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Marathon aus Arbeit, Sex und Politik

Vor zwei Jahrzehnten erfuhren die Theaterstücke des amerikanischen Dramatikers und Pulitzer-Preisträgers David Mamet eine kurze Blüte in Deutschland. Nun hat das Schauspielhaus Bochum die Werke des schärfsten Kritikers des American Way of Life wiederentdeckt.

Von Michael Laages | 06.04.2009
    Nur zur Erinnerung - die Kundschaft damals hat das ja eher für exotischen Schnickschnack gehalten, diese ungewohnt schnellen und sprachlich ungewohnt rabiaten Texte, mit denen da vor gut 20 Jahren ein Autor erste Schritte unternehmen durfte auf deutschen Bühnen. Das Theaterstück "Glengarry Glen Ross" ("Hanglage Meerblick" auf Deutsch) hatte gerade den Pulitzer-Preis bekommen; und darüber hinaus war vielleicht auch noch bekannt, dass wenigstens zwei top-erfolgreiche Hollywood-Filme jener Jahre, "Wenn der Postmann zweimal klingelt" und "The Untouchables", auf Drehbüchern dieses Mannes aus Chicago basierten. Und doch blieb David Mamet, Jahrgang 1947 und über eine letztlich erfolglose Schauspiel-Ausbildung zum Theater wie zum Film gekommen, für die deutsche Szene ein Fremder. Es gab im Grunde nur ein Häuflein Schauspieler, Männer vor allem, naturgemäß in Mamets Männerwelten von Wirtschaft und Politik, die sich für diese Sprache begeistern konnten: Hans Michael Rehberg und Gerd Böckmann vor allem, Meister der glatten, eleganten Oberfläche, beherrschten "Mametspeak". Und da war auch nur ein Regisseur, der sich kontinuierlich für die Pandämonien des David Mamet interessierte: der damals vorzugsweise in Hamburg arbeitenden Dieter Giesing. Per Zufall war er dabei, als jetzt in Bochum seine Entdeckung von damals wiederentdeckt wurde.

    Fünf Stunden und drei Stücke ist der Abend lang; aber die Überanstrengung für alle lohnt sich unbedingt - Bochums Schauspielintendant Elmar Goerden rückt einen Autor wieder ins Blickfeld der Szene, dessen dramatische Tonarten sehr unterschiedlich, aber fast immer scharf und pointiert Kommentare lieferten zum Geist der Zeit. Noch im vorigen Jahr schrieb David Mamet mit "November" einen wirklich grob-grotesken Abgesang auf den absehbar scheidenden George W. Bush; allerdings wird Mamets "Chuck Smith" noch richtiggehend abgewählt, was Bush ja erspart blieb. In Mamets Sketch ist er ein blanker Idiot und rücksichtloser Gauner im Amt, der am Handy behauptet, vom Iran bombardiert zu werden (bloß um nicht länger mit der Ehefrau quatschen zu müssen) und der (eine amerikanische Spezialität) Truthähne amnestieren soll; letztlich aber (und als einzig wirklich sinnvolle Hinterlassenschaft, quasi für die Geschichtsbücher) hilft er, eine lesbische Ehe schließen.

    "Weißt Du, was unser Land so groß gemacht
    hat? Dass wir uns berichtigen können. ...
    Also: Ich erwarte, dass hier morgen 200.000
    Dollar auf dem Tisch liegen,
    zum Frühstück!"

    Der Text zeugt vor allem vom blanken Hass, den der gewesene "Mister President" nach acht Jahren auf sich gezogen hatte. Leider ist "November" dennoch ein ziemlich lausiges Stück, längliches Kabarett mit der angestrengten Dramaturgie einer Screwball-Comedy.

    Schärfer geht da schon "Sexual Perversity in Chicago" ans Werk: Das war 1974 einer von Mamets ersten Texten. Zwei Paare spielen darin Annäherungsstrategien zwischen Männern und Frauen durch - und alle abstrusen Positionen der Geschlechter-Debatte seither spiegeln sich wieder in dieser Zimmerschlacht. Nur ein bisschen wirkt das überholt, nur ein bisschen ...

    Das Meisterstück allerdings steht in Bochum am Beginn: "Hanglage Meerblick" eben, ein Stück über Immobilienmakler, die sich die Hacken rund laufen, um notfalls auch die miesesten Grundstücke und Häuser an potenziell zahlungsunfähige Käufer zu verhökern. Und dabei zur verschworenen Gemeinschaft, das heißt im Grunde, zur Gangster-Bande werden.

    "Jetzt hör' mir mal zu, was ich Dir
    sage: Dein Partner verlässt sich auf
    Dich! Der Mann, der Dein Partner ist,
    verlässt sich auf Dich ... und wenn er
    sich nicht mehr auf Dich verlassen
    kann, bist Du ein Dreck! Ein Dreck
    bist Du! Keiner kann allein
    überleben."

    Was 1988 vor allem exotisch wirkte, zielt heute mit der radikal ruppigen, aber eben auch zutiefst verzweifelten Sprache mitten ins Herz des Hurrikans, der gerade die bewohnte Welt verwüstet. Denn genau da, mit den nicht mehr bedienten Immobilienkrediten im ärmeren Amerika und mitten in der Verantwortungslosigkeit fördernden Härte des Drücker-Geschäfts, hat doch die derzeitige Welt-Krise begonnen. Erst heute sehen wir, und zwar mit Schrecken, wie hellsichtig Mamets kritische Analyse damals war.

    Für diese Erkenntnis allerdings ist Goerdens Beschwörung alt-neuer Geister "made in the USA" dann doch ein wenig zu heiter ausgefallen. Aber das Bochumer Ensemble hat ein paar neuere, jüngere Meister der Mamet-Sprache aufzuweisen: Martin Rentzsch etwa als "Mister President" kurz vor der Abwicklung und Thomas Anzenhofer als besonders herunter gekommener Immobiliendealer. Und generell zeigt sich das oft so leichthin abgemeierte Bochumer Schauspielhaus sehr auf der Höhe der Zeit. Und da lässt sich fast darüber hinweg sehen, dass der Marathon insgesamt ein wenig zu Obama-patriotisch gerät: mit Cheerleader-Schönheiten im Foyer, die in den Pausen Marshmallows verteilen. Aber nicht nur deretwegen lohnt der Ausflug nach Bochum.