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Margrethe Vestager 
Polit-Star aus Dänemark

Seit sich Margrethe Verstager mit Tech-Giganten wie Google und Apple angelegt hat, ist die unerschrockene dänische EU-Kommissarin eine internationale Berühmtheit. In Dänemark ist Vestager beliebter als ihr Arbeitgeber, die Europäische Union.

Von Gunnar Köhne | 15.01.2019
    EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager
    Kritische Fragen zu ihrer Arbeit bekommt Margrethe Vestager von dänischen Journalisten kaum gestellt. Vielleicht ist der Respekt für die liberale Politikerin in ihrer Heimat zu groß. (Gunnar Köhne)
    Der Besuch in ihrer Heimatstadt Kopenhagen beginnt für Margrethe Vestager wie jedes Mal mit einer Pressekonferenz. Die dänische EU-Kommissarin lädt in die Vertretung der EU, um von ihrer Arbeit im fernen Brüssel zu berichten. Rund ein Dutzend Journalisten hören interessiert dem Rechenschaftsbericht der 50-Jährigen zu. Passend zum farbenstrotzenden Blumenmuster auf ihrem Kleid malt sie ein hoffnungsfrohes Bild der Europäischen Union – dem Brexit zum Trotz:
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Heimat, Hygge, Hochmut - Dänemark hadert mit der EU" in der Sendung "Gesichter Europas".
    "Positiv ist zum Beispiel, dass das Wirtschaftswachstum in den reicheren Ländern der EU neuerdings etwas schwächer ausfällt als in den ärmeren Mitgliedsländern. Das bedeutet, dass das Wohlstandsgefälle innerhalb der Union etwas abgenommen hat."
    Bekannter als der dänische Ministerpräsident
    Unaufgeregt, aber mit entschlossener Stimme beantwortet die Kommissarin für Wettbewerb Fragen nach den Klimazielen der EU oder nach der irischen Grenze nach dem Brexit. Kritische Fragen zu ihrer Arbeit bekommt Vestager nicht gestellt. Vielleicht ist der Respekt für die liberale Politikerin zu groß. Schließlich hatte sie den Mut, sich mit Wirtschaftsgiganten wie Google und Apple anzulegen.
    Kaum jemand in Europa wisse, wie Dänemarks Ministerpräsident heiße, sagt Emil Røttbøll, Redakteur der linksliberalen Tageszeitung "Information", als er nach der Pressekonferenz Stift und Papier in seiner Umhängetasche verstaut. Margrethe Vestager dagegen sei der erste internationale Polit-Star aus Dänemark:
    "Viele Dänen sind sehr stolz darauf, dass sie einen so guten Job macht und in Europa so beliebt ist. Und für die meisten liegt es auf der Hand, welchen Nutzen es für den einzelnen Verbraucher hat, wenn sie sich mit den Tech-Giganten anlegt. Ich habe dazu zwar keine Zahlen zur Hand, aber ich glaube, sie ist jetzt beliebter als zu ihrer Zeit in der dänischen Politik."
    Die EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager spricht über die Milliardenstrafe gegen Google.
    Margrethe Vestager spricht über die Milliardenstrafe gegen Google (AFP / JOHN THYS)
    Nicht nur Gegnerin multinationaler Konzerne
    Vestager war Vorsitzende der sozial-liberalen Partei "Radikal Venstre" und kurzzeitig Wirtschafts- und Innenministerin, bevor sie 2014 nach Brüssel wechselte. Zwei Jahre später wurde sie daheim zum "Dänin des Jahres" gewählt.
    Die hochgewachsene Frau eilt mit großen Schritten zum nächsten Termin. Die Bosse skandinavischer Unternehmen wollen mit ihr sprechen. Sie will sich auch um die Sorgen der Wirtschaft kümmern, und nicht bloß als Gegnerin multinationaler Konzerne wahrgenommen werden.
