Freitag, 29. März 2024

Archiv


Marionetten des Lebens

"Zaira", der dritte Roman von Catalin Dorian Florescu, erzählt die Geschichte einer rumänischen Puppenspielerin, die unter dem Ceausescu-Regime nach Amerika flieht und spät nach Rumänien und zu ihrem Geliebten zurückkehrt. Auch in dieser verbürgten Geschichte kann der Autor nicht ganz vom Hang zum Autobiographischen lassen.

Von Martin Sander | 19.06.2008
    Bekannt geworden ist der deutschsprachige Schriftsteller Catalin Dorian Florescu durch zwei Romane aus dem eigenen Leben. In "Wunderzeit", seinem literarischen Debüt erzählt Florescu, 1967 im rumänischen Temeschvar geboren und seit 1982 in der Schweiz lebend, auf kauzig-komische Art von einer eher tristen Kindheit im Ceausescu-Staat sowie den Versuchen, ihm zu entkommen. Auch der Erzähler in Florescus zweitem Buch -"Der kurze Weg nach Hause" - ähnelt unverkennbar dem Autor. Als inzwischen erwachsenes Kind rumänischer Flüchtlinge mit Wohnsitz in Zürich erkundet er nach der Wende die Verhältnisse in der alten Heimat. Erst mit seinem dritten Roman - "Der blinde Masseur"- wandte sich Florescu vom autobiographischen Gestaltungsprinzip weitgehend ab und stellte authentische, aber fremde Lebensgeschichten in den Mittelpunkt. Diesen Weg setzt er in seinem neuesten Buch fort. "Zaira", der Roman, der jetzt im C. H. Beck Verlag vorliegt, erzählt die großenteils verbürgte Geschichte einer rumänischen Puppenspielerin, die aus altem Gutsbesitzeradel stammt, unter dem Ceausescu-Regime nach Amerika flieht und mit siebzig Jahren nach Rumänien zurückkehrt - um dort ihren früheren Geliebten und Vater ihrer Tochter zu treffen.

    "Ich stieß auf die Geschichte in Rumänien, in Timisoara, meiner Heimatstadt, als man mir erzählte, dass da ein verfluchter Dichter lebte, ein Säufer, ein Mann, dessen amerikanische Geliebte nach über vierzig Jahren zurückgekehrt sei aus dem amerikanischen Exil und jetzt mit ihm zusammen lebte. Ich traf ihn am Morgen früh im Caféhaus, er kam schon ziemlich angetrunken, und ich merkte, dass sein Gedächtnis, seine Erinnerung ziemlich abgeflacht war. Dann aber kam nach einer Stunde Zaira und fing an zu erzählen. Und das ging über drei Tage so. Ich war fasziniert, es war unglaublich, was diese Frau erzählte."

    In seinem neuen Roman überlässt Catalin Dorian Florescu dieser Heldin die Rolle der Ich-Erzählerin. Zaira, die einst berühmte Puppenspielerin, kehrt nach langen Jahren des Exils in ihre alte Heimat zurück. Man schreibt das Jahr 1998: Das Terrorregiment Ceausescus ist bereits Vergangenheit, die europäische Integration Rumäniens noch Zukunftsmusik. Zaira lässt die sieben Jahrzehnte umfassende Geschichte ihres Lebens Revue passieren und entwirft dabei ein weites Panorama gesellschaftlichen Lebens und politischer Entwicklung in Rumänien - samt der dazu gehörenden Brüche. Als Spross einer alteingesessenen rumänischen Gutsbesitzerfamilie mit katalanischer Großmutter und Verbindungen in aller Herren Länder wird Zaira 1928 im südwestrumänischen Strehaia geboren. Die Angehörigen der Oberschicht lassen sich mit "gnädiger Herr" oder "gnädige Frau" anreden, sie ohrfeigen schon mal ihr Personal und beschäftigen sich vorzugsweise mit Wein und Pferden. Berührungspunkt dieser überaus fest gefügt erscheinenden Tradition und einer gemächlich heraufziehenden Moderne ist der kleine Bahnhof am Ort. In dessen Wartesaal kommt Zaira - überaus symbolträchtig - zur Welt.

    Ich drehte mich und rutschte unaufhörlich Kopf voran nach vorne. So begann die erste schwindelerregende Reise meines Lebens. Als mich Tante Sofia am Kopf fasste und herauszog, fuhr gerade der Zug in den Bahnhof ein. Als sie mich hob, mich meinem ersten Publikum hinter den Fenstern zeigte und der Lokomotivführer erfuhr, dass es ein Mädchen war, zog er einmal den Hebel. Einmal lang und kräftig. Wäre ich ein Junge gewesen, hätte er dreimal gezogen, aber auch so war der erste Auftritt gelungen.

