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Marieluise Beck (Grüne)
Putin "nutzt diplomatische Trotteligkeit des Westens"

Russlands Präsident Wladimir Putin könnte bei seinen Gesprächen mit dem Diktator Kim Jong-Un auch die Sanktionen gegen Nordkorea in Frage stellen, glaubt die frühere Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck (Grüne). Zuzutrauen sei ihm das, sagte sie im Dlf.

Marieluise Beck im Interview mit Christiane Kaess | 25.04.2019
Nordkoreas Machhthaber Kim trifft Russlands Präsidenten Putin. Die beiden sitzen in Ledersesseln vor den Flaggen ihrer Länder und sehen sich an.
Wladimir Putin (l.) trifft Kim Jong-Un in Wladiwostok (Sergei Ilnitsky/Pool Photo via AP (dpa))
"Also, ich halte da alles für möglich", sagt die Grüne Beck, bis 2017 Obfrau ihrer Partei für Osteuropapolitik. "Wir haben immer wieder erlebt, dass Putin ausschert und dass internationale Vereinbarungen ihn nicht interessieren, genauso wie ihn das Völkerrecht nicht interessiert." Moskau hat auch eigene Interessen in Nordkorea, etwa an seltenen Erden.
Russlands Präsident verhalte sich "diplomatisch viel geschickter" als der Westen, meint Beck. Sie erinnerte an Barack Obamas Ankündigung von 2012, der Einsatz von Chemiewaffen in Syrien stelle eine "rote Linie" dar, und zuletzt an Donald Trumps Gespräche mit Kim. Wenn der Westen nichts zustande bringe, komme Putin und marschiere durch das politische Vakuum. "Und es kostet ihn nichts."
Für Nordkoreas Machthaber Kim Jong-Un sei es dagegen ein großes diplomatisches Geschenk, dass er jetzt zwischen Trump und Putin hin- und herpendeln könne. Ob das die Situation seiner Landsleute verbessere, stehe auf einem anderen Blatt. Deren Versorgung sei schlecht - darüber werde gar nicht diskutiert.
Putins Passmanöver: "Hybride Annexion der besetzten Gebiete"
In Putins Ankündigung, russische Pässe in der Ostukraine zu verteilen, sieht Beck de facto eine "hybride Annexion der besetzten Gebiete des Donbass". Völkerrechtlich erlaubt sei das nicht. Mit diesem Test kurz nach der Wahl des Komikers Wolodymyr Selenskyj zum neuen ukrainischen Präsidenten sei klargestellt, "dass Selenskyj doch nicht der Mann Russlands ist."
Wo der Mann politisch herkomme und hinwolle, sei bis dato noch offen.

