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Manuskript: Gleichgewichte - Ansichten eines belebten Planeten

Für eine Art, die noch nicht einmal einen Wimpernschlag der Erdgeschichte existiert, hat der moderne Mensch tiefe Spuren hinterlassen. Aber auch er wird das Leben auf dem Blauen Planeten wohl nicht beenden - die Frage ist nur, ob Homo sapiens selbst Teil des Systems bleiben darf.

Von Dagmar Röhrlich | 30.12.2012
    "Wir sahen die schwarze Wand, die über Sutton zog, und schließlich erreichte sie uns. Es war, als ob man ein Scheunentor schlösse. Es war so dunkel, so schwarz, dass die Hühner einschliefen."

    Die Great Plains in Nordamerika. Zwei Millionen Quadratkilometer Grasland - von Alberta in Kanada bis zur mexikanischen Grenze. Fruchtbares Land, der Brotkorb der USA.

    "Wir konnten die Wolken schon von weitem sehen, wie sie näher und näher rückten und dabei zu wachsen schienen. Es war, als ob sie uns umzingelten. Schließlich sanken sie auf uns herab - und es wurde dunkel."

    Die Great Plains schienen endlos: grasbewachsene Ebenen bis an den Horizont - und immer weiter. Als die Siedler dieses Land in Besitz nahmen, glaubten sie, es müsse sie ewig ernähren.

    Gleichgewichte - Ansichten eines belebten Planeten - Teil 3: Zivilisationen
    von Dagmar Röhrlich


    "Der Staub driftete über die Straßen, sammelte sich in Wehen an wie Schnee. Man sah kaum Grünes. Dann kamen die Heuschrecken, fraßen das Wenige, was noch da war, selbst das Holz von Joch und Deichsel, mit dem die Pferde beim Pflügen eingespannt gewesen waren."

    "Die Geschichte unseres Planeten und die Geschichte des Lebens sind untrennbar miteinander verbunden. Die Erde ist einmalig, weil sie einerseits Leben ermöglicht und weil andererseits die Lebewesen sie grundlegend verändert haben."
    Die Erde ist ein selbstregulierendes System, und es beschäftigt Aubrey Manning, Emeritus für Naturgeschichte der Universität Edinburgh, sein Forscherleben lang. Plattentektonik, Kontinente, Verwitterung, Meere, Atmosphäre und Leben greifen ineinander, beeinflussen, verändern und stabilisieren sich gegenseitig. Nun hat dieses System anscheinend einen neuen, zentralen Mitspieler bekommen - Homo sapiens, den modernen Menschen:

    "Wir beeinflussen den Planeten stark – und wir haben keine Ahnung, was wir langfristig anrichten."

    Um 1900 hatte Kansas die Menschen in die Prärie gelockt. Mit Fotografien, auf denen Farmer Wassermelonen und Kohlköpfe von der Größe eines Kleinwagens ernteten und auf Maiskolben saßen, die sie mithilfe einer Leiter erklettern mussten. Ein Garten Eden, den es zu erobern galt. Also nahmen die Bauern die Prärie erst mit Pferdegespannen unter den Pflug, dann mit Traktoren. Mit ihrer Hilfe konnten sie plötzlich mit Leichtigkeit ein Vielfaches der Fläche bewirtschaften. In atemberaubendem Tempo wurde aus Grasland Acker.

    "Die Leute glaubten, sie seien im Siebten Himmel und dass es immer so weiter ginge. Schließlich bauten sie auf fast dem gesamten Land Weizen und Mais an. Ungefähr zu der Zeit begann die schreckliche Dürre."

    "Während der 1930er-Jahre kamen mehrere Faktoren zusammen: Es begann eine neun Jahre dauernde Dürre, die schwerste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen vor 130 Jahren. Diese Dürre brachte Sandstürme mit sich, die ein paar Stunden dauern konnten, aber durchaus auch zwei oder drei Tage."

    Als die Farmer die Great Plains eroberten, drangen sie in Grenzgebiete vor, in denen der Regen gerade noch ausreicht , um sie nicht zur Wüste werden zu lassen. Doch das ahnten die Menschen nicht. Niemand rechnete mit jahrelanger Trockenheit, damit, dass alles verdorrt, dass der Wind den gepflügten, schutzlosen Boden mit sich reißen und zu beängstigenden Staubmauern auftürmen konnte.