    Zaira wächst wohl behütet bei Tante und Großmutter, doch fern der eigenen Eltern auf. Der Vater dient dem rumänischen König als Kavallerieoffizier und ist meist unauffindbar, die Mutter amüsiert sich in den mondänen Kreisen von Bukarest. Auf dem Landgut kümmert sich Cousin Zizi um die junge Zaira und macht sie unter anderem mit den Geheimnissen des Theaterspiels vertraut. Man lebt weitgehend sorgenfrei und nahezu idyllisch. Im Zweiten Weltkrieg offenbart sich die politische Ambivalenz einer rumänischen Oberschicht, die Hitlerdeutschland überwiegend mit Distanz begegnet, sich dessen Ambitionen aber auch keineswegs in den Weg stellt. Zaira bleibt davon zunächst unberührt. Den wirklichen Bruch mit dem schönen Leben der Vergangenheit markiert für sie erst die Machtübernahme der Kommunisten 1945. Die Familie verliert ihr Vermögen und alle Privilegien. Der Vater, im Zweiten Weltkrieg auf deutscher Seite in Stalingrad, tritt nun, um seine Haut zu retten, der kommunistischen Partei bei.

    Gleichwohl fristet die ganze Familie nun ein armseliges Leben und wird überdies politisch streng beobachtet. Dafür ist Dumitri verantwortlich. Der Sohn eines Bauernknechts vom Landgut in Strehaia macht Karriere als kommunistischer Funktionär und lässt kaum eine Gelegenheit aus, an seinen einstigen Herrschaften Rache zu nehmen. Auch die inzwischen erwachsene Zaira passt sich den neuen Verhältnissen einigermaßen an. Angesteckt von der Schauspielleidenschaft ihres Cousins Zizi entscheidet sie sich für eine Laufbahn am staatlichen Puppentheater. Zwei Jahrzehnte später nutzt sie die Konfusion um den Prager Frühling, um dem Ceausescu-Regime über die Tschechoslowakei nach Amerika zu entkommen. Mit ihr fliehen Ehemann und Tochter. Zurück lässt Zaira Trajan, ihren früheren Liebhaber und Vater der gemeinsamen Tochter. Zu Trajan, dem begnadeten Puppenspieler und unheilbaren Säufer wird sie schließlich zurückkehren - nachdem sie es in den Vereinigten Staaten zur Luxusgastronomin im Regierungsviertel von Washington gebracht hat, ohne jemals heimisch zu werden.

    Das einzige, was fehlte, waren die Menschen, nirgends war eine einzige Seele zu sehen. Gepflegter Rasen, gekrümmte alte Bäume, es herrschte eine Ruhe, eine Abwesenheit jeglicher Störung und Unordnung wie in einer aufgegebenen, aber intakten alten Stadt. Wenn man die Eichhörnchen ausklammerte. Man sehnte sich nach etwas Chaos. Bauern mit strengem Geruch, die an Straßenecken Gemüse feilboten. Zigeuner, die unter den Eingangssäulen eines Hauses im Georgiastil hockten und auf eine gute Gelegenheit für Geschäfte hofften. Frauen in billigen Röcken und Sandalen unterwegs durchs Viertel auf der Suche nach dem passenden Inhalt für ihre Einkaufstaschen. Sie würden Sonnenblumenkerne essen, die Schalen auf die Erde unter den uralten Bäumen spucken, unter denen vielleicht schon George Washington entlang geritten war. Es würden immer noch so viele Sonnenblumenkerne für die Eichhörnchen übrig bleiben, dass sie träge und kugelrund von den Bäumen runterfallen würden. Dann würden die Bewohner endlich herauskommen.

    Aus einer Vielzahl von Episoden, zum Teil seiner Gesprächspartnerin abgelauscht, die ihm als Vorbild für die Zaira-Figur diente, zum gewiss nicht geringeren Teil selbst erfunden, hat Catalin Dorian Florescu ein gelungenes Porträt einer ungewöhnlichen, einer zwischen den Epochen und Kontinenten zerrissenen Heldin entworfen. Dabei prägt die dem Autor zu Recht nachgerühmte Fabulierlust auch diesen Roman. Durch seine witzigen und nicht selten derben Alltagsbeobachtungen entzieht er sich jeglichem Pathos. Dass der üppige, bei Gelegenheit geradezu übersprudelnde Strom der Ich-Erzählerin Zaira ganz dem Weltempfinden von Catalin Dorian Florescu entspricht, daran wird der Leser keinen Augenblick zweifeln. Zu stark klingt jener kindlich-repektlose Grundton mit Sinn fürs Groteske durch, den man bereits in den früheren Romanen des Autors kennen gelernt hat. Nicht zuletzt dessen Hin- und Hergerissensein zwischen den ornamentalen Ausdrucksformen seiner ersten Heimat Rumänien und der kargen Nüchternheit der deutschsprachigen Schweiz lässt sich auf kaum einer der 480 Seiten des Buches übersehen.

    "Zunächst einmal bin ich ja in jedem Satz und schon mit dem ersten Satz bin ich es. Es ist auch die Ich-Erzählform, die Welt aus der Perspektive einer Frau, verändert und angereichert durch meinen Sinn für Magie, für Geschichten. Es ist meine eigene Welt, es ist meine eigene Zaira letztendlich."

    So gesehen ähnelt dieser Roman durchaus seinen früheren, in denen der Autor ganz unmittelbar von sich erzählte. Mit "Zaira" nähert sich Catalin Dorian Florescu nicht nur auf eigenwillige - ebenso ernste wie komische - Weise der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Vor autobiographischem Hintergrund erzählt er von einem entfremdeten Leben zwischen den Kulturen - eine tief schürfende und unterhaltende Lektüre.
    Catalin Dorian Florescu: Zaira. Roman. Verlag C. H. Beck, 478 S.