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Marmorspeck aus Carrara

Wer Marmor hört, denkt an Kirchen und Paläste, an Michelangelo oder Canova. Es gibt jedoch auch Feinschmecker, denen das Wasser im Mund zusammenläuft, wenn sie an den Marmorspeck denken, den fast vergessenen Lardo-Speck aus Carrara. Seine Hersteller stammen aus Colonnata, dem hintersten und am höchsten gelegenen Dorf der Marmortäler, auf beiden Seiten umgeben von Steinbrüchen.

Von Conrad Lay | 13.01.2006
    Auf einem spitzen Felssporn drängen sich einige Dutzend Natursteinhäuser zusammen. Zur Linken ein Denkmal des Freiheitskämpfers Mazzini, geradeaus eine marmorne Tafel, die an das Blutbad erinnert, das die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg in Colonnata anrichteten. In einem der umstehenden Häuser wohnt Fausto Guadagni, er ist einer der insgesamt 14 Hersteller von Marmorspeck:

    " Wir stellen Speck her. Die Schweine stammen von ausgesuchten Schlachtereien aus dem Umkreis von Parma - San Daniele, es handelt sich um das goldene Dreieck zwischen Parma, Mantua und Piacenza."

    Fausto Guadagni steigt in den Keller hinunter, es ist feucht und kühl, in dem Raum stehen ein Dutzend marmorner Behälter, die aussehen wie Sarkophage:

    " Das sind die Tröge, in denen der Speck reift, und zwar Schicht für Schicht gesalzen."

    Die Tröge sind etwa ein Meter hoch, einen Meter lang und 30 Zentimeter breit. Gefüllt wiegen sie 500 Kilogramm. Kaum hat Fausto Guadagni einen der schweren Marmordeckel hochgehoben, entweicht eine Duftmischung wie aus einem Kräutergarten:

    " Zunächst werden die Marmortröge mit heißem Wasser und Essig ausgewaschen, auf keinen Fall mit Waschmittel. Dann werden die Ecken und Wände mit Knoblauch eingerieben, das ist eine natürliche Desinfektion. Dann beginnt man mit der ersten Schicht Meeressalz, Gewürzen, frischem Knoblauch und frischem Rosmarin. Die Gewürze sind für alle Erzeuger festgelegt, nämlich Salz, frischer Knoblauch, frischer Rosmarin und schwarzer Pfeffer. Dann gibt es eine Reihe von Gewürzen, die von Hersteller zu Hersteller variieren, z.B. Zimt, Nelken, Muskat, Majoran, Salbei, Oregano - jeder hat seine eigene Mischung, sei es von der Menge, sei es von der Qualität her."

    Der Vorteil der Marmorbehälter liegt in der sehr feinen Körnung des Gesteins, andererseits ist der Marmor porös und atmet, anders als Plastik. Doch genau das wäre dem Lardo-Speck beinahe zum Verhängnis geworden. Im Jahr 1996 drangen Carabinieri in die Keller ein: denn Marmor, so sagten sie, sei in der Europäischen Union nicht als Lagermaterial für Lebensmittel vorgesehen. Der Auftritt der Carabinieri hatte eine paradoxe Wirkung: er führte nicht zum Ende der Spezialität, sondern verhinderte gerade ihr Aussterben. Die Slow-Food-Bewegung nahm sie nämlich in die Liste der vom Aussterben bedrohten Speisen auf, seitdem ist der Lardo di Colonnata ein so genanntes "Arche-Produkt".