    "1931 blieb der Regen aus. 1932 zählte das Wetterbüro 14 Staubstürme, 1933 waren es 38. 1934 zog ein Sturm nach dem anderen durch die Ebenen. Dunkle Wolken, die kilometerhoch in den Himmel reichten, in denen sich Millionen Tonnen Staub über das Land wälzten. Die Great Plains hatten sich in eine dust bowl verwandelt, eine Staubschüssel. Im Herbst 1934 ging das Viehfutter aus. Die Regierung kaufte Tausende hungernder Rinder auf, um sie zu keulen."

    An der University of Saskatchewan beschäftigt sich der Umwelthistoriker Geoff Cunfer mit der Dust Bowl. Das Drama spielte sich vor gar nicht langer Zeit in der damals schon größten Industrienation der Welt ab. Wie konnte eine Dürre dieses Land so schwer treffen? Eine spannende Frage, meint Cunfer.

    "Die Dust-bowl ergab sich aus einer Kombination verschiedener Faktoren: der empfindlichen Umwelt der Great Plains und der Geschichte der Landnutzung, dass die Gegend also erst spät im Lauf des 19. Jahrhunderts besiedelt wurde und dann, im frühen 20. Jahrhundert, die Industrialisierung der Landwirtschaft schnell voranschritt."

    Cunfer interessiert vor allem das Zusammenspiel von Umwelt und Gesellschaft, der Faktor Mensch im ökologischen Wandel:
    "”Die 1930er Jahren waren für die Farmer eine Zeit des Übergangs: Die Landwirtschaft wurde modernisiert, Dürre und Trockenheit setzten ein. Die Washingtoner Regierung nutzte die Krise, um in die Landnutzung einzugreifen und ihre Vorstellungen durchzusetzen, in dem sie Ackerland aufkaufte und in Weideland umwidmete. Wer nicht genügend Kapital hatte, um Ernteausfälle zu überstehen, musste aufgeben. Aus Familienbetrieben wurden Großbetriebe, denn wer ein bisschen mehr Geld hatte, kaufte das Land seiner Nachbarn und vergrößerte sich.""

    Dass die Dürre die Gesellschaft mitten in der Weltwirtschaftskrise traf, erschwerte die Bewältigung der Folgen. Bis 1940 hatten 2,5 Millionen Menschen die Great Plains verlassen. In Kanada zogen sie nach Norden, in waldreichere Gebiete. Im Süden der USA war Kalifornien das Ziel, weil es dort vielleicht einen schlecht bezahlten Job als Erntehelfer gab. Das Schicksal dieser Menschen war die Vorlage für John Steinbecks Novelle "Früchte des Zorns", denn die Arbeitslosen endeten in Slums, vergleichbar denen im heutigen Nairobi.

    In den Great Plains sind Dürre und Staubstürme an sich natürliche Phänomene, die schon den Bisons zu schaffen gemacht haben dürften, als sie bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in Herden, die Hunderttausende, ja Millionen von Tieren umfassen konnten, durch die weiten Ebenen zogen. Zur Katastrophe wurden die Klimaturbulenzen, weil in einer fragilen Umwelt Millionen Menschen lebten, deren Existenz dauerhaft zerstört wurde.

    "Wenn sich eine so schwere Dürre dort oder anderswo auf der Welt in einer landwirtschaftlich intensiv genutzten Region wiederholt, wird es wahrscheinlich Ernteausfälle geben und auch eine Wirtschaftskrise. Wir werden wieder Staubstürme und Bodenerosion erleben wie damals. Es könnte sich alles wiederholen, wenn die ungünstigen Bedingungen lange genug anhalten."

    1930 lag die Weltbevölkerung bei rund zwei Milliarden - heute sind es mehr als 7,1 - Tendenz steigend. Für eine Art, die noch nicht einmal einen Wimpernschlag der Erdgeschichte existiert, hat Homo sapiens tiefe Spuren hinterlassen: Wie in den Great Plains formt er überall die Umwelt nach seinen Wünschen und Bedürfnissen.

    "Die Idee, dass die Menschheit die Erde verändern kann, ist so alt wie die moderne Wissenschaft und flackert immer wieder auf. Im 18. Jahrhundert erklärte der Comte de Buffon, dass die Erde bald gefrieren und die Menschen das durch das Verbrennen der Kohle hinauszögern würden. In den 1870er-Jahren wurde von einem Italiener namens Antonio Stoppani der Begriff Anthropozän geprägt. Er glaubte, dass die Menschen die Erde durch die Industrialisierung und Kolonisierung verändern."

