, dass Bund und Länder erst nach zehn Wochen erneut über Corona-Maßnahmen verhandelten.

Manuela Schwesig im Gespräch mit Christoph Heinemann | 27.08.2020
Manuela Schwesig (SPD, Ministerpraesidentin Mecklenburg-Vorpommern) spricht während des Festaktes zur Gruendung der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt im Gymnasium Carolinum in Neustrelitz.
Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, sieht einige Bundesländer als vorbildlich bei den getroffenen Corona-Maßnahmen. (picture alliance / Jens Koehler)
Bund und Länder beraten heute erneut über das weitere Vorgehen in der Coronakrise. Angesichts wieder steigender Infektionszahlen geht es bei der Videokonferenz auch um mögliche Verschärfungen von Schutzmaßnahmen. Nach den Vorstellungen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) soll es für Rückkehrer aus Risikogebieten schärfere Quarantäneregeln geben. Im Gegenzug könnte die Testpflicht entfallen.
Manuela Schwesig, Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, fordert eine bundeseinheitliche Regelung für Reiserückkehrer. "Wir können uns Reisen in Risikogebiete nicht leisten. Wir können sie aber auch nicht verbieten, aber deswegen muss es für diese Risikogebiete strenge Regeln geben", so die SPD-Politikerin. Kritikwürdig ist in ihren Augen die Tatsache, dass man sich erst nach zehn Wochen erneut mit den Bundesländern zusammenschaltet. "Deutschland hat sich mit der Frage von internationalem Reiseverkehr leider übernommen." Diese Frage hätte man bundeseinheitlich mit den Ländern regeln müssen. Es habe keine Strategie gegeben.
Im Deutschlandfunk betonte sie: "Wir in Mecklenburg-Vorpommern haben strenge Regeln. Trotz eines ersten Tests müssen Rückkehrer aus Risikogebieten in Quarantäne. Nur mit einem zweiten Test kann man sich freitesten."
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"Wir sollen uns lieber auf das Leben vor Ort konzentrieren"
Regelungen für Veranstaltungen und Familienfeiern sollten hingegen einen anderen Fokus haben. "Das kann jeder vor Ort regeln", betonte Schwesig. Dabei könne man die aktuelle Lage vor Ort in die Entscheidung mit einbeziehen. Diese Vorgehensweise hält Schwesig auch für geboten, um die Akzeptanz der Bürger nicht zu verlieren. Das drohe nämlich, wenn diese das Gefühl hätten, mit Maßnahmen überstrapziert zu werden. "Wir sollten lieber viel mehr Leben vor Ort ermöglichen als fröhlich durch die Gegend reisen und keine Strategie zu haben, wie wir dann alles testen."
Im Bund habe man die Maskenpflicht lange kritisch gesehen, einige Länder hingegen hätten die Maskenpflicht frühzeitig ausgerufen. "Vielleicht gibt es ja auch einen Grund, dass wir nicht so streng betroffen sind. Wir haben früh reagiert", unterstrich die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern.
Deshalb verteidigte sie auch Überlegungen wie beispielsweise in Sachsen, Weihnachtsmärkte unter bestimmten Auflagen zu ermöglichen. Auch Entscheidungen, in welchem Rahmen Familienfeiern stattfinden könnten, sollten anhand des Infektionsgeschehens vor Ort fallen.
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Christoph Heinemann: Erst Tests zum Urlaubsende, jetzt droht Quarantäne. Ist das schon eine Strategie?
Manuela Schwesig: Nein! Das zeigt, dass Deutschland sich mit der Frage von internationalem Reiseverkehr doch übernommen hat und dass hier leider in dieser Frage vom Bund – und das ist wirklich eine Frage, die man im Bund und vor allem bundeseinheitlich mit den Ländern regeln muss – es keine Strategie gegeben hat.
