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Mario Vargas Llosa
Ein Altmeister rechnet ab

In seinem neuen Roman "Die Enthüllung" schreibt der Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa über die Macht der Boulevardpresse, die immer politischer wird. Eine Erfahrung, die der peruanische Autor kennt: Er war selbst Opfer von Paparazzi."Das ist ein Albtraum, dem man trotzen muss", sagte Llosa während seiner Lesereise in Köln.

Von Tobias Wenzel | 24.10.2016
    Der Autor Mario Vargas Llosa sitzt am 23. Oktobe 2016 in Köln bei einer Lesung seines Buches "Die Enthüllung". Links: das Buchvover der Neuerscheinung.
    Mario Vargas Llosa am 23. Oktober 2016 in Köln während einer Lesung seines Buchs "Die Enthüllung". Links: das Buchvover der Neuerscheinung. (Suhrkamp / dpa / picture alliance / Henning Kaiser)
    "Niemals würde ich so ein enthusiastisches Gesicht neben einem gerade eben frittierten Meerschweinchen machen wie diese Person auf dem Foto."
    In einem Kölner Fünf-Sterne-Hotel, einige Stunden vor seiner Buchpremiere, betrachtet Mario Vargas Llosa ein Bild. Ihm gegenüber sitzt ein Journalist, der behauptet, dieses Foto beweise, dass der Nobelpreisträger eines der beliebtesten Haustiere der Deutschen verspeist habe. Er solle es endlich zugeben, dass er auf dem Foto zu sehen sei.
    "Nein! Das ist ein Betrüger, der mich auf widerliche Weise meiner Identität beraubt hat. Nein, das bin ich nicht!" [lacht]
    Erst das Lachen verrät den peruanischen Schriftsteller. Bis dahin hat der Achtzigjährige überzeugend die Rolle des Empörten verkörpert, den Spaß mitgemacht, die Anspielung auf seinen neuen Roman "Die Enthüllung" sofort verstanden.
    Lima Ende der 90er Jahre, die Zeit der Diktatur unter Alberto Fujimori: Unsicherheit überall, Terrorismus von der Guerillaorganisation Leuchtender Pfad, offizieller Gegenterrorismus von Staatsseite, Explosionen, Entführungen, Ausgangssperren. In der Fiktion erpresst der schmierige Chef einer Klatschzeitschrift einen berühmten Unternehmer mit Fotos, die ihn beim Sex mit Prostituierten zeigen.
    Ein Buch über die Macht der Klatschpresse
    "Die Überraschung beim Anblick des ersten Abzugs war so groß, dass er den Stapel fallen ließ, die Fotos glitten über die Schreibtischkante und verstreuten sich auf dem Boden. Er rutschte gleich von seinem Stuhl, und auf allen vieren kratzte er sie wieder zusammen."

    Hanns Zischler liest in einer Sonderveranstaltung der Lit.Cologne vor fast 700 Interessierten aus dem neuen Roman. Einem Buch über die Macht der Klatschpresse, die immer politischer wird.
    "Wenn man so will, sitzen hier neben uns sechzig Jahre geballtes Wissen über Lateinamerika und Theoriebildung über das, was der Kontinent will und wohin er soll."
    So stellt Paul Ingendaay, der Moderator des Abends, Mario Vargas Llosa vor. 1990 scheiterte er, der überzeugte Liberale, in der Stichwahl um die peruanische Präsidentschaft gegen Alberto Fujimori, also den Mann, der später das Land in eine Diktatur verwandelte. Vladimiro Montesinos, im Roman nur "der Doktor" genannt, offiziell der Berater des Präsidenten, de facto aber sein Geheimdienstchef, ließ Oppositionelle überwachen. Auch im Haus von Mario Vargas Llosa waren Mikrofone versteckt. Die Bespitzelung diente unter anderem als Vorbereitung für einen medialen Angriff:
    "Im Fall der Diktatur von Fujimori und von Montesinos hatte es System, mithilfe der Klatschpresse politische Gegner einzuschüchtern, zu bestrafen, durch den Dreck zu ziehen. Meistens ging es um Sexskandale, die in 90 Prozent der Fälle erfunden waren. Ich wollte einen Roman über diesen Aspekt der Diktatur schreiben, der letztlich auch den seriösen Journalismus infiziert und dazu verleitet hat, nachzuziehen in der Berichterstattung über Skandale und Privates, die so sehr die niederen Instinkte anspricht."
    Offensichtliche autobiografische Bezüge
    Erst gegen Ende der Veranstaltung spricht der Moderator den Literaturnobelpreisträger dezent auf eine offensichtliche Verbindung des Romans "Die Enthüllung" mit dem jetzigen Leben des Autors an. In den vergangenen eineinhalb Jahren ist Mario Vargas Llosa selbst massiv Opfer der Skandalpresse geworden. Er hatte sich von seiner langjährigen peruanischen Ehefrau getrennt und ist seitdem mit Isabel Preysler liiert, einer in Spanien bekannten Journalistin bei – einer Promizeitschrift. Paparazzi haben das Paar auf Schritt und Tritt verfolgt.
    "Das ist ein Albtraum, dem man, wenn möglich, trotzen muss. Diese krankhafte Neugier versucht, in die private Intimität vorzudringen, um herauszufinden, ob das Stoff für einen Skandal hergibt. Die Freiheit wird enorm eingeschränkt, wenn man so von der Klatschpresse belagert wird. Da kann man sich nur verteidigen, indem man sich jedes Mal noch mehr abschottet. Aber meiner Arbeit hat das nichts anhaben können."
    Mario Vargas Llosa: Die Enthüllung
    Suhrkamp, Berlin 2016, 301 Seiten, 24 Euro