    Jan Zalasiewicz von der Universität Leicester ist Stratigraph, das heißt, er versucht Ordnung in die Erdgeschichte zu bringen: Ziel ist es, Gesteine zeitlich einzuordnen und zu korrelieren. Ein Bild soll entstehen, wie sich Erde und Leben im Lauf von Hunderten Millionen Jahren veränderten:

    "Im Lauf der Erdgeschichte hat es immer wieder Zeiten von relativer Stabilität gegeben, die getrennt werden durch vergleichsweise kurze Zeiten des Wandels, in denen sich die grundlegenden Bedingungen verändert haben. Und das hat fast immer das Leben auf dem Planeten beeinflusst und die Art der Fossilien, die wir in den Schichten finden."

    Die Frage sei, erklärt Jan Zalasiewicz, ob der Mensch ähnlich tief in das System Erde eingreife, wie es geologische Ereignisse zuvor vermocht hatten: Ob er ein eigenes Zeitalter kreiert. Es ist eine Frage, die für die Gesellschaft durchaus relevant sein kann, denn in der Erdgeschichte konnte der Wechsel von einer Periode zur anderen durchaus turbulent ablaufen. Wie etwa vor mehr als 440 Millionen Jahren. Die Meere damals waren zwar von Tieren bewohnt, die uns heute seltsam erscheinen, aber das Leben war reich und vielfältig - bis zu der Umweltkrise am Ende jener Periode.

    "Die Krise zog alle möglichen Veränderungen nach sich, die die Ozeane ebenso trafen wie die Kontinente. Unter anderem verursachte sie ein Massenaussterben, bei dem zwischen 60 und 80 Prozent aller bekannten marinen Arten verschwanden. Als sich die Verhältnisse dann wieder beruhigten, hatten sich die Bedingungen auf der Erde verändert und auch die Lebewesen waren oftmals andere als zuvor. Und all das können wir in den Gesteinsschichten ablesen."

    Jan Zalasiewicz ist Mitglied der Stratigraphischen Kommission der Geologischen Gesellschaft Londons, der ältesten geologischen Vereinigung der Welt. Als die 2007 feststellte, dass der Begriff "Anthropozän" immer häufiger in der Fachliteratur auftauchte, beschloss die Stratigraphische Kommission mit 21 von 22 Stimmen, das Konzept "Anthropozän" zu überprüfen:

    "Was sich seit damals verändert hat, ist einmal das Tempo des menschlichen Fortschritts. Zwar hatte der schwedische Chemiker Svante Arrhenius Ende des 19. Jahrhunderts erkannt, dass der Mensch durch die Verbrennung von Kohle den Kohlendioxidanteil in der Luft steigert und die Erde erwärmt: Aber er glaubte, dass es Jahrtausende dauern würde, bis der Effekt spürbar würde. Wir wissen heute, dass das durch das enorme Wachstum in der Industrie und beim Energieverbrauch schließlich nur ein paar Jahrzehnte waren. "

    Der Süden Perus. Vom Palpa-Tal bis hinauf zu den Ebenen der Atacama-Wüste haben alte Zivilisationen ihre Spuren hinterlassen. Ihre Bodenbilder, die Figuren und Linien sind mysteriös. So mysteriös, dass sie Jahr für Jahr eine große Gemeinde von Science-Fiction-Anhängern anlocken, die in ihnen Landebahnen für Außerirdische vermuten. Tatsächlich wurden die Strukturen von Menschen der Paracas und dann der Nasca-Kultur errichtet, in dem sie gezielt die dunklen Steine aus dem Weg räumten, die dort den Boden wie ein Pflaster bedecken, so dass der helle Sand darunter sichtbar wurde.

    "Diese früheren Geoglyphen zeigen zumeist menschliche Motive oder auch Tiere. Sie sind kleiner in den Dimensionen und in der Regel an den Berghängen angebracht, während die größeren, ausgedehnteren, abstrakteren, geometrischeren Geoglyphen der Nasca-Kultur eher auf den planen Hochflächen der Region angebracht sind."

    Nicht nur die Form der Geoglyphen änderte sich, sondern auch ihre Funktion: Während die Paracas ihre figürlichen Darstellungen als Symbole aus der Ferne betrachteten, errichteten ihre Nachfolger, die Nasca, mit den Rechtecken, Trapezen und Linien Bühnen für ihre Zeremonien, ihre Prozessionen, bei denen sie Opfergaben niederlegten. Oft waren es Muscheln - Symbole für Glück und für Regen. Denn der ist der Schlüssel für das Schicksal der Menschen:

    "Wir konnten rekonstruieren, dass im Verlaufe der Paracas- und Nasca-Zeit ein Desertifizierungsprozess stattgefunden hat, das heißt, es ist immer trockener geworden."

