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Marianne Koch
"Auch im Alter von 40 kann man sehr gut lernen"

Man müsse wissen, wo die eigenen Begabungen und Wünsche liegen, sagte Marianne Koch im Dlf. Sie hat den Neuanfang zum Lebensmotto gemacht. Als Schauspielerin machte sie Karriere, mit 40 begann sie ein Medizinstudium und mit 55 eröffnete sie ihre eigene Praxis.

Marianne Koch im Gespräch mit Manfred Götzke | 02.04.2018
    Marianne Koch, Schauspielerin, Ärztin, Autorin, aufgenommen am 09.05.2016 während der Aufzeichnung der RBB-Talksendung "Thadeusz" in Berlin.
    Marianne Koch, Schauspielerin, Ärztin, Autorin, aufgenommen 2016 (dpa-Zentralbild, Karlheinz Schindler)
    Manfred Götzke: Die einen kennen sie vielleicht noch an der Seite von Clint Eastwood aus "Eine Hand voll Dollar", andere aus dem Rateteam von Robert Lembkes Sendung "Was bin ich", - oder aber sie kennen Sie als Ärztin oder Moderatorin einer Medizinsendung. Die Schauspielerin, Ärztin, Moderatorin, Buchautorin Marianne Koch. Eine Frau, die wie wohl kaum eine andere den Neuanfang ja zum Lebenskonzept gemacht hat – was sie für unsere kleine Oster-Serie zu Neuanfängen bei den Informationen und Musik natürlich prädestiniert. Die gebürtige Münchnerin hätte eigentlich schon vor über 20 Jahren in Rente gehen können. Stattdessen moderiert sie nach wie vor jede Woche die Medizinsendung "Gesundheitsgespräch" im Bayerischen Rundfunk.
    Frau Koch - sind für Sie Dinge, von denen andere nur träumen - wie eine Hollywoodkariere - irgendwann so langweilig, dass Sie was ganz neues anfangen wollen?
    Marianne Koch: Sie spielen jetzt darauf an, dass ich ein Medizinstudium angefangen habe und dann unterbrochen habe für diese Filmkarriere. Ja! Ich habe mir damals keine solchen Gedanken gemacht, was Hollywood ist und was Filmemachen ist. Das kam irgendwie sehr, sehr überraschend. Ich wurde einfach angesprochen von jemand, der mich auf der Straße gesehen hatte, eine Fotografin, und wurde eingeladen, mich vorzustellen bei den Bavaria Filmstudios. Ich habe dann eine Rolle gekriegt und die eine Rolle führte zu vielen anderen. Aber es war von vornherein nicht mein Beruf.
    "Ärztin war der totale Neuanfang"
    Götzke: Das heißt, das war kein bewusster Entschluss für einen Neuanfang in Ihrem Leben, sondern das hat sich so ergeben?
    Koch: Es hat sich so ergeben und es sollte auch kein Neuanfang damals sein. Der Neuanfang kam, als ich nach fast 20 Jahren Filmemachen inklusive Hollywood und inklusive viele internationale Filme das Gefühl hatte, das ist jetzt der letztmögliche Termin, an dem ich wirklich zurückgehen kann zu dem, was ich eigentlich machen wollte, nämlich Ärztin zu werden. Das war dann tatsächlich ein totaler Neuanfang.
    Marianne Koch, Schauspielerin, Ärztin, Autorin, aufgenommen am 09.05.2016 während der Aufzeichnung der RBB-Talksendung "Thadeusz" in Berlin. 
    Marianne Koch: Schauspielerin, Ärztin, Autorin aufgenommen im Jahr 2016 (dpa-Zentralbild, Karlheinz Schindler)
    Götzke: Aber Sie haben da doch sehr, sehr viel aufgegeben für diesen Neuanfang. Wie schwer ist Ihnen das gefallen?
    Koch: Ich habe nicht viel aufgegeben. Ich habe nie dieses Gefühl gehabt, das Leben als Filmschauspielerin oder als Star sei etwas so Begehrenswertes. Ich habe das gerne mitgenommen. Es ist ja sehr lange her, da konnte man nicht so überall in der Welt herumfahren, reisen und so. Das war in diesem Fall das, was mir so wahnsinnig gut gefallen hat - eine Zeit lang. Sechs Wochen Hongkong und fünf Wochen Bangkok, Brasilien und alles, weil wir da Außenaufnahmen gemacht haben, das hat mir wirklich sehr, sehr viel gegeben. Aber die reine Arbeit als Schauspielerin, man kann es nicht anders sagen, das war eine Art Hobby. Ich habe es ganz gerne gemacht, es war auch ein kreatives Arbeiten. Aber es war nicht mein Beruf.