Ich sage ganz klar: Wir können uns Reisen in Risikogebiete nicht leisten. Wir können sie aber auch nicht verbieten. Aber deswegen muss es für diese Risikogebiete strenge Regeln geben.
Wir in Mecklenburg-Vorpommern haben seit Wochen diese strengen Regeln und haben auch dem Bund empfohlen, das zu machen. Ich will das kurz erläutern. Bei uns ist es längst so, dass man trotz des ersten Pflichttests in Quarantäne muss, wenn man aus einem Risikogebiet kommt, und sich erst nach fünf bis sieben Tagen mit einem zweiten Test freitesten kann.
Warum machen wir das? – Wir haben vor einigen Wochen einen Fall gehabt, wo jemand aus dem Kosovo kam, ein Arzt. Er war zunächst negativ mit dem ersten Test. Und dann, was uns ja auch die Epidemiologen sagen, ist erst die Krankheit ausgebrochen und er war dann später positiv, aber längst auf Arbeit. Zum Glück ist da nichts weiter passiert, weil er sich vorbildlich an die Regeln gehalten hat, aber das zeigt doch, dass wir solche Risiken überhaupt gar nicht eingehen können.
Und noch mal: Eine ganze Menge Leute bleiben in Deutschland, sind vorsichtig, machen hier Urlaub. Wer bewusst in ein Risikogebiet reist, der muss dann auch damit rechnen, dass es hinterher für ihn strenger ist.
"Bei Reisen einheitliche Regeln, nicht bei Familienfeiern"
Heinemann: Werden Sie sich damit durchsetzen können?
Schwesig: Sie haben ja in Ihrem Einspieler eindrucksvoll gezeigt, dass es da insbesondere auf der CDU-Seite noch sehr unterschiedliche Meinungen gibt. Ich kann nur sagen: Wenn alle nach bundeseinheitlichen Regeln rufen, dann sollten wir sie da machen, wo es um Bundes- und internationale Fragen geht, und das sind die Reisen. Wir können es uns nicht leisten, dass durch Reisen in Risikogebiete bei uns Gefahren in Deutschland steigen, und das belastet dann wieder Kitas und Schulen.
Ich sage ganz klar: bei Reisen einheitliche Regeln, aber nicht bei Familienfeiern. Das kann jeder selbst vor Ort regeln.
"Länder haben Maskenpflicht frühzeitig ausgerufen"
Heinemann: Als nicht genug Masken zur Verfügung standen, bezweifelte die Bundesregierung den Sinn einer Maskenpflicht. Umgekehrt wird jetzt die Testpflicht wieder abgeschafft - wir haben ja Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gehört -, weil Personal und Material zur Neige gehen. Wieso orientiert sich die Corona-Politik bei so wichtigen Entscheidungen nur an den Kapazitäten?
Schwesig: Nein, das ist nicht so, dass das nur so ist. Sie haben völlig recht: Die Bundesregierung, vor allem auch die Bundeskanzlerin war sehr skeptisch bei den Masken, auch Herr Spahn. Wir waren das vor Ort nicht. Die Länder waren es, die dann frühzeitig die Maskenpflicht ausgerufen haben, zum Beispiel Sachsen, zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern – übrigens Länder, die gar nicht so stark betroffen sind. Vielleicht ist es auch ein Grund, dass wir nicht so stark betroffen sind, weil wir nämlich von Anfang an sehr streng und konsequent waren.
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Aber neben der fehlenden Teststrategie, der nationalen Teststrategie ist das ein weiteres Beispiel, dass die Bundesregierung und insbesondere Frau Merkel und Herr Spahn sehr langsam waren, und deswegen bitte ich darum, dass nicht immer so getan wird, jetzt, wo man sich nach zehn Wochen mal wieder mit den Ländern zusammenschaltet, als ob es an uns vor Ort liegt. Wir haben die niedrigsten Zahlen vor Ort und das haben wir deshalb, weil wir konsequent waren und weil sich die Bürger auch im Großen daran halten.