    Langsam aber stetig hatten sich die Bedingungen verschlechtert - und je schlimmer es wurde, desto häufiger zogen die Menschen in Prozessionen über die Geoglyphen. Sie errichteten Plattformen, Altäre, wo sie ihren Göttern für Regen und Fruchtbarkeit opferten. Ihre Gebete waren vergebens: Die Wüsten dehnten sich aus, die Menschen zogen sich in die Berge zurück - immer weiter, bis die Dürre sie einholte: Damit ging ihre Kultur unter.

    Als die jüngste Eiszeit zu Ende ging, waren zunächst noch Wolken aus dem Amazonasbecken über die Anden hinweg nach Westen gedrungen, hatten dem schmalen Landstrich am Pazifik Regen gebracht - und der Paracas-Kultur zum Aufstieg verholfen:

    "Als die Paracas-Leute kamen, war es noch relativ feucht, es war wesentlich mehr Vegetation in der Gegend, und so langsam ist das immer mehr ausgetrocknet. Die Menschen haben gelebt in der ersten Linie vom Wasser in den Flüssen, das verfügbar war, aber die Feuchtigkeit ist immer mehr zurückgegangen. Und gegen 600 nach Christus, also gegen Ende der Nasca-Zeit, kam es effektiv zu einer Krise, und die Nasca-Kultur ist zusammengebrochen."

    Das Klima hatte gesiegt, fasst Markus Reindel vom Deutschen Archäologischen Institut in Bonn die Geschichte zusammen. Damit erging es den Menschen der Nasca-Kultur so wie vielen anderen Zivilisationen vor und nach ihnen:

    "Es lohnt sich, darüber nachzudenken, dass unsere moderne Zivilisation im Lauf der vergangenen 10.000 Jahre entstanden ist, und dass diese 10.000 Jahre von der Umwelt her gesehen sehr ruhig waren."

    Trotzdem brachten selbst die vergleichsweise kleinen Schwankungen Gesellschaften zu Fall: Zivilisationen sind äußerst fragil. Nun sieht es auch noch so aus, als ob der Mensch selbst das dynamische Gleichgewicht im System Erde verschiebt - zu seinen Ungunsten.

    Zunächst hatte der moderne Mensch moderat in die Ökosysteme des Planeten eingegriffen. Seit der Erfindung der Landwirtschaft vor rund 10.000 Jahren wuchs jedoch sein Einfluss stetig. Der moderne Mensch veränderte das Land mehr und mehr, ebenso die Pflanzen, die Tiere. Inzwischen lagert er durch Landwirtschaft und Bautätigkeit fast 30 Mal mehr Sediment und Gestein um, als es durchschnittlich während der vergangenen 500 Millionen Jahre ohne sein Zutun der Fall war. Homo sapiens beeinflusst 75 Prozent des eisfreien Lands, 40 Prozent hat er kultiviert. Mehr als 90 Prozent des Pflanzenwachstums weltweit läuft in Ökosystemen, in denen der Mensch eine wichtige Rolle spielt.

    Statt in Biomen, in natürlichen Lebensräumen, lebt das Gros der Menschheit heute in Anthromen, in menschengemachten Kulturlandschaften. Die Debatte um das Anthropozän ist keine theoretische Diskussion um eine geologische Zeiteinteilung, die im Grunde nur Wissenschaftler interessiert. Was sich da in die Sedimente von heute schreibt, ist ein Dokument. Es beschreibt die Bedingungen, die in dem komplexen System Erde herrschen.

    "Um zu entscheiden, ob das Anthropozän angebrochen ist, überlegen wir Stratigraphen, über welche Umwelteffekte der Mensch Spuren in den heutigen Sedimenten hinterlassen wird: Die Veränderungen in den Meeren, den Eiskappen, den Lebewesen, das alles wird in Geologie übersetzt - und damit in die Gesteine der Zukunft."

    So wie heute 250 Millionen Jahre alte Gesteine verraten, dass damals der größte Vulkanausbruch aller Zeiten erst das Klima und dann alle nur erdenklichen Ökosysteme aus den Fugen geraten ließ, bis die Ereignisse schließlich in ein globales Massenaussterben mündeten, werden die Ablagerungen von heute dokumentieren, was genau passiert ist.

