"Mararia” ist ein Roman, der vom Fluch der Schönheit erzählt und von einer patriarchalischen Dorfgemeinschaft, die eine Frau vernichtet, die sich ihr nicht unterordnet. Soweit die eine Ebene des Romans, die sich mosaikartig aus den verschiedenen Perspektiven der Männer, aus ihren Berichten oder den Dialogen mit dem Erzähler zusammensetzt, was spannend zu lesen ist. Aber der Roman hat noch eine weitere, eine Art Metaebene, die das Geschehen geradezu ins Philosophische, ja Religiöse transzendiert. Denn Maria, die gegenüber dem Erzähler selbst nie zu Wort kommt und eigentlich ein Phänomen bleibt, wird für ihn zum Synonym für die Insel Lanzarote. Wenn die Männer von Marias wilder, rauher Schönheit berichten, ihrer Unnahbar- und Unbezwingbarkeit, von ihren glühenden Augen und dem schmalen hohen Wuchs, sowie ihrer Ausstrahlung, die betörte, aber auch verzehrte, so ist das auch eine Liebeserklärung an die Magie der Landschaft Lanzarotes. Und wenn Maria sich schließlich selbst verbrennt, um sich vom Fluch der Schönheit zu befreien, die der ehemalige Dorfpfarrer Don Abel als die vollkommene Maske der Sünde bezeichnet, so korrespondiert auch dieses Geschehen mit den Naturgewalten der kanarischen Insel. "Mararia läuterte ihre Schönheit durch das Feuer", so Arozarena. "Wie auch die Insel durch das Feuer ihrer Vulkane geläutert wird. Diese Eindrücke von Maria und von der Insel haben mein Schreiben bestimmt. Deshalb sage ich, daß Maria mehr Einfluß auf mich ausgeübt hat als ich auf die Erzählung.”
Diese ständigen Bezüge zwischen innerer und äußerer Realität, zwischen der Landschaft und den Befindlichkeiten der Menschen erinnert stark an das, was in der Nachkriegszeit auch bei uns als ‘Magischer Realismus’ hervortrat und heutzutage nicht selten als etwas überspannt und wirklichkeitsfern anmutet. Und auch Arozarena hat ja seinen ersten Roman nach der Zeit des Zweiten Weltkrieges, also noch während der Franco-Ära geschrieben. Er und einige Schriftstellerkollegen, so berichtete Arozarena, hätten sich "Die Generation des Niedergangs” genannt - Ausdruck einer kulturellen Hoffnungslosigkeit angesichts der Diktatur. Die politische und kulturelle Stagnation in Spanien bewirkte bei ihm und Freunden eine Rückbesinnung auf Religion, Tradition, Mythen, auf "Schönheit und Reinheit”, wie es etwas nebulös in Selbstaussagen der Schriftstellergruppe "Fetasa” hieß, der Arozarena angehörte. Und "Mararia” ist ganz offensichtlich der literarische Ausdruck dieser Rückbesinnung, eines Rückzugs in die Innerlichkeit. Auf den Kanarischen Inseln ist "Mararia” Pflichtlektüre, nicht nur in den Schulen, und sein Autor wird verehrt wie ein Star. Rafael Arozarena hat mit diesem Roman den Kanaren ein Denkmal gesetzt, den kanarischen Inseln, wie sie vielleicht einmal waren, zumindest in den Mythen noch erhalten sind. Und das hat für die Kanaren angesichts der Zerstörung von Natur und Kultur durch Tourismus und Bauboom größere Bedeutung denn je.