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Marina Weisband
covfefe ignorieren - Politik als Show Business

Warum viele die Wörter Trump und Tweet nicht mehr hören können. Warum man im Politik-Ressort nicht über die Anzahl der Eiskugeln beim Präsidenten-Dinner berichten sollte. Warum schlechtes Benehmen nicht zwangsläufig mit Aufmerksamkeit belohnt werden muss - darüber denkt Marina Weisband in ihrer Kolumne nach.

Von Marina Weisband | 01.06.2017
    Porträtfoto von Marina Weisband
    Marina Weisband (Lars Borges)
    Und nun die Nachrichten, mit dem einzigen Thema, das es im Moment gibt auf der Welt: Donald Trump. Gestern hat sich Donald Trump auf Twitter vertippt und versehentlich ein neues Wort erfunden - covfefe - und von der ZEIT bis zum Tagesspiegel war alles wieder mit Artikeln darüber gefüllt. Die Berichterstattung geht so weit, dass viele das Wort Trump nicht mehr hören können. Nun könnte man meinen, er ist der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Was er tut, ist wichtig und beeinflusst den Lauf der Welt. Und das ist richtig. Seine politischen Handlungen zu beobachten ist immens wichtig. Aber warum Spiegel online deshalb in der Rubrik "Politik" darüber schreiben muss, dass Trump zum Nachtisch zwei Kugeln Eis bekommt und seine Gäste nur eine, verstehe ich nicht.
    "... wo Politik fließend in Popcornkino übergeht"
    Es kommt mir manchmal so vor, als würden wir politische Berichterstattung konsumieren wie Reality TV. Wir betrachten die amerikanische Politik mit emotional distanziertem Entsetzen. Wir zeigen mit dem Finger auf sie, wenn wir gerade nichts Besseres zu tun haben. Ähnlich wie das Dschungelcamp oder Doku Soaps über Fliesentischbesitzer. Das hängt sicherlich auch mit der Berichterstattung zusammen. Die Personalie Trump ist so absurd, dass sich die Kaprizierung auf jedes kleine Detail lohnt. Satire-Shows wie die Late Show oder die Daily Show erleben Rekordquoten seit der US-Wahl. Nicht zuletzt hat der Präsident den Wahlkampf so, auch ohne viele Werbekosten, für sich entscheiden können. Man hat ihn so oft erwähnt, jeden Satz von ihm so oft wiederholt, dass er ständig kostenlos im Fernsehen zu sehen war.
    Nun liegt es in der Natur des Menschen, dass wir Politik besser verstehen, wenn sie an Personen und Geschichten hängt. Wir brauchen Narrative, um Ereignisse einordnen zu können. Zum Teil ist deshalb auch Personalisierung Aufgabe der Medien. Es gibt zwei Extreme, in die diese Art von Berichterstattung allerdings ausufern kann. Das eine ist der Personenkult, in dem eine Führungsfigur überstilisiert wird. Das andere ist die Reality Show, wo Politik fließend in Popcornkino übergeht.
    "... neben der Verlockung von Klicks auch eine gewisse Kultur der Sachlichkeit"
    In Deutschland ist dieser Trend noch nicht so klar zu beobachten. Hier gibt es neben der Verlockung von Klicks auch eine gewisse Kultur der Sachlichkeit, die sich in der politischen Berichterstattung immer noch durchsetzt. Sie bestimmt Grenzen. Auch hier wird mit Narrativen und Personalisierung gearbeitet, nur nicht so krass. Doch wenn ich mir die Anfragen von Boulevardblättern vor Augen führe, die mich - weil damals Piratin - zu einem politischen Interview gerne in der Badewanne fotografieren wollten, frage ich mich allerdings, ob wir dieser Verlockung auf Dauer standhalten können. Auch in Deutschland werden dumme und menschenverachtende Aussagen medial oft wiedergegeben, damit Leser sich in gerechter Empörung darüber ergehen können. So werden sie aber verbreitet.
    Der Journalismus in seinem Spannungsfeld zwischen kapitalistischer Konkurrenz und Berufsethos hat jeden Tag mit dem Dilemma zu kämpfen, was und wie berichtet werden sollte. Doch ein nüchterner Blick auf die Gefahren einer Show-Business-Politik macht deutlich, dass dieser Kampf es wert ist. Aber auch wir Leser, Zuschauer und Hörer sollten uns einer Sache bewusst sein: Auch wenn wir an der Politik anderer Länder nicht direkt etwas ändern können, ist das, zu was wir Popcorn mampfen, das echte Leben. Es bedroht echte Existenzen. Wir sollten aufhören, schlechte Menschen mit Aufmerksamkeit zu belohnen.