    "Der natürliche Zustand dieser Epoche seit dem Ende der jüngsten Eiszeit, die wir das Holozän nennen, hat sich durch den Einfluss des Menschen auf die Atmosphäre, die Meere und die Kontinente so sehr verändert, dass wir tatsächlich im Anthropozän leben könnten."

    Schon eine erste Bilanz ist erschreckend - und überraschend: Was offensichtlich erscheinen mag, unsere Städte, sie werden kaum Spuren hinterlassen.

    "Sie werden aus Stein und Beton und Ziegeln und Stahl und Glas erbaut, und damit sind sie nichts anderes als umgewidmeter Sand, Schlamm, Erz und Kalkstein. An Land werden sie schnell verschwinden, einfach verwittern. Aber die, die eines Tages beim Meeresspiegelanstieg durch den Klimawandel untergehen, die könnten dann Ablagerungen wie die Schichten der geologischen Vergangenheit bilden."

    Ist der Mensch verschwunden, werden seine Siedlungen von der Natur zurückerobert wie ein offen gelassener Steinbruch. Es sei denn, sie versinken in den Fluten. Sehr viel tiefgreifender werden die Veränderungen durch die Landwirtschaft sein.

    "Wir haben während der vergangenen 100 Jahre den Betrag des biologisch verfügbaren Stickstoffs auf der Erde mehr oder weniger verdoppelt, indem wir den Stickstoff aus der Luft nahmen und in Dünger umwandelten. Wir brauchen den Dünger, um die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren und unsere Zivilisation zu erhalten. Das setzte so um das Jahr 1950 ein, als die Landwirtschaft im großen Maßstab industrialisiert wurde und der großmaßstäbliche Düngereinsatz begann."

    Falls es in Millionen von Jahren Geologen geben sollte, werden sie das als klare Verschiebung in den Isotopen messen können: Jahr für Jahr machen Kunstdüngereinsatz und der Anbau von Leguminosen mehr Stickstoff für Pflanzen verfügbar, als es alle natürlichen Prozesse auf der Erde zusammen schaffen. Hinzu kommt:

    "Die Veränderungen in den Pollen werden in Jahrmillionen wohl das am einfachsten aus den Steinen ablesbare Erbe der Intensivlandwirtschaft sein. Wir ersetzen die natürlichen Wälder, Sumpfgebiete, Savannen oder Trockenrasen durch landwirtschaftliche Monokulturen, und das verändert die Pflanzenfossilien. Die Geologen der Zukunft werden die Pollen unserer Kulturpflanzen finden und nicht die der einheimischen Gewächse."

    Die Pollen von Mais, Weizen oder Soja werden das ganze Ausmaß der industriellen Landwirtschaft des 20. und 21. Jahrhunderts verraten. Das sind Veränderungen in der Geologie - also für die Ewigkeit. Genau wie eine andere:

    "Bei den heute lebenden Pflanzen und Tieren zeichnet sich ab, dass der Mensch eindeutig das Artensterben beschleunigt. Ob es die Ausmaße eines Massenaussterbens annimmt, bei dem mehr als die Hälfte aller bekannten Arten verschwinden, ist noch unklar. Außerdem stößt er etwas an, das es in der Erdgeschichte so wirklich noch nie gab: Er transportiert - willentlich oder ohne Absicht - binnen kurzer Zeit Unmengen von Arten rund um die Welt, löst mit ihnen an Land und im Meer regelrechte Invasionen aus. Alle diese Effekte lassen sich nie wieder zurückdrehen, schlagen sich in der fossilen Überlieferung nieder."

    "Wir erkennen, dass der Mensch wohl einen sehr viel größeren und langlebigeren Fußabdruck hinterlassen wird, als wir es noch vor 20, 30 Jahren geglaubt hätten."

    Die Folgen sind noch offen. Die Gefahr besteht durchaus, dass der Mensch das System Erde ernsthaft ins Wanken bringt - und damit auch seine Zivilisation.

    Als der holländische Seefahrer Jakob Roggeveen am 5. April 1722 die Osterinsel erblickte, beeindruckten ihn die riesigen Statuen am Strand - und die Ödnis: kein Baum, kein Strauch, der höher als drei Meter wuchs. Was er nicht ahnte: Als die Polynesier die Insel erreichten, war sie so bewaldet gewesen wie alle anderen in der Südsee auch.