    Götzke: Man muss noch mal ganz kurz dazu sagen: Das war in den 50er-Jahren, als Sie da durch die Welt geflogen sind.
    "Als bunter Hund durch die Hörsäle"
    Koch: Das war in den 50er-Jahren, ja. 50er-Jahre, Anfang der 60er-Jahre, ja.
    Götzke: Und dann, haben Sie ja gerade schon gesagt, fast 20 Jahre später, haben Sie Ihr Studium der Medizin weitergemacht. Wie schwer war das, da wieder reinzukommen?
    Koch: Es war nicht ganz einfach, muss ich zugeben. Aber ich habe festgestellt, dass man auch im Alter von 40 Jahren – da war ich 40 dann - sehr, sehr gut lernen kann, problemlos eigentlich. Im Gegenteil: Man kennt sich ja auch schon besser. Man kann dann den Lernstoff vernünftiger einteilen. Das einzige war am Anfang, dass man doch als ziemlich bunter Hund da durch die Hörsäle gelaufen ist. Das hat sich aber dann gegeben. Die Kommilitonen haben gesehen, dass es mir ernst ist, und ich habe dann innerhalb von drei Jahren die klinischen Semester gemacht. Ich hatte vorher Gott sei Dank noch das Physikum. Dann habe ich die klinischen Semester gemacht und wurde approbiert. Das war’s dann!
    Götzke: Wie war das in den 60er-Jahren, als 40jährige Studentin durch die Hörsäle zu tigern? Es war ja noch eine andere Zeit. Heute ist so was ja auch üblich, auch länger zu studieren.
    Koch: Es waren damals schon auch einige ältere Leute, die dann so im Hintergrund standen. Aber ich weiß nicht, ob die dann aktiv wirklich das Studium gemacht haben. Aber für mich war es eine große Befriedigung und es hat mir unheimlich Spaß gemacht und ich habe sehr guten Kontakt auch zu anderen Studenten bekommen.
    Die Praxis-Eröffnung mit 55
    Götzke: Mit Anfang oder Mitte 50 haben Sie Ihre Praxis eröffnet?
    Koch: Ja! Ich habe vorher noch zehn Jahre in einer Klinik gearbeitet, war dann fertige Internistin und habe dann im hohen Alter von 55 eine Praxis angefangen. Das war schon auch wieder ein Neubeginn, aber es war natürlich der Neubeginn einer Sache, die mir von Anfang an als das Erstrebenswerte erschienen war. Das ging sehr gut und als ich dann im Alter von 68 keine Kassenpatienten mehr behandeln sollte - das war damals eingeschränkt; das heißt, mit 68 musste man die Kassenpatienten abgeben und ich wollte keine reine Privatpraxis führen. Dann habe ich mich entschlossen, die Praxis zu verkaufen, und im Grunde war das dann noch mal ein Neubeginn, weil ich angefangen habe, Medizinjournalismus zu machen. Ich habe vorher schon in einigen journalistischen Sachen mitgemacht, zum Beispiel "3nach9" oder "Club 2" in Österreich als Moderatorin. Dann habe ich als Journalistin gearbeitet, habe Bücher geschrieben und bin ja bis heute im Bayerischen Rundfunk als Medizinexpertin jede Woche eine Stunde auf Sendung - live zu irgendeinem wichtigen medizinischen Thema.
    Götzke: Neuanfang, das heißt ja auch immer gleichzeitig Abschied nehmen. Kann man so was lernen?
    Koch: Ich weiß nicht. Als ich damals die Praxis gegründet habe - das war schon ganz schön mutig in diesem relativ hohen Alter. Ich kam da gerade von einem Kurztrip nach New York und ich habe festgestellt, dass die Leute dort sehr, sehr viel leichter umschalten können auf etwas anderes, einfach weil sie nicht so auf Sicherheit getrimmt sind oder etwas ein Leben lang machen oder so. Die Amerikaner speziell in New York, die waren da viel freier. Es war alles ohne Netz und doppelten Boden so ungefähr. Dann kam ich zurück und habe gesagt: Und jetzt? Jetzt mach'ich es auch.
