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"Mappus hat dieses Vorgehen gebilligt"

In Stuttgart tritt heute zum letzten Mal der Untersuchungsausschuss zu den Demonstrationen gegen das Bahn-Projekt "Stuttgart 21" zusammen. Nils Schmid, Vorsitzender SPD Baden-Württemberg, erhebt Vorwürfe gegen Ministerpräsident Mappus.

Nils Schmid im Gespräch mit Friedbert Meurer | 22.12.2010
    Friedbert Meurer: Der 30. September 2010 könnte in Stuttgart als "schwarzer Donnerstag" in die Geschichte eingehen. Ausgerechnet im friedlichen Schwabenland setzte die Polizei gegen die Demonstranten am Stuttgarter Hauptbahnhof im Schlossgarten Wasserwerfer, Reizgas und Schlagstöcke massiv ein. Es wurde nach Meinung vieler zu einem Fiasko. Weit über 100 Demonstranten wurden verletzt. Ein Mann ist fast erblindet durch den Wasserstrahl. Auch etliche Polizisten mussten behandelt werden. In Stuttgart geht heute der Untersuchungsausschuss zu Ende, der die Vorfälle von damals unter die Lupe nimmt. Mitgehört hat Nils Schmid. Er ist der Landesvorsitzende der oppositionellen SPD in Baden-Württemberg. Guten Morgen, Herr Schmid.

    Nils Schmid: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Wie haben Sie selbst persönlich diesen 30. September 2010 im Schlossgarten Stuttgart erlebt?

    Schmid: Nachdem die ersten Meldungen übers Radio kamen, bin ich selbst nach Stuttgart runter in den Schlossgarten, um mir ein eigenes Bild zu machen. Da war der Einsatz im Wesentlichen gelaufen, was den massiven Einsatz von Wasserwerfern anbelangt. Und ich bin auf viele Bürgerinnen und Bürger gestoßen, die ganz entsetzt und empört waren über diese Art eines Polizeieinsatzes, den es seit langem nicht mehr in Stuttgart gegeben hat.

    Meurer: Haben Sie damals auch mit Polizisten gesprochen?

    Schmid: Das war leider nicht möglich, weil die im Einsatz waren. Wir haben danach allerdings mit der Bereitschaftspolizei ein Gespräch geführt und da ist deutlich geworden, dass die Polizisten die Erwartung an die Politik haben, dass Klarheit über Einsätze herrscht, und sie verlangen aber auch Rückendeckung für ihre Arbeit von der Politik. Und was mich umtreibt ist eben, dass unsere Polizisten in den Einsatz geschickt worden sind, nachdem die Landesregierung einen gesellschaftlichen Großkonflikt um "Stuttgart 21" nicht lösen konnte, und letztlich wurde dieser gesellschaftliche Konflikt dann auf dem Rücken der Polizisten ausgetragen.

    Meurer: Inwiefern herrschte keine Klarheit bei der Polizei, wie Sie gerade sagen, über das, was sie tun soll?

    Schmid: Es ist ja im Untersuchungsausschuss herausgearbeitet worden, dass für viele Polizeieinsatzkräfte, vor allem für die aus anderen Bundesländern, nicht klar war, wie die Einsatzabläufe sind, und das war sicher ein Faktor auf der polizeilichen Ebene, der diesen Einsatz aus dem Ruder laufen ließ.

    Meurer: Wenn Sie Revue passieren lassen das, was der Untersuchungsausschuss bisher zu Tage gebracht hat, Herr Schmid, sehen Sie dann nach drei Monaten das Verhalten der Polizei etwas milder als damals?

    Schmid: Es war von Anfang an klar, das wurde schon in der Sondersitzung des Innenausschusses deutlich, dass einzelne Demonstranten ebenfalls gewalttätig waren, aber das kann nicht überdecken, dass die politische Verantwortung für diesen Einsatz eindeutig bei der Landesregierung liegt. Bei dem Untersuchungsausschuss ist deutlich geworden, dass bei den entscheidenden Besprechungen der Innenminister keine Rolle gespielt hat, er war gar nicht dabei, und dass Ministerpräsident Mappus voll informiert war und billigend in Kauf genommen hat, dass es eben auch zu dieser Art eines Polizeieinsatzes kommen konnte.

    Meurer: Wir kommen gleich noch zur politischen Verantwortung, Herr Schmid. Kann man heute noch den Vorwurf aufrecht erhalten, wie er damals geäußert wurde, dass Polizeibeamte sozusagen aus sadistischer Freude Demonstranten niedergeknüppelt haben?