Das ganze Interview im Wortlaut zum Nachlesen:
Christiane Kaess: Es ist der erste Besuch des nordkoreanischen Machthabers Kim Jong-un in Russland. In Wladiwostok ist er heute Morgen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammengekommen. Weniger pompös ist dieser Gipfel, als der mit so viel Spannung erwartete zwischen US-Präsident Trump und Kimg Jong-un im März war. Der ist bekanntlich ohne Ergebnis zu Ende gegangen. Die Erwartungen an das russisch-nordkoreanische Treffen heute sind nicht annähernd so hoch gesetzt. In ersten Statements spricht Nordkoreas Kim davon, er wolle die traditionellen Beziehungen zu Russland stärken, und Russlands Putin sagt, er wolle sich für positive Entwicklungen auf der koreanischen Insel einsetzen.
Ich kann darüber jetzt sprechen mit Marieluise Beck von den Grünen, ehemalige Bundestagsabgeordnete und Sprecherin der Partei für Osteuropapolitik. Sie ist Mitgründerin der Denkfabrik Zentrum Liberale Moderne. Guten Morgen, Frau Beck!
Marieluise Beck: Guten Morgen, Frau Kaess!
Kaess: Worum geht es dem russischen Präsidenten bei diesem Gipfel?
Beck: Der russische Präsident nutzt wieder einmal in diesem alten Bezug auf Nordkorea eine diplomatische Trotteligkeit des Westens und zeigt, aha, ihr bringt nichts zustande. Das zeigte in diesem Falle dieser vollkommen ineffizient angelegte diplomatische Vorstoß, den Trump gefahren hat. Wenn dann, wie bei Trump ganz offensichtlich, nichts herausgekommen ist bei dem Treffen, bei denen zunächst großspurig angekündigt worden war, jetzt gibt es einen Durchbruch in Fragen, die vorher niemand geschafft hat, nur ich, Herr Trump, dann kommt Putin und marschiert durch das politische Vakuum, was entstanden ist, und macht dem Westen eine lange Nase, schafft sich viele Freundschaften oder erneuert sie ein bisschen, wie im Fall von Nordkorea, und es kostet ihn nichts.
"Putin benimmt sich diplomatisch viel geschickter"
Kaess: Frau Beck, es heißt ja, dass es durchaus Forderungen von Russland an Nordkorea geben soll: Zugeständnisse beim nordkoreanischen Atomprogramm und neue Verhandlungen der Sechsergruppe. Dieser Ansatz, der klingt viel moderater als der von US-Präsident Trump. Ist er denn auch realistischer? Also kann Putin da auch tatsächlich einfach mehr erreichen?
Beck: Wenn ich das Ziel zu hoch setze von vornherein und damit eigentlich klar ist, dass ich einer Fehleinschätzung der Realität unterliege, dann kann man nur scheitern. Wenn man, wie Putin das in diesem Falle macht, äußerst unkonkret ankündigt, man wolle wieder in den Dialog gehen, kann man nicht scheitern, weil es nicht die hochgestellte Latte gibt. Insofern benimmt sich Putin diplomatisch viel geschickter. Er tut das immer, wenn der Westen zunächst den Mund zu voll genommen hat und dann nichts passiert, und dann ist Putin da mit einer anderen Intervention, die ihn nichts kostet.
Im Prinzip haben wir etwas Ähnliches erlebt in Syrien, als Obama gesagt hat, es gibt eine rote Linie, das ist der Einsatz von Chemiewaffen. Chemiewaffen wurden eingesetzt durch das Assad-Regime. Es ist nichts passiert, und dann ist Putin da. Also insofern ist das eigentlich auch etwas, eine Lektion, die der Westen endlich verstehen sollte und seinerseits in politische Strategien einbaut, aber Trump hat ja offensichtlich keine von längerer Hand strategisch angelegte Außenpolitik.
Kaess: Jetzt hat Russland ja durchaus auch eigene Interessen in Nordkorea. Es will den Handel ausbauen, es heißt, es hat Interesse an den seltenen Erden in Nordkorea, und es ist offenbar auch bereit, dafür im Land zu investieren. Russland unterstützt bisher diese UN-Sanktionen gegen Pjöngjang wegen der Atomtests. Glauben Sie, dass Russland seine Position da eventuell auch ändern könnte?
Beck: Ich halte das für möglich. Wir haben immer wieder erlebt, dass Putin ausschert und dass internationale Vereinbarungen ihn nicht interessieren, genauso wie ihn das Völkerrecht nicht interessiert, wie wir gerade jetzt wieder in Donbass erleben. Also ich halte da alles für möglich.
Für Kim Jong-Un ein großes "diplomatisches Geschenk"
Kaess: Ist das auch ein Treffen zweier Landeschefs, die aus ihrer Isolation ausbrechen wollen?
Beck: Das kann man in gewisser Weise so sagen. Sicherlich ist es für Kim Jong-un ein großes Geschenk, wenn ihm ermöglicht wird, zwischen Trump und Putin hin und her zu pendeln und insbesondere Trump zu zeigen, gut, wenn ich von dir nicht das bekomme, was ich will, dann gehe ich eben zu Putin oder auch nach China. Das ist ein diplomatisches Geschenk. Ob das dann letztendlich die Situation seiner Bevölkerung verändern kann, ist zu bezweifeln, aber darüber wird ja auch leider nicht gesprochen. Der Wahnsinn, dass Nordkorea Atomwaffenmacht ist und gleichzeitig weite Teile der Bevölkerung in ganz schlechter Lebensmittelversorgung ist, dass wir hören, dass unterernährte Kinder und bedrohte Kinder in Nordkorea an der Tagesordnung sind, das ist hier gar kein Thema.
Kaess: Zum Teil isoliert ist Russland ja wegen seines Vorgehens in der Ukraine, und da hat es jetzt kurz nach den Wahlen eines neuen ukrainischen Präsidenten angekündigt, dass Moskau Menschen, die in den Gebieten der Ukraine leben, die von russischen Separatisten kontrolliert werden, leichteren Zugang zu russischen Pässen geben will. Was bedeutet das für den Minsker Friedensprozess? Den wollte der neue Präsident Selenskyj eigentlich wiederbeleben.
Beck: Ja, eigentlich kann man damit nur sagen, es ist zum Ersten klargestellt, dass Selenskyj wohl doch nicht der Mann Russlands ist oder des Kreml ist.
Kaess: Hatten Sie das vermutet?
Beck: Das ist immer wieder vermutet worden. Das sind auch undurchsichtige Taktiken gewesen, auch vielleicht des Wahlkampflagers Poroschenko. Die Frage, wer ist dieser Mann, ist ja tatsächlich schwer zu beantworten, weil er sich ja in programmatischer Hinsicht versteckt hat, auch gegenüber den ukrainischen Medien. Also insofern, die Frage, wo kommt der her, wo will er hin, die ist bis heute offen. Natürlich musste man auch damit rechnen, dass über die Verbindung Kolomojskyj und andere Oligarchen schon eine Diplomatie hinter der Wand stattgefunden hatte mit dem Kreml.
"Test sofort am Tag nach der Wahl"
Nun aber tut der Kreml etwas, wo er Selenskyj sofort am Tag nach der Wahl testet und provoziert. Es ist völkerrechtlich nicht erlaubt, einer Bevölkerung einer benachbarten oder anderen Nation den Pass anzubieten eines anderen Landes. Das ist nun im großen Maßstab angekündigt worden. Gestern ist verkündet worden, dass bis zu 30.000 Pässe pro Monat, 30.000 russische Pässe pro Monat, vergeben werden könnten, und das ist faktisch eine hybride Annexion der besetzten Gebiete des Donbass.
Wenn man sich klarmacht, dass sowohl das russische Geld dort schon eingeführt worden ist, dass russische Schulbücher eingeführt worden sind, dass die Administration in den besetzten Gebieten aus der russischen Föderation finanziert wird und dass jetzt eine Russifizierung durch Pässe stattfindet, ist das faktisch eine Annexion.
Kaess: Also eine weitere Zuspitzung, sagen Sie. Wir werden das weiterverfolgen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.