Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Markus Orths "Alpha & Omega"
Burleske Fabulierlust

Im Jahr 2525 reist der Ich-Erzähler Elias Zimmermann in die Zeit der Barbaren - unsere Gegenwart, in der Omega mit Eltern und Bruder Alpha in Freiburg lebt. Das ist die Grundkonstellation in Markus Orths neuem Roman "Alpha & Omega". Der Autor hatte großen Spaß beim Schreiben dieser klassischen Zeitreise, verriet er dem DLF.

Von Bettina Hesse | 30.03.2015
    Ich gebe zu: Der 525 Seiten starke Roman "Alpha & Omega" ist ein Text, mit dem ich mich aufgrund seiner Genre-Nähe zu Science Fiction und Fantastik nicht beschäftigen wollte. Doch der Untertitel "Apokalypse für Anfänger" weckte meine Neugier. Hinzukommt, dass Markus Orths in seinen drei Erzählungsbänden und sechs Romanen eine ironisch, melancholische, mitunter abgründige Perspektive auf unsere sogenannte Wirklichkeit einnimmt, die bereits in der Ausgangsfrage seines Debüts "Wer geht wo hinterm Sarg" programmatisch aufleuchtet. Das genügte, um mein Anfängertum in Sachen Apokalypse auf den Prüfstand stellen zu lassen – mit dem Fazit: ein ungewöhnliches, fantastisches Leseerlebnis!
    Klassisch ist der Aufbau einer Zeitreise aus der Zukunft und schillernd das umfangreiche Personal innerhalb der fabulierlustigen Dramaturgie: Im Jahr 2525 reist der Ich-Erzähler Elias Zimmermann in die Zeit der Barbaren, unsere Gegenwart, wo Omega mit Eltern und Bruder Alpha in Freiburg lebt. Elias, der den Leser vertrauensvoll, gelegentlich kumpelhaft anspricht, begleitet die schöne, schwarze Omega, die telekinetische Fähigkeiten und drei Hirndrittel besitzt, durch ihr rasantes Leben. Mit von der Partie sind: der Großvater, Philosoph & Spiele-Erfinder: Gusto; ein hohler Hund namens Escher; Omegas Adoptiv-Eltern - der fußballversessene, glückliche Müllmann Kolja und seine Frau Bitch, eine Esoterikerin, ihr Bruder und späterer Liebhaber, Alpha. Es tritt der schwule Buddha Tashi auf und begibt sich auf die Suche nach einem neuen Dalai Lama. Dann generiert die Physikerin Sabrina ein schwarzes Loch, das die Menschheit verschlingt, und auch der real existierende Performance-Künstler Matthias Schamp nicht verhindern kann. Das ist der Zeitpunkt für Omegas finalen Auftritt, nicht mehr als Germanys Next Topmodell oder Wimbledon-Siegerin, sondern als Weltretterin – frei nach dem Motto: Noch die unwahrscheinlichste Möglichkeit ist immerhin eine Möglichkeit.
    Durchatmen!
    Die Nachteile: Eine gehörige Portion Unterschätzung des Lesers, dem nahezu jeder Witz, manche Konstruktion und oft auch noch Kalauer erklärt werden – auch wenn der Autor damit Tristam Shandy seine Reverenz erweist. Eine feine Figurenzeichnung geht im Gewicht der zum Teil burlesken Dramaturgie baden, und der Exkurs des genussorientierten Großvaters Gusto zu seiner "Philosophie der Exkremente" erscheint eher wie eine Ausgeburt kindlicher Phantasie. Natürlich ist der Esoterik-Fimmel von Omegas Mutter Bitch ausgestellte Ironie, ging mir aber, ebenso wie die klischeehafte Physikerin als Urheberin allen Übels, auf die Nerven.
    Doch als die Erzählstränge anfingen, ihr eigenes wildes Leben zu entwickeln wie wunderbar schwingende und sirrende Drahtseile über dem Geschehen, als die Dosis an fundierter Quantenphysik den zunehmenden dramaturgischen Koinzidenzien entsprach und zugleich das Tempo anzog und in einem geradezu Big-Bang-ähnlichen rasend komischen Aufprall von Tashi und Kolja auf der Frankfurter Flughafentoilette kulminierte, waren meine Genre- und sonstigen Bedenken verflogen – ich überließ mich dem, was da noch kommen würde. Könnte es sein, dass Orths beim Schreiben dieser "Apokalypse für Anfänger" großen Spaß hatte?
    Markus Orths: Ja, ich hatte sehr viel Spaß, ich glaube, wie bei keinem der anderen Bücher, vielleicht am ehesten beim "Lehrerzimmer". Ich konnte es kaum erwarten, morgens um fünf in die Bibliothek zu gehen, weil ich da arbeiten wollte, bin dann wachgeworden frühmorgens, hab das Frühstück heruntergeschlungen und dann sofort los.
