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Mariendom in Neviges
Beten im Brutalismus

Die Wallfahrtskirche in Velbert-Neviges kann man lieben oder hassen. Nur ignorieren kann man sie nicht. Der brutalistische Betonbau des Architekten Gottfried Böhm lässt viele Interpretationen zu: Die einen erkennen darin ein Pilgerzelt, andere sprechen vom Affenfelsen.

Von Monika Dittrich | 14.08.2019
Ansicht der Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens", einer Kirche aus Beton.
Blick auf die Wallfahrtskirche "Maria, Königin des Friedens" von Gottfried Böhm in Velbert-Neviges (Deutschlandradio - Andreas Lemke)
"Als mein Vater das erste Mal diese Kirche gesehen hat, das war an einem grauen regnerischen Novembertag. Und als er am Eingang der Kirche stand, wo es ja nun besonders dunkel ist, war seine erste Reaktion: Eine so hässliche Kirche habe ich noch nie gesehen", sagt Frank Krampf, Franziskaner, der im Nevigeser Wallfahrtsdom arbeitet.
"Ja, es war schon ein besonderer Geist, der dahintersteckte. Und der uns damals imponierte. Da bin ich ja nicht der einzige gewesen", meint der Kölner Architekt Gottfried Böhm, fast 100 Jahre alt. Einer der berühmtesten deutschen Architekten. Er hat den Mariendom von Neviges entworfen und vor 50 Jahren fertiggestellt.
"Das Gebäude ist für viele erst mal verstörend"
Neviges ist ein Bezirk von Velbert, einer Stadt im Bergischen Land in Nordrhein-Westfalen, mit rund 80.000 Einwohnern. Neviges ist berühmt. Weil jedes Jahr tausende Pilger hierherkommen, um ein Marienbild zu verehren. Und weil Neviges seit fünfzig Jahren diese Wallfahrtskirche hat. Man kann sie nur lieben oder hassen. Ignorieren kann man sie nicht.
Besuchern muss er den Bau immer wieder erklären: Franziskaner Frank Krampf
Besuchern muss er den Bau immer wieder erklären: Franziskaner Frank Krampf (Deutschlandradio / Monika Dittrich )
"Wir stehen jetzt hier auf dem Pilgerplatz, vor dem Mariendom."
Frank Krampf ist Franziskaner. Er trägt den braunen Habit mit der hellen Gürtelkordel. Seit dem 17. Jahrhundert sind die Franziskaner in Neviges, sie betreuen die Wallfahrt und auch den Mariendom.
"Wenn man sich das Gebäude anschaut, dann ist das für viele erst mal verstörend. So viel Beton, so große Betonflächen, die zurzeit auch etwas schmutzig sind."
"Das Angebot dieses Marktes ist Gott"
Wenn man die Kirche betritt, steht man in einem dunklen Vorraum mit niedriger Decke.
"Das ist auch ein Teil der Architektur, der Eingangsbereich ist der dunkelste Ort der Kirche. Und das Licht soll hinführen zum Altar, dass eben der Altar der lichtvollste Punkt ist."
Und dann faltet er sich plötzlich auf, dieser riesige Raum, bis hinauf in die Spitze des Betonzeltes. Hier erst wird klar: Der Pilgerweg draußen mit dem Muster der Pflastersteine führt bis zum Altar im Zentrum des Kirchenraums. Drumherum die Sitzreihen. Ein Forum soll das sein, eine Art Marktplatz – und so sieht es auch aus. Die Emporen an den Seiten mit ihren Balkonen wirken wie die Häuser an einem städtischen Platz.
Ursprünglich standen Straßenlaternen in der Kirche, die den Charakter des Marktplatzes betonten.
"Weil das Licht aber nicht ausgereicht hat, hat man die Lampen verändert. Wir werden aber daran arbeiten, die ursprüngliche Idee hinzubekommen: wirklich Straßenlaternen – eben die Idee vom Marktplatz. Das ist eben diese Idee: Das Angebot dieses Marktes ist Gott."
Neue Architektur für einen neuen Geist
Eine Kirche wie ein Marktplatz. Ein Altar im Zentrum der Piazza, umfasst von Sitzreihen. Als diese Kirche am 22. Mai 1968 eingeweiht wurde, da war das ein radikal moderner Bau. Möglich geworden war eine solche Kirchenarchitektur erst durch tiefgreifende Veränderungen, die beim Zweiten Vatikanischen Konzil beschlossen worden waren.
Am Ende des Konzils 1965 standen wegweisende Beschlüsse etwa zur Ökumene und zur Religionsfreiheit. Zu den wichtigen Dokumenten gehört auch die so genannte "Konstitution über die heilige Liturgie". Es war eine grundlegende Reform der Gottesdienstfeier.
