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Markus Siebers: Streik ist bisher ein "voller Erfolg"

Es gehe nicht nur um Lohnerhöhungen, betont Markus Siebers, Verhandlungsführer der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF), sondern um ein komplexes Vertragswerk. Wenn gewünscht, könnte die GdF in Zukunft auch andere Flughafenmitarbeiter vertreten.

Markus Siebers im Gespräch mit Sandra Schulz | 22.02.2012
    Sandra Schulz: Wir sind jetzt verbunden mit Markus Siebers. Bei der Gewerkschaft für Flugsicherung ist er zuständig für die Bereiche Tarif und Recht. Guten Morgen!

    Markus Siebers: Schönen guten Morgen!

    Schulz: Sie streiken und der Betrieb läuft inzwischen fast annähernd normal weiter. Was wollen Sie überhaupt noch erreichen?

    Siebers: Ich glaube nicht, dass der Betrieb fast normal weiterläuft. Es gibt da deutliche Einbrüche, deutliche Einbußen, vor allem bei den Luftverkehrsgesellschaften und bei Fraport natürlich auch. Also die Einschnitte sind da und sie sind sehr deutlich. Wenn Sie an einem normalen Tag in Frankfurt sind, sieht das ganz anders aus als das, was im Moment passiert. Auch die 80 Prozent, von denen immer geredet wird. Wir sehen sie nicht, unsere Zahlen belegen was anderes, die Buchungszahlen belegen was anderes, also im Moment ist das, was wir tun, ein voller Erfolg, und es kann auch weitergehen.

    Schulz: Aber je länger der Streik dauert, desto besser kann sich Fraport natürlich auch drauf einstellen. Wie lange reicht denn Ihre Streikkasse noch?

    Siebers: Die Streikkasse ist, glaube ich, gar nicht das Thema, die reicht ziemlich lange. Also wenn es darauf nur ankäme, wäre das nicht das Problem. Dass Fraport sich an der Ecke gut aufgestellt hat, das kann man nicht bestreiten, das muss man auch anerkennen, mit welchen Mitteln sie das tut, wie sie die Leute schult, wie schnell sie die Leute dahin setzt, wofür sie selber nach eigenen Angaben ansonsten anderthalb bis zwei Jahre gebraucht hat, um die Leute das tun zu lassen, was sie tun. Gut, das muss jeder dann für sich selbst beurteilen, und ob das ein Sicherheitsproblem ist oder nicht, muss auch jeder für sich selbst beurteilen. Da können wir nur mahnen, was das angeht, und können das nicht gut finden, was die Fraport da tut und was sie auf dem Rücken der Passagiere tut, im Zweifel auch mit deren Sicherheit. Gut, jeder für sich selber.

    Schulz: Herr Siebers, wir haben im Moment Probleme mit der Telefonleitung, klingt so ein bisschen nach dem Kabel, können Sie da dran vielleicht mal rütteln, während ich meine nächste Frage stelle? Es ist ja von ganz immensen Forderung die Rede, Zuwächse im zweistelligen Bereich, von 70 Prozent. Warum soll der Fahrer eines Follow-me-Fahrzeuges bis zu 70 Prozent mehr verdienen?
    Siebers: Also, wenn so eine Zahl einmal im Umlauf ist, dann kriegt man sie offensichtlich nicht mehr so hin, dass sie wieder aus den Köpfen kommt. Es gibt keine 70 Prozent, es gibt auch keine 78, wie ich in Ihrem Bericht gehört habe grade – das sind alles irgendwelche Fantasiezahlen der Fraport offensichtlich. Die sind nicht da, die waren nie da, die sind auch nicht Bestandteil des Schlichterspruchs, sondern das sind Fantasiezahlen, die sich irgendjemand ausgerechnet hat.

    Schulz: Was ist denn schiefgelaufen? Die Zahlen sind ja in der Welt, Sie haben jetzt die Gelegenheit, mal Ihre tatsächliche Forderung zu nennen.

