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Marina Weisband
Könnte man nicht lachen, man müsste weinen

Satire erfüllt immer öfter Funktionen von Journalismus, findet unsere Kolumnistin Marina Weisband. Viele Menschen bezögen ihre Informationen nur noch von Satirikern, nicht mehr von Journalisten - nur so könnten sie die Nachrichten überhaupt noch ertragen.

Von Marina Weisband | 27.07.2017
    Der US-Latenight-Talker John Oliver steht 2016 bei den Emmy Awards auf der Bühne und hält seinen Preis in der Hand. Die Emmys gelten als wichtigste US-amerikanische Fernseh-Auszeichnungen.
    "Finden Sie uns einen deutschen John Oliver", appelliert Marina Weisband an deutsche Fernsehproduzenten. Der Satiriker moderiert das US-Latenight-Format "Last Week Tonight". (imago stock&people)
    Satire. Bekannterweise darf sie alles – und muss nichts. In Deutschland wie in den USA erfreuen sich satirische Sendungen wachsender Beliebtheit. Hier sind es die "Heute-Show", "Die Anstalt", Jan Böhmermann; am anderen Ende des Teichs Jon Stewart, Stephen Colbert und John Oliver. Sie kommentieren das Zeitgeschehen ohne den steifen Habitus möglichst objektiver Journalisten, sie albern rum, kritisieren aber auch ohne Furcht die Mächtigen. Sie stehen in der Tradition des Hofnarren.
    Da sie sich außerhalb der sozialen (hier vor allem journalistischen) Normen bewegen, haben sie die Freiheit, Politiker und Journalisten anzugreifen, ohne dass ihnen Unprofessionalität oder Einseitigkeit vorgeworfen werden. Mit anderen Worten: Sie sind diejenigen, die sagen können, dass der König nackt ist.
    Dass viele dieser Sendungen in einem Pseudo-Nachrichten-Format aufgebaut sind, ist kein Zufall. Es gibt eine wachsende Gruppe an Menschen, die ihre Nachrichten vor allem aus Satireshows bezieht. In den USA waren 2014 zehn Prozent der Erwachsenen online, die Nachrichten aus der Show "Colbert Report" bezogen. Warum? Ich schätze, weil es schwer ist, die aktuellen Nachrichten in anderer Form zu ertragen. Wenn man nicht lachen könnte, müsste man weinen.
    Grenze zwischen Journalismus und Unterhaltung verwischt
    Wir leben in einer Zeit, in der die Grenze zwischen politischem Journalismus und Unterhaltung immer weiter verwischt. Politische Talkshows ziehen ihre Sendungen so auf, dass es möglichst viel Antagonismus, möglichst viele überspitzte Phrasen und möglichst klare Fronten gibt – zugunsten der Unterhaltung. Währenddessen sitzen in "Der Anstalt" Claus von Wagner und Max Uthoff auf einer Wippe, um den deutschen Exportüberschuss zu illustrieren, und betreiben damit politische Bildung vom Feinsten. Hier dient Humor dem Wissenstransfer.
    Der Comedian John Oliver geht in der amerikanischen Sendung "Last Week Tonight" diesen Weg noch einen Schritt weiter. Die Besonderheit seiner Sendung ist ein Segment, in dem sein Team lange und investigativ jeweils ein Thema recherchiert, das von den Nachrichten weitestgehend übergangen wird und uninteressant wirkt, in seinen Auswirkungen aber wichtig ist.
    Er schafft es, Skandale zu Patentwesen, Elternzeit oder Lebensmittelverschwendung aufzudecken und zu erklären, ohne jemals langweilig zu wirken. Ich hoffe, dass das Format auch in Deutschland übernommen wird. Denn Oliver hat zwei Besonderheiten. Erstens nimmt er die Aufgabe der investigativen Recherche sehr ernst und stellt an sich dahingehend vergleichsweise hohe Ansprüche. Zweitens ist er nicht nur lustig, sondern spricht auch sehr aufrichtig und anscheinend von Herzen über seine Themen.
    Barack Obama und Jon Stewart unterhalten sich auf der Bühne der "Daily Show"
    Der damalige US-Präsident Barack Obama war im Jahr 2010 Gast in der "Daily Show", die damals Talkmaster Jon Stewart moderierte. (picture alliance / dpa / EPA / Roger L. Wollenberg)
    Orientierungspunkte im Meinungsdschungel
    Aus einer langen Tradition heraus können Satiriker Macht kritisieren. Doch in der heutigen Zeit haben sie etwas Besonderes. Ihr Ansehen nicht nur als Komiker, sondern als Nachrichtenquellen und glaubwürdige Orientierungspunkte im Meinungsdschungel, ist ein Anzeichen einer Unzufriedenheit mit der Politik und den Journalisten, die über sie berichten. Dem lässt sich nur mit einer großen Aufrichtigkeit und moralischer Unkompromittiertheit begegnen. Und mit Humor.
    Solch eine Macht bedeutet auch Verantwortung. Nicht zum strengen journalistischen Ethos – das widerspricht der Sache. Aber egal welcher politischen Überzeugung er ist, der Satiriker sollte seiner eigenen Moral treu sein und die eigene Macht zur Aufklärung und Meinungsbildung ernst nehmen. "Ich bin doch nur Comedian" und Ironie sind keine geeigneten Schutzschilde vor der eigenen Verantwortung.
    Also wenn Sie zu der Art von Person gehören, die neue Fernsehformate ins Leben rufen können – finden Sie uns einen deutschen John Oliver.