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Marokko
Wunsch zur Rückkehr in die Afrikanische Union

In der Afrikanischen Union sind alle Staaten Afrikas vereint. Ihr Verbund soll vor allem der verbesserten Zusammenarbeit dienen. Nur ein afrikanisches Land fehlt: Marokko. Das Königreich verließ 1984 aus Protest den Verbund - nach 32 Jahren möchte es nun wieder in den Klub aufgenommen werden.

Von Jens Borchers | 30.07.2016
    Marokkos König Mohammed VI. (28.6.2016).
    Marokkos König Mohammed VI. (dpa / picture alliance / Stringer)
    Wenn sich die Afrikanische Union trifft, dann ist viel von Brüdern die Rede. Oder von der afrikanischen Familie. Der amtierende Präsident der Union, Tschads Präsident Idriss Deby, blieb dieser Tradition treu. Nach dem Rückkehrwunsch Marokkos in die Union gefragt, fand Deby warme Worte:
    "Marokko ist ein afrikanisches Land, ein Gründungsmitglied der Union. Marokko hat die Union damals vor 32 Jahren aus ganz eigenen Gründen verlassen. Marokko hat das Recht, in die große Familie zurückzukehren."
    Und wie in jeder großen Familie gibt es dazu unterschiedliche Positionen und Meinungen. Algerien, ebenfalls Mitglied der großen Familie und gleichzeitig großer politischer Rivale Marokkos, schwieg erst mal eine Woche lang. Dann sagte Regierungschef Sellal vor allem eins: Die Forderung Marokkos, die West-Sahara müsse die Afrikanische Union verlassen, tolerieren wir nicht.
    West-Sahara als Streitpunkt
    Damit steckt man bereits mitten im politischen Minenfeld West-Sahara: Marokko hatte das riesige Wüstengebiet am Atlantik vor 40 Jahren annektiert. Die Begründung: Es habe Jahrhunderte lang zum marokkanischen Königreich gehört. Algerien hingegen unterstützt die Polisario-Front. Diese Widerstandsbewegung hatte einst gegen die Kolonisatoren aus Spanien gekämpft.
    Seit deren Abzug 1976 wehrt sich die Polisario gegen die Annektierung durch Marokko. Die West-Sahara gilt wegen reicher Fischereigebiete vor ihrer Küste, großer Phosphat- und möglicher Ölvorkommen als wirtschaftlich interessant.
    Dieser Konflikt entzweit Marokko und Algerien seit Jahrzehnten. Und dass die West-Sahara in die Afrikanische Union aufgenommen wurde, das hatte Marokko vor vier Jahrzehnten dazu gebracht, seinerseits die Union zu verlassen. El Moussaoui El Ajlaoui, marokkanischer Professor für Afrika-Studien in der Hauptstadt Rabat, hielt diesen Abgang immer für einen Fehler: "Eine Politik des leeren Stuhls bringt nie etwas", sagt der Politikwissenschaftler. Er hält deshalb die Rückkehr Marokkos in die Afrikanische Union für dringend notwendig. König Mohammed VI. habe die Strategie gewechselt:
    "Von der Defensive in die Offensive. Als Mitglied der Union wird sich Marokko durchsetzen, durchwühlen und die Afrikanische Union von innen heraus nutzen."
    Lange vorbereiteter Schritt
    Dass Marokko gerade jetzt zurück will in die große Familie ist keine spontane Idee. Jahrelang hat Marokkos König daran gearbeitet und gefeilt. Das Königreich hat vor allem in West-Afrika investiert: Banken, Fabriken und Flugverbindungen nach Afrika wurden etabliert. Mit vielen Investitionen und einer intensiven Besuchsdiplomatie hat Marokko über Jahre hinweg den Boden bereitet.
    Im Moment durchleben Afrikas politische und wirtschaftliche Schwergewichte - also Südafrika, Nigeria oder Algerien – schwierige Zeiten: Skandale, Terrorismusbedrohungen, wirtschaftliche Schwierigkeiten plagen diese Staaten. Marokko, wirtschaftlich konstant und politisch anscheinend stabil, will deshalb die Gunst der Stunde nutzen, sagt Politikwissenschaftler El Ajlaoui:
    "Glücklicherweise ist Marokko in einer guten Position: Nach dem arabischen Frühling und seinen Folgen, seit dem Auftauchen der Dschihadisten-Gruppen und seit dem Verfall von Staaten in der Sahel-Zone spielt die Sicherheit eine große Rolle. Das ist ein Trumpf für Marokko."
    Marokko hofft auf führende Rolle
    Marokko setzt darauf, dass es in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen dringend gebraucht wird, vor allem in Westafrika. Und hinsichtlich seiner künftigen Rolle in der Afrikanischen Union ist sich El Ajlaoui sogar sicher:
    "Marokko wird die Rolle der führenden Nation im französischsprachigen Afrika spielen. Mit dem Einverständnis Frankreichs."
    "Mit dem Einverständnis Frankreichs" - die Sonderrolle der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich in Westafrika akzeptiert der marokkanische Politologe ohne zu zögern. So sieht das wohl auch sein König. Ob allerdings Algerien sich diesem marokkanischen Anspruch so einfach beugen wird, ob das Problem des West-Sahara-Streites innerhalb der Afrikanischen Union gelöst werden kann – das sind offene Fragen, die sicher nicht schnell beantwortet werden.
    Denn bisher ist die Demokratische Arabische Republik Sahara, also die West-Sahara, ebenfalls Mitglied der Union. Marokko würde das gerne ändern, also dafür sorgen, dass die West-Sahara die Union verlassen muss. Auch deshalb will Marokko zurück in die Afrikanische Union. Weil man im Königreich glaubt, den Gegner innerhalb der Union wirksamer bekämpfen zu können.
    Marokkos Rückkehr in die große Familie der Afrikanischen Union muss jetzt erst mal offiziell beantragt werden. Denn bisher gibt es nur einen Brief mit der entsprechenden Ankündigung des Königs. Aber kaum jemand bezweifelt, dass das Königreich tatsächlich schon bald wieder Mitglied der Union sein wird. Bleibt die spannende Frage, ob Marokkos Träume von einer Führungsposition auf dem afrikanischen Kontinent dann auch Wirklichkeit werden.