    Schmid: Diesen Vorwurf hat die SPD nie erhoben. Für uns ist klar, dass wenn es Fehlverhalten einzelner Polizeibeamte gegeben haben sollte, dies eine Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, das aufzuklären. Der Untersuchungsausschuss sollte sich auf die politischen Hintergründe konzentrieren, weil wir können nicht im Untersuchungsausschuss bewerten, ob jetzt ein Polizist einen Arm zu viel umgedreht hat oder nicht. Das sind Sachen, die gegebenenfalls durch die Staatsanwaltschaft geklärt werden.

    Meurer: Aber darum ging es doch auch im Ausschuss: Was ist passiert, wer hat die Verantwortung. Also was ist passiert am 30. September?

    Schmid: Am 30. September ist ein schlecht geplanter, oder unter Zeitdruck geplanter Polizeieinsatz aus dem Ruder gelaufen und die politischen Hintergründe dafür sind im Staatsministerium zu suchen, weil eben Herr Mappus schnell einen "Erfolg" gegen diese anwachsenden Massendemonstrationen haben wollte.

    Meurer: Sie geben, Herr Schmid, dem Ministerpräsidenten Stefan Mappus die Verantwortung. Andererseits hat der Untersuchungsausschuss bisher zu Tage gebracht, jawohl, er war informiert, es gab am 29. September, am Tag vorher, noch ein Treffen, der Ministerpräsident hat da mit Polizisten gesprochen. Aber die Polizei selber sagt, er hat uns nicht beeinflusst in unserer Strategie.

    Schmid: Es geht auch nicht darum, ob Mappus die Polizeistrategie en Detail festlegt. Es geht darum, dass die Landesregierung eine Erwartungskulisse aufgebaut hat - zum einen deshalb, weil eine Regierungserklärung wenige Tage später anberaumt war zu "Stuttgart 21" und er davor diese Frage der Baustellenräumung geklärt haben wollte, und zum anderen, weil Mappus persönlich in den Wochen vor dem Einsatz auf Konfrontation und Eskalation gesetzt hat, indem er verbal den Fehdehandschuh hingeworfen hat. Also Äußerungen, die die Lage eher angeheizt haben, als sie beruhigt haben. Und dann kam in diesem Treffen heraus, wie die Polizei gedenkt vorzugehen, und Mappus hat dieses Vorgehen gebilligt, wusste um den Einsatz von Wasserwerfern und wusste auch, was für ein Eskalationspotenzial darin liegt, und deshalb trägt er die politische Verantwortung für den Einsatz. So ist jedenfalls der bisherige Stand.

    Meurer: Woher wissen Sie das, dass er um das Eskalationspotenzial wusste?

    Schmid: Wenn die Polizeiführung dem Ministerpräsidenten die Einsatzstrategie darlegt und da auch Wasserwerfer genannt werden, wenn deutlich wird, dass innerhalb der Polizeiführung unterschiedliche Auffassungen über die Durchführbarkeit der Räumung am ersten Tag tagsüber da sind, dann weiß der Ministerpräsident, dass es zu einem solchen Einsatz kommen kann. Das ist in diesen Untersuchungsausschuss-Sitzungen deutlich herausgearbeitet worden. Und er hat diese Gesamtstrategie nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern billigend in Kauf genommen, und damit verdichten sich die Hinweise für unsere Ausgangsthese, nämlich dass die politische Verantwortung bei der Landesregierung liegt.

    Meurer: Kurz: Bestreiten Sie, Herr Schmid, dass hier Wahlkampf auf dem Rücken der Polizisten ausgeübt wird?

    Schmid: Es waren die Polizisten selber, die auf Aufklärung gedrungen haben, weil sie gespürt haben, dass ein gesellschaftlicher und politischer Konflikt um "Stuttgart 21" auf ihrem Rücken ausgetragen wird. Und wie gesagt: Es geht uns jetzt nicht um die einzelnen Polizisten, sondern es geht uns nur darum, welche politischen Hintergründe und welche Erwartungskulisse die Landesregierung im Vorfeld dieses Einsatzes aufgebaut hat, und da verdichten sich eben die Hinweise, dass da eine ganz klare Grundhaltung der Landesregierung da war, dass jetzt durchgegriffen werden müsse.

    Meurer: Der Landesvorsitzende der SPD Baden-Württemberg, Nils Schmid, heute am letzten Tag des Untersuchungsausschusses "Stuttgart 21" bei uns im Deutschlandfunk. Danke, Herr Schmid, und auf Wiederhören!

    Schmid: Auf Wiederhören.
    Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) spricht in Stuttgart vor dem Untersuchungsausschuss zum "Stuttgart 21"-Polizeieinsatz am 30. September 2010.
    Vor dem Ausschuss: Stefan Mappus am letzten Tag der Untersuchung zum Polizeieinsatz gegen Demonstranten (dapd)