    Bettina Hesse: Und wie ist die Verbindung zur Fantastik?
    Markus Orths: Das war ein Nebenaspekt, diese Telekinese, das ist für mich das Fantastische, eher die Kritik zum Beispiel an der Wissenschaft, an der Physik, mit der Möglichkeit spielen, dass kleine schwarze Löcher entstehen könnten und diese Möglichkeit durchzuspielen, ist natürlich, kann man als Fantastik bezeichnen, ein schwarzes Loch wächst und wächst und zerstört unsere Erde, aber auch als reale Bedrohung – das war mir wichtig.
    Bettina Hesse: Abgründiger Humor könnte als ihr Markenzeichen gelten. In A&O werden alle Register von Witz, gezogen: Gag, Ulk, Parodie, es gibt sogar eine Theorie des Kalauers. Soll es ein Panorama des Genres sein?
    Markus Orths: Also bewusst habe ich das nicht so wahrgenommen, als Panorama. Aber der Humor ist für mich sehr, sehr wichtig, sowohl beim Schreiben, als auch, glaube ich, im Leben, weil ohne Humor lässt sich das Leben nicht ertragen. Ich glaube, Selbstironie, Selbstdistanz, überhaupt das Miteinander. Und das Schönste ist es tatsächlich auch, Leute und Menschen zum Lachen zu bringen.
    Bettina Hesse: Dem Fabulieren und Spiel mit Genregrenzen steht auch die Botschaft gegenüber, wir müssen mehr Verantwortung übernehmen, um den Wahnsinn zu stoppen. Stimmt das?
    Markus Orths: Also, das ist die unterschwellige Frage, die im Roman immer mitschwebt, wenn jemand aus 500 Jahren Entfernung in unsere Zeit kommt, in das Zeitalter des Barbarismus und wenn dann jemand nachschaut und nachdenkt über unseren Zustand der Welt, das wäre natürlich schön. Aber ich bin da Realist, ich denke das Buch ist ein Buch, das man lesen kann, um Spaß und Freude zu haben. Es wird nicht die Welt verändern.
    Bettina Hesse: Im Buch geht es um Teilchenphysik und Paralleluniversen: Wie viel Recherche steckt in einem solchen Roman – wie ist das Verhältnis zum Erzählerischen?
    Markus Orths: Ich habe sehr viel gelesen, natürlich populärwissenschaftliche Physikbücher, Brian Greenes und Stephen Hawkings und andere. Ich habe schon versucht, in den Physikpassagen die Dinge unterzubringen, die ich auch wirklich gelesen habe. Zumindest in der Beschreibung der Theorien, der Möglichkeiten. Nachher, wenn das schwarze Loch entsteht, habe ich sehr viel fabuliert, und in dem Science Fiction parodistischen Teil am Anfang habe ich die Zeitreise, die habe ich natürlich alles voll erfunden, aber die Grundlage dessen, was die Physik in dem Roman darstellt, die ist eben nicht erfunden, sonst würde eine Parodie auch keinen Sinn machen. Und das Parodierte muss ja auch irgendwo erkennbar sein. Deshalb hatte ich auch eine Fachlektorin in Physik, die sich das mal angeschaut hat in Hinsicht auf Fehler und Ungenauigkeiten.
    Bettina Hesse: Die Story spielt in Freiburg, wo Sie studiert haben, auch am Niederrhein, wo Sie herkommen, und eine Person, den Künstler Matthias Schamp, gibt es wirklich, Sie sind mit ihm zusammen bei Lesungen aufgetreten. Wie viel Markus Orths steckt in dem Buch?
    Markus Orths: Also ich denke, in jeder Figur steckt natürlich ein bisschen etwas von mir. Also in Gusto steckt die zynische Seite, die ich manchmal habe, in Tashi steckt die sexuelle Befreiung, die ich selber erlebt habe, als ich aus dem katholischen Niederrhein hinausging in die weite Welt. Natürlich hat jeder auch eine eigene Biografie, einen eigenen Charakter, aber ein kleines Stück funkelt dann doch in jedem.
    Bettina Hesse: Und wie fühlt man sich nach dem Schreiben eines solchen Opus'?
    Markus Orths: Ja, das war sehr abenteuerlich. Ich habe wirklich ungelogen zwei oder drei Monate kein anderes Buch lesen können. Und irgendwann habe ich dann kapiert, dass es einfach Zeit braucht, um aus diesem Kosmos herauszukommen, Weil ich ja wirklich eineinhalb bis zwei Jahre in diesem Kosmos versunken war und mich mühsam wieder befreien musste. Mittlerweile habe ich es geschafft, ich kann wieder andere Bücher lesen. Das war vollkommen neu für mich!
    Markus Orths: Alpha & Omega – Apokalypse für Anfänger, Roman 525 Seiten, Schöffling-Verlag 2014, 24,95 €