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Maria Magdalena
Verrucht und verehrt

Maria Magdalena war eine Jüngerin Jesu. Sie regt bis heute die Fantasien der Nachwelt an, denn sie gilt als Verführerin und Sünderin. Am italienischen Marienwallfahrtsort Loreto ist der erotischen Heiligen eine Ausstellung gewidmet.

Von Thomas Migge | 22.11.2016
    Eine Darstellung Maria Magdalenas durch den Künstler Ignazio Stern
    Eine Darstellung Maria Magdalenas durch den Künstler Ignazio Stern (courtesy of Rosi Fontana )
    Sie schaut den Betrachter von der Seite her an. Im Profil. Ihr Mund ist ein wenig geöffnet und zeigt ein Lächeln, das nur als freundlich zu bezeichnen stark untertrieben ist. Die Maria Magdalena des italienischen Renaissancemalers Carlo Crivelli, er lebte im 15. Jahrhundert, blickt verwegen, verführerisch, und das Kleid, das sie trägt, verfügt über einen tiefen Rückenausschnitt - vielleicht ein wenig zu anzüglich für eine Frau mit Heiligenschein. Dabei ist die von Crivelli eindeutig als Verführerin dargestellte Dame eine Heilige der katholischen Kirche.
    "Maria Magdalena zwischen Reue und Sünde", das ist der sinnige Titel einer Ausstellung im mittelitalienischen Wallfahrtsort Loreto. Im "Museo della Santa Casa". Das ist eines der wichtigsten katholischen Heiligtümer Italiens. Es handelt sich um einen schlichten Steinbau, der der frommen Legende nach im Mittelalter von Engeln aus Nazareth nach Loreto gebracht worden sein soll. In dem Gebäude soll die Heilige Familie gelebt haben.
    Die beiden Seiten der Maria Magdalena
    Eine ehemalige Sünderin als Thema einer Ausstellung im Museum eines so wichtigen katholischen Heiligtums? Während Italiens Traditionalisten ihre Nasen rümpfen, hat Erzbischof Giovanni Tonucci von Loreto mit der Kunstschau keine Probleme. Im Gegenteil:
    "In der christlichen Tradition und in den Evangelien ist Maria Magdalena eine Jüngerin von Christus. Wie keine andere Figur der neutestamentarischen Schriften repräsentiert sie die Liebe zum Gottessohn und dessen Liebe ihr gegenüber. Es besteht allerdings ein Unterschied zwischen dem neutestamentarischen Bild und der späteren künstlerischen Rezeption dieser Frau. Deshalb muss hier einiges geklärt werden."
    Eine Darstellung Maria Magdalenas von Carlo Crivelli
    Eine Darstellung Maria Magdalenas von Carlo Crivelli (courtesy of Rosi Fontana)
    Dem Erzbischof geht es also darum, die beiden Seiten der Maria Magdalena deutlich voneinander zu trennen. Die Frau in der Bibel und die Frau in der Kunst. Das gehe nur, erklärte er, mit der Gegenüberstellung des neutestamentarischen Textes und einer Auswahl von Darstellungen der Maria Magdalena, die bis heute das Image dieser Heiligen definieren und gleichsam beschränken.
    "Wenn man von Maria Magdalena spricht, denkt man gleich an einen Lebensweg, der die Sünde und dann die Reue umfasst. Das entspricht aber nur bedingt den heiligen Schriften. In den Schriften wird sie als eine von mehreren Frauen im Umkreis des Gottessohnes beschrieben. Papst Franziskus nannte sie 'Apostelin der Apostel', denn sie war es ja, die von Gott damit beauftragt wurde, die Apostel von der Auferstehung Christi zu informieren."
    Maria Magdalena wurde in diesem Jahr mit dem Titel "Apostelin der Aposteln" bedacht, sie bekam einen eigenen kirchlichen Feiertag, am 22. Juli wird ihrer gedacht.
    Image als Sünderin ohne Grundlage in Evangelien
    Tatsache ist, dass in den Evangelien nichts davon zu lesen ist, dass Maria Magdalena einmal eine Sünderin oder eine Prostituierte war. Da wurden später, so der Erzbischof, Geschichte und Traditionen miteinander vermischt. Die erste Darstellung der Maria Magdalena als Sünderin findet sich in Schriften von Papst Gregor I. im späten sechsten Jahrhundert: er stellt sie mit der im Lukas-Evangelium beschriebenen anonymen Sünderin gleich, die Jesus die Füße wusch. Diese Gleichstellung bestimmte fortan und zunehmend die kirchliche Tradition der Maria Magdalena. Es entstand ein künstlerisches Genre, dass es Malern wie Crivelli, Orazio Gentileschi, Tizian und Tintoretto erlaubte - sie alle sind in der Ausstellung mit eigenen Werken vertreten - auch in die Sakralkunst ein erotisch angehauchtes Element einfließen zu lassen.
    Eine Darstellung Maria Magdalenas von Luca Giordano
    Eine Darstellung Maria Magdalenas von Luca Giordano (courtesy of Rosi Fontana)
    Das gilt vor allem für die Epoche der Gegenreformation, erklärt der Kunsthistoriker und Ausstellungskurator Vittorio Sgarbi. Sie habe mit ihrer gezielten religiösen Propaganda eine Mitschuld daran, dass sich das Bild der Maria Magdalena als reuiger Sünderin bis heute gehalten habe.
    "Eine solche Ausstellung zu so einer Heiligen, die ja auch attraktiv ist, die recht körperlich wieder geben wird, auch erotisch und verführerisch, ist in der christlichen Sakralkunst sicherlich einmalig. Die Gegenreformation hat mit dieser Attraktivität auch gespielt. Sie hat sie für ihre Propagandazwecke genutzt. In dem Sinn, dass man die Figur einer reuigen Sünderin ganz bildlich darstellte, um aller Welt zu zeigen, dass die katholische Kirche jedem vergibt, der aufrichtig bereut."
    Männliches Pendant: Der heilige Sebastian
    Der Ausstellungskurator verweist in diesem Zusammenhang auch auf das männliche Pendant zur doppeldeutigen Ikonographie der Maria Magdalena: Der heilige Sebastian, der in der Zeit des Frühchristentums den Märtyrertod starb. Er wurde in der Malerei immer wieder nahezu nackt, von den Pfeilen seiner heidnischen Peiniger durchbohrt und in recht verführerischer Körperhaltung dargestellt. Der heilige Sebastian, so Vittorio Sgarbi, wurde somit wie die heilige Maria Magdalena zu einem Bild frommer Verführung.