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Marina Weisband
Warum Zuspitzung so gefährlich ist

Die sogenannte "Qualitätspresse" berichte häufig, indem sie Themen emotionalisiere und zuspitze, kritisiert Marina Weisband in ihrer Kolumne. Stattdessen sollten Journalisten lieber darauf achten, gut verständliche Texte zu schreiben. Andernfalls drohe gesellschaftlicher Schaden.

Von Marina Weisband | 26.07.2018
    Porträtfoto von Marina Weisband
    Marina Weisband (Lars Borges)
    Es ist nicht leicht, zu schreiben. Es ist vor allem nicht leicht, so zu schreiben, dass auch Menschen mit wenig Vorkenntnissen nicht nur einen Einblick in das beschriebene Thema bekommen, sondern sich im besten Fall auch noch emotional involviert fühlen.
    Es gibt einfache Instrumente, das zu erreichen, derer sich die Boulevardpresse gern bedient. Sie wissen schon. Persönliche herzrührende Geschichten, Übertreibungen, unzulässig wertende Begriffe, Weglassen von Information, "Zuspitzung" .
    Hauptsache kompliziert
    Die Öffentlich-Rechtlichen tun sich damit schwerer. Neutralität kann verfremdet wirken. Texte von Experten beispielsweise aus dem Bereich der Außenpolitik können zudem unverständlich sein, weil sie zwar die Sachverhalte beschreiben, aber nicht die Logiken, die dahinter stehen. Jemand, der als Journalist sein ganzes Leben mit Diplomaten arbeitet, sieht die Spielregeln der Diplomatie als selbstverständlich und setzt sie oft unbewusst als bekannt voraus. Das führt zu Nachrichten, die oft in ihrer Bedeutungsschwere nicht nachvollziehbar sind für Laien.
    Oft versuchen dann auch die sogenannte "Qualitätspresse", zu emotionalisieren, oft genug über dieses ätzende Mittel der Zuspitzung. Eine Zuspitzung, das ist im Prinzip eine falsche Darstellung. Im besten Fall eine, die Informationen weglässt. Das ist gefährlich in einer Zeit, in der oft kaum mehr als die Überschrift wahrgenommen wird.
    Es muss doch Möglichkeiten geben, zugänglich zu schreiben, ohne die Integrität zu opfern. Nehmen wir zum Beispiel die Debatte über transsexuelle Menschen und öffentliche Toiletten. Von der rechten Seite ist sie sehr einfach. Sie emotionalisiert. Zum Beispiel: "Sie würden doch nicht wollen, dass ein verkleideter Mann zusammen mit ihrer Tochter auf eine Toilette geht". Bäm. Einfach, persönlich, emotional, faktisch komplett falsch.
    Die linke Seite tut sich traditionell schwerer. Von dort habe ich viele Texte gelesen, in denen erstmal Gender-Theorien aufgerollt werden. Faktisch richtig, aber schwer zugänglich. Die schönste, pragmatischste Bemerkung der Debatte hörte ich allerdings von einem Menschen, der eben kein Akademiker war: "Warum soll es mich interessieren, wer neben mir scheißt?"
    Diese Aussage lässt nichts aus. Sie verfälscht nichts. Sie ist einfach. Dahinter steckt aber das gesamte Konzept der Toleranz.
    Die Absicht ist der springende Punkt
    Es ist meine feste Überzeugung, dass jemand, der ein Thema wirklich tief durchdrungen hat, in der Lage ist, es einfach zu erklären. Dem stehen in der Praxis ein paar Hindernisse im Weg. Erstens: Bis man das Thema wirklich tief durchdrungen hat, wird man beim Erklären immer komplizierter, je mehr man über das Thema weiß. Zweitens: Oft grenzt man sich ganz unbewusst durch seine Bildung ab und benutzt Anspielungen, die andere gebildete Leute auch verstehen - Leser ohne Vorwissen aber nicht. Das dient zwar nicht dazu, andere abzuwerten, sondern eher, sich selbst aufzuwerten - doch der Effekt bleibt. Drittens braucht es, um etwas zugänglich zu erklären, die Absicht, genau das zu tun.
    Die Absicht ist der springende Punkt. Oft fehlt sie einfach. Weil man ein bestimmtes Zielpublikum definiert bekommt. Oder weil man zur Deadline liefern muss und daran denkt, welchen Text die Redaktion gut finden wird. Wenn man beim Schreiben aber an seinen Chefredakteur denkt, schreibt man einen ganz anderen Text, als wenn man daran denkt, dass diesen Text ein junger Mensch lesen soll.
    Für alle schreiben
    Das Wundervolle ist: Wenn man etwas schreibt, das für Jugendliche gut verständlich ist, schreibt man automatisch etwas, das auch die meisten Erwachsenen lieber lesen.
    Sicher kann man Texte für bestimmte Zielgruppen schreiben, doch unsere Debatte ist so zersplittert. Um die Gesellschaft zu einen, muss man für alle schreiben. Das betrifft besonders Berichterstattung aus Spezialgebieten wie Wissenschaft oder Politik, aber auch Debatten- und Meinungsbeiträge der linken Szene.
    Ich für meinen Teil suche mir in letzter Zeit immer jemanden zum Sprechen über mein Thema. Eine Schülerin, einen Bekannten oder Verwandten, der in einem völlig anderen Gebiet arbeitet als ich. Jemanden, dessen Fragen und Antworten sich von meinen unterscheiden. Jemandem, dem es egal ist, wer neben ihm scheißt.