    Siebers: Jeder kann diese tatsächliche Forderung oder das, was wir auch als Basis für unsere Verhandlungen, für weitere Gespräche nutzen, im Internet nachlesen. Wir haben den Schlichterspruch veröffentlicht, und da gibt es alle Zahlen, die konkret nachlesbar sind. Das sind mehrere Seiten, da geht es um ein Tarifwerk von zig Seiten, das kann man nicht alles innerhalb von einer Minute machen. Da gibt es noch viele, viele Regelungen, nicht nur um Vergütung, sondern Arbeitszeiten, Schichtplangestaltung, Ruhezeiten und so weiter, ist alles Bestandteil, Kernbestandteil unserer Forderung, und ist alles einsehbar. Man möge nur auf die Homepage gehen, da gibt es eine Verlinkung, da kann man sehen, was der Herr Ole von Beust aufgeschrieben hat, was er für richtig gehalten hat, auch nach einer mehrtägigen Verhandlung, wozu er – sage ich mal – sein Okay gegeben hätte, sein Einverständnis, und auch nachvollziehbar für ihn war, was denn da gemacht werden soll, und was – Entschuldigung – was nicht.

    Schulz: Aber diese 70 bis 80 Prozent sind ja in der Welt. Warum können Sie nicht eine Zahl auf den Punkt bringen, wie hoch Ihre Forderung im Schnitt sich beläuft?

    Siebers: Weil es keine Forderung im Schnitt gibt. Wir haben ein komplett neues Werk, das neben den TVöD gestellt werden soll, und dieses neue Werk hat eine ganz andere Struktur als das, was früher am Flughafen oder zurzeit am Flughafen gelebt wird. Und das bedingt halt Steigerungen bei jüngeren Kollegen zum Beispiel, die höher sind, teilweise aber auch bei älteren Kollegen, die noch nicht mal in Anführungsstrichen "deutlich in das Zweistellige" überhaupt hineinragen. Wenn Sie das dann auf vier Jahre verteilen, wie der Schlichter vorgetragen oder vorgeschlagen hat, dann sind Sie bei etwas mehr als dem Ausgleich der Inflationsrate, der derzeitigen, über vier Jahre. Und eins muss man auch mal sehen: Wir sind der Fraport gefolgt insofern und wären mitgegangen, eben diese Leute in eine eigene Gesellschaft mit auszugliedern, die dann ihr eigenes Tarifgefüge hat, damit eben diese Vergleichbarkeiten innerhalb des Konzerns, innerhalb der Fraport AG, gar nicht mehr hergestellt werden müssen. So war der Ansatz der Verhandlung.

    Schulz: Trotzdem gibt es ja ganz erhebliche Kritik eben auch aus der Belegschaft selbst, auch vom Betriebsrat. Der moniert, dass die Vorfeldmitarbeiter dann unterm Strich mehr bekommen oder verdienen würden als Ingenieure oder Architekten – wäre das dann angemessen?

    Siebers: Natürlich ist das angemessen, weil unsere Vergleichbarkeiten andere sind. Wir vergleichen mit den Leuten, die wir vertreten, und zwar bundesweit an den Flughäfen und in der deutschen Flugsicherung, wo wir verhandeln. Und dort sind die Vergleichbarkeiten herzustellen, und der Frankfurter Flughafen ist nun mal – das wird er selbst auch nicht bestreiten – einer der zehn größten der Welt, und hier sind unsere Vergleichbarkeiten, und nicht innerhalb des Konzerns.

    Schulz: Aber Sie vertreten ja nur rund 200 Mitarbeiter. Die anderen Mitarbeiter – das sind bei Fraport ja annähernd 11.000 - die sollen dann faktisch Ihre Lohnsteigerungen eben in diesen hohen Bereichen mittragen?