Unterscheiden zwischen Ländern mit hohen und niedrigen Zahlen
Heinemann: Wie viele Personen sollten privat gemeinsam feiern dürfen?
Schwesig: Hier sage ich ganz klar: Das ist eine Sache, da muss es wirklich nach der Infektionslage vor Ort gehen. Auch hier gibt es viele Länder, die längst strenge Regeln haben. In Mecklenburg-Vorpommern 50 grundsätzlich für Familienfeiern. Wenn das was ganz Besonderes ist wie eine Hochzeit, dann kann man auch auf 75 gehen. Damit haben wir hier im Land gute Erfahrungen. Und ich sehe nicht ein, dass ich jetzt den Bürgerinnen und Bürgern sage, bei geringen Infektionszahlen, da müssen wir jetzt noch mal wieder runtergehen. Das werde ich auf keinen Fall mitmachen. Da sollten doch Länder, die hohe Infektionszahlen haben, wie NRW, lieber überlegen, ob sie runtergehen. Aber das ist etwas, das muss man wirklich vor Ort entscheiden. Die Akzeptanz der Bürger fehlt nicht, weil das nicht alles bundeseinheitlich ist. Die fehlt dann, wenn sie das Gefühl haben, es ist überzogen.
Heinemann: Wie sieht es mit Bußgeldern aus für Maskenmuffel?
Schwesig: Da bin ich auch ganz klar für eine bundeseinheitliche Pflicht. Und wenn man sich jetzt vielleicht gerade in dem Interview fragt, ja wann denn bundeseinheitlich und wann nicht, dann gibt es da eine klare Linie aus meiner Sicht. Dinge, die wirklich die Grundsätze der Corona-Pandemie betreffen, Abstand halten, Maskenpflicht, Bußgelder, Reisen, Teststrategie, das muss einheitlich sein, weil es Rahmenstandards sind. Aber wie man sich konkret vor Ort verhält mit einer Familienfeier, da würde ich schon sagen, das muss jeder vor Ort entscheiden.
"Nicht den traditionellen Weihnachtsmarkt kaputt machen"
Heinemann: Vor Ort entschieden wird zum Beispiel auch, dass Sachsen jetzt schon Weihnachtsmärkte plant, Sachsen-Anhalt eine stufenweise Rückkehr von Fans in Stadien, Sport- oder Konzerthallen. Fördern solche unterschiedlichen Regelungen nicht die Mobilität und damit die Verbreitung des Virus?
Schwesig: Es stimmt, dass die Mobilität eine große Herausforderung ist und ein Risiko, was die Corona-Pandemie angeht. Deswegen, sage ich, muss man die Mobilität für internationale Reisen eher einschränken, bevor wir den traditionellen Weihnachtsmarkt vor Ort kaputt machen. Das mag ein bisschen wie Luxus klingen, Weihnachtsmarkt. Ist es erstens nicht, weil die Bürger auch wieder Tradition in ihrem Leben wahren möchten. Und zweitens: Hinter diesen Märkten stehen traditionelle Schaustellerfamilien. Die sind wirklich am Ende! Die hatten das letzte Mal den Weihnachtsmarkt vom letzten Jahr. Deswegen finde ich es zulässig, dass wir uns an solche Märkte herantrauen, mit ganz konkreten Schutzkonzepten. Das wird nicht der Weihnachtsmarkt, wie wir ihn sonst kennen. Und auch wir wollen in Mecklenburg-Vorpommern diesen Weg gehen.
Noch mal: Wir sollten lieber viel mehr Leben vor Ort ermöglichen, als fröhlich durch die Gegend reisen und keine Strategie zu haben, wie wir dann alles testen, Tests werden nicht zugestellt. Wir sollten uns lieber auf das Leben vor Ort konzentrieren.
Heinemann: Frau Schwesig, wenn das bei Ihnen erlaubt ist, in anderen Ländern aber verboten ist, ein solcher Weihnachtsmarkt, laden Sie sich das Virus dann nicht nachhause ein?