    "Die Einwohner, die gegen 1000 Jahre nach Christus angekommen sind, fingen an, Bäume abzuhauen, wie das Menschen eben machen."

    Jared Diamond von der University of California in Los Angeles ist einer der prominentesten Vertreter der gängigen Hypothese zum Untergang der Kultur auf dieser Insel, die für polynesische Verhältnisse trocken, kalt und wenig fruchtbar ist.

    "Gerade auf dieser Insel, wenn ein Baum abgehackt wird, dann wächst ein neuer Baum nur langsam wieder auf."

    Ein Raubbau setzte ein, der sich mit dem Bevölkerungsanstieg verschlimmern sollte: Wald wurde gerodet, um Häuser zu bauen, Gärten anzulegen, für Brennholz. Solange es Riesenpalmen gab, bauten die Polynesier hochseetüchtige Kanus für die Jagd nach Delphinen und Thunfischen. So weit scheint alles normal. Aber dazu kam ein Wettrüsten, das sich die Stämme Jahrhunderte lang beim Bau der beeindruckendsten und größten Statuen geliefert haben sollen. Kilometerweit im Landesinneren schnitten die Polynesier ihre Statuen aus weichem Vulkangestein, schafften sie mit Holzschlitten zur Küste. Das kostete unzählige Bäume. Den Rest erledigten die eingeschleppten Ratten: Sie bissen die Palmnüsse an, die dann nicht mehr keimen konnten.

    "Es ging weiter bis um das Jahr 1680 nach Christus. Da waren alle Bäume auf der Insel abgehackt worden, und damit verloren die Einwohner die Möglichkeit, zu bauen und Holz, um damit zu kochen, und die Gesellschaft ist allmählich zusammengebrochen in einem Bürgerkrieg."

    Ohne Bäume fachten Regen und Wind die Erosion an, im Sommer trocknete der Boden aus, die Ernteerträge sanken. Als die Küstengewässer leergefischt waren, der letzte Landvogel verspeist und sich die Seevögel auf andere Inseln zurückgezogen hatten, blieben als einzig jagdbares Wild die Ratten. Hunger hielt Einzug auf der Osterinsel, die Gesellschaft brach zusammen.

    Vieles spricht dafür: Die Menschen der Osterinsel haben ihre eigenen Lebensgrundlagen vernichtet und damit ihre Zivilisation. Die Parallelen zwischen dem Geschehen auf der Osterinsel und der modernen Welt sind erschreckend. Durch Globalisierung und Welthandel wetteifern alle Länder um dieselben Ressourcen und schaukeln sich dabei gegenseitig immer höher - wie einst die Stämme der Osterinsel. Wie die Polynesier damals, hat auch die Menschheit heute keinen Ort, an den sie fliehen könnte.

    "Während der vergangenen 500 Millionen Jahren, seit es vielzelliges Leben auf der Erde gibt, hat jeder größere Wechsel in den Rahmenbedingungen auf der Erde die Ökosysteme mehr oder weniger stark beeinflusst. Wie fügt sich der Mensch in dieses Bild ein? Nun, vielleicht gleichen wir dem Meteoriteneinschlag, der vor 65 Millionen Jahren Mexiko traf und die Saurier verschwinden ließ? Geologisch gesehen, verändern wir die Erde sehr schnell - und diese Effekte werden auf geologische Sicht wirksam werden."

    Falls wir wirklich das Anthropozän erschaffen haben, ist für die Menschheit vor allem eine Frage wichtig: Wie wird der Übergang sein? Allmählich und beherrschbar, oder eher wie eine schnelle Katastrophe? Für beides gibt es Beispiele in der Erdgeschichte:

    "Das Besondere am Leben ist, dass es alles überstanden hat. Selbst bei den fünf großen Massenaussterben in der Erdgeschichte hat es Überlebende gegeben, aus denen heraus sich neue Ökosysteme mit neuen Tieren und Pflanzen entwickelten. Und nicht nur das: Die Vielfalt der Arten wuchs ständig. Vor - sagen wir - 200.000 Jahren war sie größer als jemals zuvor. Auch die Menschen werden das Leben auf der Erde nicht beenden - die Frage ist nur, ob die Menschen Teil des Systems bleiben werden."

    Sie hörten:

    Gleichgewichte. Ansichten eines belebten Planeten. Teil 3: Zivilisationen.
    Eine Serie von Dagmar Röhrlich.

    Regie: Axel Scheibchen
    Redaktion: Christiane Knoll