    "Man muss ziemlich genau wissen, wer man ist"
    Götzke: Heute sind junge Leute vielleicht auch darauf angewiesen. Sie müssen sehr häufig in ihrem Leben was ganz Neues starten, auch wenn sie das vielleicht nicht wollen. Sie haben sich immer sehr bewusst oder fast immer sehr bewusst dafür entschieden.
    Koch: Ja.
    Götzke: Was können Sie anderen, auch jungen Leuten empfehlen?
    Koch: Ich denke, man muss ziemlich genau wissen, wer man ist und wo die eigenen Begabungen, aber auch die eigenen Wünsche liegen. Ich meine, man wird als junger Mensch ja sehr schnell festgelegt, sowohl auf den Beruf als auch auf Partnerschaften. Gut, das ist heute nicht mehr ganz so das ganze Leben ausfüllend wie früher. Aber ich denke, wenn man sich kennt und wenn man weiß, was man machen möchte und was man machen könnte, dann sind die Bandbreiten, glaube ich, viel größer, als viele junge Menschen das von sich selbst wissen. Mit diesen Erkenntnissen, glaube ich, tut man sich dann leichter, wenn man sagt: So, und jetzt versuche ich etwas anderes. Oder auch, wenn man gezwungen ist, etwas anderes zu machen, dass man sich da wirklich mit voller Kraft und Überzeugung reinstürzt.
    "Schluss, aus, keine Filme mehr"
    Götzke: Gab es denn bei Ihnen, als Sie sich entschieden haben, wieder Medizin zu studieren, das Studium wieder aufzunehmen, einen Auslöser, einen Punkt, wo Sie gesagt haben, ich mach'jetzt das, was ich eigentlich machen möchte?
    Koch: Es hat sich so ein bisschen - wie soll ich sagen - aufgetürmt. Ich wusste, wenn ich wieder zurückgehe zur Medizin, dann muss ich es jetzt machen, weil sonst wird es einfach zu spät. Dann bin ich zum Dekan von der Münchener Uniklinik gegangen und habe gesagt, ich habe das Physikum, ich würde gerne weiterstudieren, wie sieht das aus. Da hat der gesagt: Kein Problem! So einfach war das. Dann habe ich wirklich von einer Woche auf die andere meinem Agenten gesagt: Schluss, Aus, keine Filme mehr, ich mach'was anderes.
    Götzke: Was hindert die meisten anderen, so etwas zu tun? Ist es Mutlosigkeit, Bequemlichkeit, Hasenfüßigkeit? Was ist es aus Ihrer Sicht?
    Koch: Ich weiß nicht, ob man das immer tun muss. Wenn man einmal einen Beruf hat oder eine Lebenssituation, mit der man glücklich ist, dann soll man die natürlich behalten. Das ist doch klar. Dann braucht es auch einen Neuanfang höchstens in dem Sinne, dass man sich neu orientiert, was in der Welt los ist, und sich danach irgendwie ausrichtet. Aber ich denke, es kann eigentlich jeder. Aber es muss halt nicht sein.
    Götzke: Welcher von Ihren Neuanfängen hat Ihnen das größte Glücksgefühl, das größte Glück bereitet?
    Koch: Es war ja auch ein privater Neuanfang bei mir, als ich das Studium wieder aufgenommen habe. Ich habe da den Schriftsteller Peter Hamm kennengelernt. Meine Ehe war sowieso wirklich vorbei - leider. Aber mit diesem Neuanfang des Studiums, der Wiederaufnahme des Studiums, war auch eine neue Beziehung da, und das war schon das ganz große Glück. Wir leben jetzt seit über 45 Jahren zusammen.
    Götzke: Da haben Sie mit Anfang, Mitte 40 ein komplett neues Leben begonnen?
    Koch: Muss man so sagen, ja: Mit neuen Interessen, mit neuen Freunden. Das einzige durchgehend Kontinuierliche, das war die sehr, sehr enge Beziehung zu meinen Kindern, die ja bis heute ist.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.