Schwesig: Ich glaube nicht, dass wir gerade da irgendwie verdächtig sind, denn wir haben ja als Land bis vor kurzem eine ganz strenge Einreiseregel gehabt – aus gutem Grund, weil wir viele Touristen haben -, und ich bin sehr froh, dass wir als Tourismusland den Touristen, die bisher hier waren, garantieren konnten, dass sie gesund nachhause fahren und nicht aus einem Risikogebiet kommen. Deswegen gehen wir da sehr vorsichtig vor.
Ich gebe Ihnen aber recht: Diese Märkte – es wäre schön, wenn sie nicht nur an zwei Stellen in Deutschland möglich sind. Deswegen, sage ich noch mal, müssen wir uns darauf konzentrieren, dass die Dinge, die wir in Deutschland noch zu haben, wirklich schrittweise wieder öffnen können. Wir reden auch nicht von Märkten, wo, ich sage mal, 30 Leute fröhlich an einer Glühweinbude stehen können, sondern auch auf diesen Märkten muss es strenge Schutzkonzepte geben.
"Wasser auf die Mühlen der ganzen Verschwörungstheoretiker"
Heinemann: Das Land Berlin hat Kundgebungen gegen die Corona-Politik verboten. Innenminister Geisel begründete den Schritt damit, dass die letzte ähnliche Demonstration am 1. August gezeigt habe, dass Demonstranten sich bewusst über bestehende Hygieneregeln hinweggesetzt hätten. Und der SPD-Politiker fügte dann hinzu: Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird. – Steht diese Aussage Ihrer Meinung nach im Einklang mit dem Demonstrationsrecht?
Auf der neongelben Jacke eines Demonstranten steht: "Corona-Diktatur Nein Danke".
Demonstrationsverbot in Berlin
Es sei konsequent, dass der Berliner Senat eine geplante Demonstration gegen Corona-Maßnahmen verboten hat, meint Sebastian Engelbrecht. Denn dieselben Akteure hatten bei einer Kundgebung im Juni die Hygieneregeln bewusst verletzt.
Schwesig: Es ist sehr schwierig, aus der Ferne solche Entscheidungen vor Ort vollständig beurteilen zu können. Aber klar ist, dass das Demonstrations- und Versammlungsrecht ein sehr hohes Gut ist, und unsere Demokratie muss Demonstrationen und Versammlungen aushalten, wenn sie nicht im Inhalt gegen die Verfassung verstoßen. Ich kann verstehen, ich war selber entsetzt über diese Art von Demonstrationen, und es ist auch richtig, dass die Schutzregeln auf der Demonstration durchgesetzt werden müssen. Aber vor einem völligen Verbot sollte vielleicht stehen, dass man dann sagt, die Demonstration muss von Schutzvorkehrungen her eingeschränkt werden, zum Beispiel auch zahlenmäßig. Das ist sehr, sehr schwierig, denn das ist jetzt Wasser auf die Mühlen der ganzen Verschwörungstheoretiker. Ich habe, ehrlich gesagt, auch gar nichts dagegen, wenn die Bevölkerung sieht, was teilweise für Leute unterwegs sind und mit was wir uns teilweise auseinandersetzen müssen. Es ist leider nicht selbstverständlich, dass sich alle an die Regeln halten.
Heinemann: Frau Schwesig, hätte Herr Geisel das besser nicht gesagt?
Schwesig: Ich möchte nicht über Herrn Geisel hier im Radio den Stab brechen. Wie gesagt, das ist eine Entscheidung vor Ort. Ich sage ganz klar, Demonstrations- und Versammlungsrecht ist ein ganz, ganz hohes Gut, und vor einem Verbot muss man prüfen, ob man nicht solche Demonstrationen wegen dem Infektionsgeschehen und wegen nichts anderem mehr einschränken kann.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.