Soll an einen Marktplatz erinnern: der Innenraum des kristallin geformten Nevigeser Wallfahrtsdoms
Soll an einen Marktplatz erinnern: der Innenraum des kristallin geformten Nevigeser Wallfahrtsdoms (picture-alliance / dpa )
Bis dahin zelebrierten Priester die Messe üblicherweise auf Latein und mit dem Rücken zur Gemeinde, meist an einem Hochaltar, von oben herab. Von nun an galt es, die Messe in der jeweiligen Landessprache zu feiern und sich mehr den Gottesdienstbesuchern zuzuwenden. Es kam der Volksaltar, an dem sich die Gläubigen versammeln sollten.
Die sakralen Räume sollten es ermöglichen, dass die Christen nicht mehr "stumme Zuschauer" sind, sondern "tätig mitfeiern" können, wie es in der Liturgiekonstitution heißt. Diese Idee setzte sich dann auch in Neviges durch, wo man schon länger darüber nachgedacht hatte, eine neue Wallfahrtskirche zu bauen.
"Es muss eine Kirche sein, die das Neue unterstreicht"
Die Geschichte der Wallfahrt in Neviges reicht zurück ins 17. Jahrhundert. 1676 berichtete der Franziskaner Antonius Schirley, Maria sei ihm erschienen. So fing es an mit der Wallfahrt in Neviges, und schon bald kamen die Pilger in Strömen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es bis zu 300.000 Pilger pro Jahr, manchmal kamen bis zu 10.000 an einem einzigen Sonntag. Viel zu viele für die kleine Pfarrkirche.
"Im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils ließ sich dann Kardinal Frings als Erzbischof von Köln davon überzeugen, dass es gut ist für Neviges, eine neue Kirche zu bauen, die den neuen liturgischen Bedingungen entspricht und auch die Fülle der Pilger aufgreift", sagt Frank Krampf.
Der Kölner Erzbischof Kardinal Frings hatte selbst am Zweiten Vatikanischen Konzil in Rom teilgenommen. Er gehörte zu den Reformern in der Katholischen Kirche. Die Ideen und Beschlüsse, die er vom Konzil mitgebracht hatte, wollte Frings in Neviges umgesetzt sehen.
"Er hat gesagt, wenn wir das jetzt machen, dann muss das eine Kirche sein, die dieses radikal Neue jetzt unterstreicht."
Die Kirche als "etwas ganz Gemeinsames"
Als Frings den Wettbewerb für die Wallfahrtskirche in Neviges ausschrieb, erreichte Gottfried Böhm zunächst nicht den ersten Platz. Doch der Erzbischof, der damals bereits fast blind war, begeisterte sich für das Architekturmodell, das Böhm eingereicht hatte und das er abtasten konnte. Und so gab es einen zweiten Wettbewerb, bei dem Böhm schließlich den Zuschlag bekam, den Mariendom zu bauen. Die Kirche sollte eines seiner bedeutendsten Bauwerke werden.
Radikal mutig: Mariendom-Architekt Gottfried Böhm
Radikal mutig: Mariendom-Architekt Gottfried Böhm (Deutschlandradio / Monika Dittrich)
Gottfried Böhms Werk strahlt weltweit. Schon sein Vater Dominikus Böhm war ein herausragender Kirchenbaumeister. Und auch drei seiner vier Söhne arbeiten als Architekten. Zu Gottfried Böhms wichtigsten Bauwerken gehören viele Kirchen, zum Beispiel die Kölner Kapelle "Madonna in den Trümmern", aber auch Profanbauten wie das Bensberger Rathaus oder das Potsdamer Hans-Otto-Theater. 1986 wurde Gottfried Böhm als erster deutscher Architekt mit dem angesehenen Pritzker-Preis ausgezeichnet.
"Ja, es war schon ein besonderer Geist, der dahintersteckte. Und der uns damals imponierte. Dass das ganze menschlicher wurde, mit den Menschen verbunden und nicht etwas Abgehobenes sein sollte. Sondern etwas ganz Gemeinsames."
Die katholische Kirche als Bauherrin sei bereit gewesen, radikal modern und avantgardistisch zu bauen:
"Positiv habe ich das erlebt, dass die das so mitgemacht haben. Das war ja auch im Zelebrieren, im Umgang mit den Gläubigen, war das anders auf einmal, das war schon toll und angenehm. Vielleicht müsste das auch jetzt noch toller werden können. Ich weiß auch nicht, es stockt so. Das Verhältnis der Kirche zur Menschheit."
Dieser Beitrag ist in seiner Langfassung als Feature erstmals am 02.05.2018 in der Reihe "Aus Religion und Gesellschaft" erschienen.