Dienstag, 16. April 2024

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"Maria Magdalena"
Ein verstörend logischer Showdown

Michael Thalheimer inszeniert Friedrich Hebbels Tragödie "Maria Magdalena" an der Wiener Burg. Am Ende stehen vor allem die kleinbürgerlichen Moralvorstellungen am Pranger. Über die Rampe kommt das Stück aber nicht.

Von Karin Fischer | 21.02.2014
    Alle Frauenfiguren, die in der Dramenliteratur so zahlreich und schnöde umkommen, getötet werden oder sich selbst töten, macht Michael Thalheimer groß und wuchtig, zu fast autarken Figuren. Ob die Emilia Galotti, die Johanna von Orléans oder jetzt die Klara in Hebbels Drama, kaum einer hat unverhohlener auf die Männer gezeigt, die die Frauen auf dem Gewissen haben, als dieser Regisseur.
    Natürlich sind die Umstände dann immer doch größer als diese ehrlichen, willensstarken oder zwischen Gefühl und Gesellschaft zerriebenen Mädchen, sie entgehen ihrem Schicksal nicht, doch die "Umstände" werden jeweils ans Bühnenbild delegiert, das ebenso wuchtig und zuletzt meist dunkel die "Kleinheit" der Menschen, auch ihre geistige Kleinheit, unterstreicht. In Wien ist es die rigide moralische Enge im Haus des Tischlermeisters Anton, die Bühnenbildner Olaf Altmann in Form eines hängenden hohen Kastens versinnbildlicht. Der wirkt zum einen wie ein riesiger Bilderrahmen, in dem sprechende Szenen gestellt sind, zum anderen wie ein offener tiefer Sarg. Weit oben schimmert ein helles Kreuz.
    Auf dieser Bühne wird die Hauptfigur Klara - Hebbel verweist mit seinem Titel ja schon auf die große Sünderin des Neuen Testaments - grell ausgeleuchtet oder wie von Scheinwerfern ausgestanzt. Die Tochter des Tischlermeisters sieht im ausgestellten weißen Kleidchen aus wie eine Puppe. Da sie schwarze Strümpfe trägt, wirkt das, als hätte ihr jemand permanent die Beine weggezogen - die sieht man nämlich nicht. Die Bildebene passt also sehr genau zum Schuld-Diskurs, der hier geführt wird. Was wiegt schwerer: Selbstmord und Kindsmord oder die Tatsache, den eigenen Vater ins Grab gebracht zu haben? Dabei treibt ja eigentlich der Vater Klara in den Selbstmord, weil er angedroht hat, sich umzubringen.
    Auch Leonhard, der Klara schwängerte und sitzen ließ, hat Schuld, er wird vom Sekretär - der Klara liebt und der sich plötzlich ebenfalls schuldig fühlt - erschossen. Was hier klingt wie eine höchst unwahrscheinliche Räuberpistole, ist im Text die dramatische Zuspitzung fast serientauglicher Gefühle und menschlicher Erfahrungen; das Drama ein verstörend logischer Showdown, bei dem an Ende vor allem die kleinbürgerlichen Moralvorstellungen am Pranger stehen.
    Doch die kindergesichtige Sarah Viktoria Frick als Klara hat nicht viel Gelegenheit, die tragische Dimension der Geschichte auszumalen; Gefühle werden bei Thalheimer immer über Körperzeichen ausagiert. Die Figuren verlieren die Form oder sie brechen aus der stimmlichen Vernunft aus. Klara etwa schreit oder streicht sehr lange einen Brief glatt. Die Mutter zelebriert die bigotte Moral im Haus durch eine doppelte Stimmlage, hysterisch kieksend oder depressiv grollend. Thalheimer zeichnet sie weiß gekalkt als lebende Tote im Hochzeitskleid. Die Hausdurchsuchung wird - als Zeichen übergroßer Demütigung - als ein sexueller Übergriff inszeniert.
    Vater Anton rammt seinen Gehstock in den Boden wie eine Gesetzestafel; Leonhard kichert viel, Bruder Karl stiert oder wütet. Die Starrheit oder die Ticks der Figuren sollen moralische Verkommenheit oder moralische Rigidität auch repräsentieren. Das funktioniert hier, mit zuverlässigem Ensemble, nicht besser oder schlechter als an anderen Thalheimer-Abenden. Dieser aber kommt nicht wirklich über die Rampe. Und die Frau ist am Ende natürlich trotzdem tot.