    Siebers: Also, das sind alles – ich mag es mal schon fast demagogisch nennen. Wenn die ver.di nicht in der Lage ist, für die anderen 12.000 Beschäftigten vernünftige Lohn- und Gehaltsklassen auszuweisen und zu verhandeln, dann kann das doch nicht unser Problem sein. Wir sind doch nicht für die Verhandlungsstrategie und Möglichkeiten von ver.di verantwortlich, sondern wir tun das, was wir tun müssen, für unsere Leute, und da muss keiner irgendetwas ausbaden. Ansonsten wäre das Gefüge ja doch ziemlich problematisch, wie kommen denn ansonsten Unterschiede zwischen anderen Berufsgruppen – auch Inhaber eines Konzerns – zustande? Wie kommt es zustande, dass ein Herr Mai sich von 2009 auf 2010 mal eben 150.000 Euro Erhöhung in sein Gehalt reinrechnet? Das muss auch irgendeiner bezahlen. Fragt da irgendjemand nach, fragt die ver.di da nach?

    Schulz: Es soll aber ja sogar Freiwillige geben, die sich melden, um jetzt die offenen Schichten mit zu übernehmen. Wären Sie, wäre die Belegschaft nicht als solche mächtiger, wenn Sie gemeinsam an einem Strang zöge?

    Siebers: Das mag sein, dass sie mächtiger, insgesamt mächtiger sogar ist, wenn sie alle an einem Strang zögen. Wir sind aber doch nur im Rahmen unserer Satzung für die Leute zuständig, die wir auch vertreten können, und das sind im Moment eben die Leute in der Vorfeldkontrolle, der Vorfeldaufsicht und in der Verkehrszentrale.

    Schulz: Aber Solidarität – verstehe ich Sie richtig? – ist für Ihre Gewerkschaft eigentlich kein Begriff.

    Siebers: Ich weiß nicht, was Sie mir immer in den Mund legen wollen. Natürlich ist Solidarität für uns ein Begriff, aber wir sind doch für unseren satzungsgemäßen Bereich zuständig, und die Satzung sieht eben vor, dass wir diese Leute vertreten können, ansonsten müssten wir unsere Satzung derart erweitern, dass wir auch zuständig wären. Wenn das eine Aufforderung ist der Solidarität, nehme ich das jetzt mal zur Kenntnis und sage: Okay, dann überlegen wir uns, ob wir in der Lage sind, demnächst auch alle Mitarbeitergruppen an einem Großflughafen wie Frankfurt zu vertreten. Ich weiß aber nicht, ob Fraport oder ver.di das möchte, wenn sie am Ende keine Hausgewerkschaft mehr sind, sondern wir das möglicherweise sind. Weil entgegen Ihrer Informationen rufen bei uns auch die Leute an und sagen: Lasst uns doch mitmachen! Und wir müssen die im Moment ablehnen, weil wir gar nicht können, weil das eben unsere Satzung nicht vorsieht. Aber unsere Information, das, was die Mitarbeiter uns entgegenbringen, ist nicht Ihr Bild, was Sie versuchen zu zeichnen, sondern wir haben Solidaritätsadressen, wir haben Solidaritätsadressen sogar von der ver.di selbst aus anderen Bereichen des Landes Hessen zum Beispiel, die uns schriftlich ihre Solidarität bekunden und ziemlich aufgebracht sind mit dem, was die ver.di hier am Flughafen veranstaltet, wie sie sich gegenüber anderen Arbeitnehmergruppen verhält, gegenüber einer anderen Gewerkschaft. Und das nehmen wir sehr, sehr wohl wahr, und es gibt deutliche Bestrebungen von anderen Berufsgruppen, in die GdF einzutreten.

    Schulz: Markus Siebers von der Gewerkschaft für Flugsicherung – wir müssen leider zum Ende kommen, der Zeit geschuldet –, heute Morgen hier bei uns in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Vielen Dank Ihnen!

    Siebers: Gerne!


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