    Sicher, zuletzt hatte sie den großen Autokonzernen das Fürchten gelehrt, weil sie sie sich in der Diesel-Affäre für das Recht auf Sammelklagen der betroffenen Autobesitzer eingesetzt hat. Aber als oberste Wettbewerbshüterin Europas habe sie es auch mit zahlreichen weniger spektakulären Fusionen und Firmenübernahmen zu tun. Am Ende zähle nur der Verbraucher, ob in Sofia oder Helsinki, sagt Vestager:
    "Am Ende müssen alle Streitfälle vor einem Gericht bestand haben. Die Richter interessiert deine politische Meinung nicht. Sie wollen Fakten und den Nachweis eines Gesetzesbruchs. Da sind wir gefordert, präzise zu arbeiten, egal, ob es sich um einen prominenten Fall handelt, der Schlagzeilen macht, oder nicht. Jeder von uns angezeigte Wettbewerbsverstoß muss vor Gericht bestand haben, sonst verlieren wir unsere Glaubwürdigkeit."
    Dänischer Wohlfahrtsstaat und europäischer Binnenmarkt
    Vestager weiß, dass sie selbst in Dänemark beliebter ist als ihr Arbeitgeber, die Europäische Union. Wenn sie hört, dass immer wieder vor einer Aushöhlung des heimischen Wohlfahrtsstaates gewarnt wird, rollt sie mit ihren grau-blauen Augen:
    "Wir sind nun schon seit 46 Jahren Mitglied der Europäischen Union, und Dänemark hat immer noch einen sehr gut funktionierenden Wohlfahrtsstaat. Natürlich gibt es hier und da Herausforderungen etwa durch das EU-weite Recht auf Freizügigkeit von Arbeitskräften. Aber manche Dänen vergessen, dass die Voraussetzung für einen guten Wohlfahrtsstaat eine florierende Wirtschaft ist. Das hat einerseits mit guter politischer Führung in Dänemark selbst zu tun, aber andererseits auch damit, dass wir Teil des gemeinsamen europäischen Binnenmarktes sind. Und, ja, wir können stolz auf unseren Wohlfahrtsstaat sein. Aber so schlecht sind die anderen EU-Länder da auch nicht."
    In Sneakers unterwegs auf Kopenhagens Straßen
    Wieder kann ihre Pressesprecherin ihr kaum folgen, als Margrethe Vestager am Abend vom Schloss Christiansborg, dem Parlamentssitz, wo sie vor europäischen jungen Liberalen aufgetreten war, zum letzten Termin des Tages eilt: Einer Podiumsdiskussion im Verlag der liberalen Tageszeitung "Politiken", gegenüber dem rot geklinkerten Rathaus mit seinem hoch aufragenden Glockenturm. Vestager fühlt sich auf Kopenhagens Straßen sichtlich zu Hause; ab und zu lächeln ihr Passanten zu.
    Angekommen im Verlagshaus, tauscht sie noch schnell ihre Sneakers gegen flache Pumps ein, die sie in einem Beutel mitgebracht hat. Als sie auf der Bühne neben dem Chefredakteur Platz nimmt, brandet Beifall auf.
    Und dann soll Vestager den gut 200 Zuschauern noch einmal die Geschichte mit Google und dem Milliarden-Bußgeld erzählen. Ganz einfach, sagt Vestager im Plauderton, ich fand es einfach nicht in Ordnung, dass ich auf meinem Android-Handy nur eine Google-Suchmaschine nutzen kann. Nur weil Google Android besitzt.
    "So viele Menschen, die sich einbringen wollen"
    Am Ende noch einmal großer Beifall für "unsere Frau in Brüssel". Vestager zieht wieder ihre Sneakers an. Ein langer Tag in Kopenhagen geht zu Ende. Aber der Besuch daheim habe sich gelohnt:
    "Die Leute hören zu und ich spüre eine Bereitschaft, etwas zu ändern – und zwar auf allen Seiten. Und das, finde ich, macht Mut. Ja, wir haben eine Menge Probleme in der EU, aber es gibt auf der anderen Seite so viele Menschen mit Ideen und Erfahrungen, die sich einbringen wollen."
    Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Heimat, Hygge, Hochmut - Dänemark hadert mit der EU" in der Sendung "Gesichter Europas".