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Marokko
"Wir sind weiterhin kein Rechtsstaat"

Die Bundesregierung will neben Algerien und Tunesien auch Marokko als "sicheres Herkunftsland" einstufen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) will am Sonntag nach Marokko reisen, um mit Rabat über die Rücknahme von Flüchtlingen und Sicherheitsfragen zu sprechen. NGOs sehen deutliche Defizite bei Demokratie und Menschenrechten.

Von Marc Dugge | 27.02.2016
    Zwei junge Frauen mit Kopftüchern und Gewändern sitzen auf einer Bank an einer Mauer in der Altstadt von Rabat, aufgenommen am 11.03.2015.
    Zwei junge Frauen in der Altstadt von Rabat in Marokko (picture alliance / dpa / Reinhard Kaufhold)
    Wenn Frankreichs Präsident Hollande auf Marokko zu sprechen kommt, dann schwärmt er meist in höchsten Tönen. So auch im marokkanischen Parlament im April 2013:
    "Frankreich vertraut Marokko. Jeden Tag geht Ihr Land entschieden weiter auf dem Weg in Richtung Demokratie, es kümmert sich nachhaltig um seine Entwicklung, sichert seine Einheit, die sich auf die Vielfalt stützt. Marokko zeigt, dass es ein stabiles und besonnenes Land ist. Ich würdige ausdrücklich den Reformwillen von König Mohammed VI."
    König kündigte Verfassungsreform an
    Seinen Reformwillen hatte Marokkos König im März 2011 gezeigt. Der Arabische Frühling war in vollem Gang. In Tunesien und in Ägypten waren die alten Regime von der Macht vertrieben worden. Auch in Marokko zitterte das Establishment vor der Wut auf der Straße. Denn auch hier gingen Tausende auf die Straße, um Reformen zu fordern. Der König reagierte. Und richtete sich per Fernsehen an sein Volk:
    "Die Verfassungsreform, die wir heute ankündigen, ist ein wichtiger Meilenstein auf unserem Weg der Demokratie. Diesen Weg verfolgen wir konsequent mit umfassenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen. Die Institutionen, der Rechtsstaat, die gute Regierungsführung sollen dabei besonders berücksichtigt werden. Ich will diese Reform - und Gott möge mir dabei helfen."
    Der König besetzte eine handverlesene Verfassungskommission, die ein neues Grundgesetz ausarbeitete. Es stärkt das Parlament in seinen Rechten und wertet auch das Amt des Regierungschefs auf. Aber an einem Grundprinzip rüttelt es nicht: Die eigentlich wichtigen Entscheidungen werden im Palast getroffen. Oder anders gesagt: Wenn der König es nicht will, geschieht nichts - dann werden keine Gesetze verabschiedet, keine Infrastrukturprojekte auf den Weg gebracht, keine Minister ernannt. Umgekehrt gilt weiterhin aber auch: Wenn der König etwas will, kann er es meist auch durchsetzen. Dann beschert er dem Land eine neue Frauen-Gesetzgebung. Oder, wie kürzlich geschehen, den weltgrößten Solarpark. Demokratie und Menschenrechte hätten keine Priorität, so Khadija Ryadi von der Marokkanischen Vereinigung für Menschenrechte AMDH in Rabat.
    "Gesetze werden missachtet, Straffreiheit scheint geradezu ein Regierungsprinzip zu sein, die Meinungsfreiheit wird nicht respektiert. Amnesty International hat einen Bericht vorgelegt, nach dem in Marokko weiterhin gefoltert wird. Auch wenn in der Verfassung viele Freiheiten verankert sind: Wir sind weiterhin kein Rechtsstaat."
    Jugend ohne Perspektive
    Das Leben kann hart sein in Marokko – nicht nur in den Gefängnissen. Die Jugendarbeitslosigkeit ist riesig. Viele junge Marokkaner müssen sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. Viele träumen von einer Zukunft in Europa:
    "Generell wirst Du in Europa als Mensch respektiert. Diese Menschlichkeit gibt es hier nicht. Und deswegen will ich von hier weg", sagt ein Jugendlicher. Und ein anderer: "Europa steht dafür, dass Du dort sehr viel mehr Möglichkeiten hast, was Arbeit angeht, was das Geld betrifft, aber eben auch und vor allem, wenn es um Deine Rechte als Mensch geht."
    Viele junge Marokkaner haben sich auf den Weg gemacht – über die Türkei nach Europa. Manche üben Arabisch mit syrischem Akzent, um leichter als Flüchtling durchzugehen. Der Frust in Marokko ist enorm. Er entlädt sich immer wieder in Protestaktionen und Demonstrationen, die teilweise auch gewaltsam verlaufen. Diese Unzufriedenheit ist neben islamistischen Terroristen die Herausforderung für das "stabile und besonnene" Marokko, das Francois Hollande 2013 beschrieben hat.