Donnerstag, 18. April 2024

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Maria Stuart an Münchner Kammerspielen
Gespreizte bildungsbürgerliche Feierlichkeit

Andreas Kriegenburg hat an den Kammerspielen in München "Maria Stuart" von Friedrich Schiller in einer sehr der Klassik verhafteten Aufführung inszeniert. Aber selbst die Kulisse mit ihren beeindruckenden Lichtwechseln kann über den sprichwörtlichen Stillstand auf der Bühne nicht hinweg täuschen.

Von Rosemarie Bölts | 02.02.2015
    "Maria Stuart" von Friedrich Schiller hatte in der Regie von Andreas Kriegenburg am 31.01.2015 Premiere an den Münchner Kammerspielen.
    "Maria Stuart" von Friedrich Schiller hatte in der Regie von Andreas Kriegenburg am 31.01.2015 Premiere an den Münchner Kammerspielen. (imago/DRAMA-Berlin.de)
    19 Jahre schon ist Maria Stuart in diesem düstergrauen, fensterlosen Kerker gefangen. Das hat sichtbar Spuren hinterlassen. Der Gang ist schleppend, die Gesten sind eng. Immer wieder tastet sie die klaustrophobisch versetzten Betonquader an den Wänden suchend ab, immer wieder fährt sie sich fast raufend die Hände über den kurz geschorenen Kopf und streicht sie an ihrem grauen Gewand ab. So seltsam wankt die "Königin von Schottland", die absurderweise in diesem Zustand immer noch den Anspruch auf den Thron von England erhebt, über die Bühne und lamentiert über ihr Schicksal:
    "Bei den Schriften findet sich ein Brief, bestimmt für meine königliche Schwester von England. Schon lange Zeit entbehr ich im Gefängnis der Kirche Trost, der Sakramente Wohltat. Und die mir Krone und Freiheit hat geraubt und meinem Leben selber drohte, die die Himmelstüre nicht verschließen wollen."
    Sätze in fünf jambischen Hebungen
    Es ist dieser leiernde Tonfall, der nachhaltig irritiert. Absicht, ließ Regisseur Andreas Kriegenburg schon vor der Premiere wissen und überraschte in den für ihr eher poppiges Theater bekannten Münchner Kammerspielen mit einer sehr der Klassik verhafteten Aufführung. Also mit einer Beschränkung des kompletten Theaterstücks auf den Originaltext im so genannten "Blankvers", und das wiederum heißt bei Friedrich Schiller: Kein Endreim, sondern Sätze in fünf jambischen Hebungen, wobei ein Jambus Teil eines Verses ist, der aus zwei Elementen besteht und jedes zweite Element betont wird. Ist noch komplizierter, als es klingt.
    Es spricht ja nicht nur die eingekerkerte Maria Stuart so. Auch ihre Gegenspielerin, die Königin von England, und die Hofschranzen zur einen wie zur anderen Seite, die sich als Lordesker Halskrausen-Intrigantenstadl erweisen, sind gefangen in ihren Rollen und dieser Sprechweise. Dabei glänzt Annette Paulmann als stattliche Herrscherin Elisabeth in ausladender, sonnengelber Tudor-Robe nicht nur optisch. Jambisch ist sie ganz klar die Siegerin des Abends:
    "Der Stuart war's vergönnt, die Hand nach ihrer Neigung zu verschenken. Die hat sich Jegliches erlaubt. Sie hat den vollen Kelch der Freuden ausgetrunken. Sie hat der Menschen Urteil nicht beachtet. Nimmer lud sie das Joch sich auf, dem ich mich unterwarf. Hätt ich doch auch Ansprüche stellen können, des Lebens mich der Erde Lust zu freuen. Doch zog ich meine Königspflichten vor. Und doch gewann sie aller Männer Gunst, weil sie sich beflisst, ein Weib zu sein. Um sie buhlt Jugend und das Alter. (Lachen) So sind die Männer!"
    Der Blankvers ersetzt noch keine Inszenierung
    Es geht um Politik und Religion, was in England zu Zeiten der historischen Vorlage im 16. Jahrhundert noch eins und deshalb Anlass für vernichtende Kriege war, aber von der Regie nur mit einem läppischen Abendmahl gestreift wird. Vor allem aber geht es in dem Stück um die Macht, die in den beiden so unterschiedlichen Frauengestalten personifiziert ist und die es allein wegen dieser ungewöhnlichen Konstellation, dieser gendermäßigen Verquickung von weiblicher Persönlichkeit und männlich geprägter Funktion gelohnt hätte, inszeniert zu werden.
    Offenbar aber hat das den Regisseur überfordert. Allein den Blankvers sprechen zu lassen, ersetzt eben noch keine Inszenierung. Selbst die Kulisse, auch von Andreas Kriegenburg, konnte trotz ihrer beeindruckenden Wirkung im Lichtwechsel von Kerker zu Königshof den sprichwörtlichen Stillstand auf der Bühne nicht mildern. Pudding löffeln oder einen grünen Paradiesvogel als Französisch parlierenden Abgesandten herum hüpfen zu lassen, ist niedlich, aber lange nicht ausreichend. So blieb die Aufführung trotz aller Anstrengung im Blankvers nur eine Vorführung gespreizter bildungsbürgerlicher Feierlichkeit. Das muss sich wohl auch der Sprachkünstler und Theatermann Friedrich Schiller schon vor über 200 Jahren anders vorgestellt haben.