Donnerstag, 25. April 2024

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Muss die Geschichte umgeschrieben werden?

Koldehoff: Nun hat Otto der Große als der Schöpfer des fast 900 Jahre währenden Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation ja seinen festen Platz in der Geschichte. Was kann denn der Fund einer Kirche, und sei sie noch so groß und schön gewesen, überhaupt noch an spektakulären neuen Erkenntnissen bringen?

Der Grabungsleiter Rainer Kuhn im Gespräch | 23.06.2003
    Kuhn: Diese Kirche galt ja jahrzehntelang als Palast Ottos des Großen. Es gab unmittelbar benachbart zu unserer Grabung bereits in den 60er Jahren Grabungen. Man hatte dann gemeint, nach diesen Grabungen 1959 bis 1968, man hätte den Palast, die Aula Regia, die Königshalle Ottos des Großen gefunden. Da gelang uns nun vor zwei Jahren zum ersten Mal der Nachweis eines Grabes unmittelbar neben diesem Kirchenbau. Das war Anlass zu dieser Forschungsgrabung, die uns nun seit einem Jahr beschäftigt. Hier haben wir nun in der Tat den Palasttyp weggeforscht, denn dieser Palast wäre einzigartig gewesen und die Kirchentheorie eindeutig bestätigt. Das hat natürlich relativ weitreichende Konsequenzen, so wie ottonenzeitliche Sakralarchitektur, die wir natürlich jetzt wenige Wochen vor Beginn der Aufarbeitung noch nicht abschließend bewerten können.

    Koldehoff: Gelungen ist Ihnen das, weil Sie an Stellen gegraben haben, an denen vorher nicht gegraben wurde, oder wie muss ich mir das vorstellen?

    Kuhn: Genau so. Wir hatten die Altgrabungen direkt auf dem Domplatz. Wir haben vor allen Dingen nicht nur an einem Ort gegraben, wo bisher noch nicht gegraben wurde, sondern bis in eine Tiefe, die bisher noch nicht erreicht worden war. Aus diesem Grunde konnten wir unter anderem zwei Vorgängerbauten entdecken.

    Koldehoff: Nun ist die Rede davon, dass das, was Sie dort gefunden haben, mal eine Kirche war, die möglicherweise höchstens mit dem Kölner Dom vergleichbar wäre: 41 Meter breit, etwa 80 Meter lang, von 60 Metern Höhe ist die Rede. Was entnimmt man so einem Kirchenbau als Archäologe? Es ist in verschiedenen Agenturen die Rede davon, die Geschichte des Ottonischen Reiches müsste möglicherweise neu geschrieben werden. Ein großer Satz. Was gewinnen Sie für Erkenntnisse aus so einem Fund?

    Kuhn: Das ist fürwahr ein großer Satz, der so natürlich nicht von mir stammt. Es ist in der Tat so, dass hier in Magdeburg im 10. Jahrhundert viele Weichen für das spätere Europa gestellt werden. Otto ist eine zentrale Figur. Magdeburg ist ein zentraler Ort im Zuge dieses Reisekönigtums. Er ist an keinem anderen Ort so oft wie in Magdeburg. Da scheinen wir nun in der Tat den zentralen Bau gefunden zu haben. Wir sind sicher, es ist ein Bau des 10. Jahrhunderts, und wir sind sicher, es ist ein Kirchenbau. Das können wir durch Gräber im Süden und im Norden eindeutig nachweisen. Durch diese Vorgängerbauten ergibt sich auch eine gewisse Kontinuität im Bauschema, die sich übrigens bis in die barocken Fassade der heutigen Staatskanzlei fortsetzt. Das heißt, wir werden nach der Aufarbeitung diesen zentralen Ort der ottonenzeitlichen Geschichte, diesen zentralen Ort Ottos des Großen, ein gutes Stück besser verstehen. Das ist in der Tat natürlich ein sehr schönes Ergebnis für diese Forschungsgrabung des letzten Jahres, ohne dass man jetzt gleich die Geschichte neu schreiben müsste.

    Koldehoff: In diesen Tagen sollen die Grabungen nun zunächst einmal abgeschlossen werden. Danach, so heißt es, wird zunächst erst einmal alles wieder zugeschüttet. Warum das?

    Kuhn: Es soll in diesem Bereich eine Straße errichtet werden. Das war eigentlich auch der ursprüngliche Anlass. Man hat gesagt, bevor wir nur ein Stück ausgraben, zwei schmale Streifen für Leitungen, graben wir lieber komplett aus, genau das, was in den 60er Jahren nicht möglich war. Jetzt soll also diese Straße errichtet werden. Man trägt sich aber durchaus mit dem Gedanken, ob man das nicht zumindest partiell in irgendeiner Form sichtbar bewahren kann.

    Koldehoff: Es ist ja die Rede davon, dass unter anderem Mosaikteile gefunden worden seien und Schmuckausstattungen. Geht das für einen Archäologen grundsätzlich in Ordnung, dass solche Funde dann wieder zugekippt werden und man eine Straße darüber zieht, oder würde man sich etwas anderes wünschen?

    Kuhn: Grundsätzlich ist es so: Dadurch, dass wir derart tief graben, entnehmen wir alle Fundstücke wie die genannten Mosaike, die sich ja nicht mehr im Verbund befanden, sondern es handelte sich um Einzelobjekte. Auch die Befunde, das heißt, die Mauern, selbstverständlich die ganzen Gräber sind von uns weitestgehend entnommen, teilweise auch ins Kulturhistorischen Museum gebracht, um dort dann wieder aufgebaut zu werden. Im Grunde ist also, wenn wir fertig sind, das Areal archäologisch geräumt. Was man dann natürlich noch sieht, sind diese wunderbaren Profile. Wo haben Sie schon so einen Schnitt, so eine Kirche von 50 Meter Länge, drei Meter tief und sozusagen volle Breite? Das wäre durchaus noch sehr schön zu vermitteln. Da wird man sehen, wie die politischen Entscheidungen dann aussehen. Wissenschaftlich sind wir aber eigentlich mit diesen 300 Quadratmetern zu Ende, wenn wir die Grabungen dieser Tage abschließen.

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