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Marquardt: Nur ein Bruchteil der Bolgona-Ziele erreicht

Der Bologna-Prozess sei eine Strukturreform der Studiengänge gewesen, bei der die inhaltliche Vision verloren gegangen sei, sagt Erik Marquardt. Der Co-Vorsitzende des studentischen Dachverbandes fzs fordert, auch die finanziellen Nöte und Überfrachtung der Studiengänge in den Blick zu nehmen.

Erik Marquardt im Gespräch mit Manfred Götzke | 15.10.2013
    Manfred Götzke: Diese Woche ist für die meisten "Erstis" die Zeit des Neu-Orientierens vorbei, nach der Orientierungswoche startet jetzt das richtige Semester mit allen Fallstricken und Problemen, die das deutsche Hochschulsystem zurzeit so zu bieten hat. Und das sind nach Ansicht des studentischen Dachverbandes fzs viele, zu viele. Ich nenne mal ein paar Kritikpunkte: Die Studiengänge seien überfrachtet, der Übergang von Bachelor zu Master nicht offen genug. Außerdem seien Unis und Wohnheime zu voll. Der Verband fordert deshalb jetzt einen Masterplan, und über den möchte ich jetzt mit fzs-Chef Erik Marquardt sprechen. Hallo, Herr Marquardt!

    Erik Marquardt: Guten Tag!

    Götzke: Herr Marquardt, wollen Sie den Erstsemestern Angst machen?

    Marquardt: Nein, es geht überhaupt nicht darum, den Erstsemestern Angst zu machen. Ich finde aber auch wichtig, dass sich die Studierenden gleich bewusst sind, in welcher Situation sie vielleicht landen können, wenn sie zum Beispiel vorhaben, einen Master in einem bestimmten Studiengang zu studieren, dass sie auch gleich schauen, welche Probleme könnte es da geben, und dass sie sich auch bewusst sind, dass es wichtig ist, die eigene Situation zu reflektieren und die Ziele im Studium sich noch mal anzuschauen.

    Götzke: Trotzdem, wenn man Ihre Problembeschreibung so liest, dann könnte man meinen, das Studium an einer deutschen Uni sei eine einzige Katastrophe zurzeit!

    Marquardt: Nein, das ist, glaube ich, nicht so. Wir sagen zum Beispiel auch nicht, dass die Hochschulen zu voll sind, wir sagen, dass sie voll sind. Wir betonen aber auch immer, dass es sehr, sehr viele Studierende gibt, oder in dem Fall Studierwillige, die nicht die Möglichkeit haben, an den Hochschulen zu studieren, die abgelehnt werden. Das ist ein hoch sozialselektiver Prozess. Und wir sind uns schon bewusst, dass die Leute, die an den Hochschulen sind, privilegiert sind, dass die ein gutes Studium auch bekommen und da oft auch ihre Interessen verwirklichen können.

    Man muss aber insgesamt natürlich auch schauen, dass man das nicht nur hochjubelt. Sondern was wir bemängeln, ist ja, dass eben ein grober Masterplan fehlt, dass die Studienreform, die Bologna-Reform zwar eine Strukturreform war, in der die Studiengänge umgestellt wurden, dass die Reform aber vollkommen … die inhaltliche Vision abhandengekommen ist. Es gab verschiedene Ziele, von denen ein ganz geringer Bruchteil erreicht wurde, und das muss man schon noch sagen dürfen.

    Götzke: Dann lassen Sie uns über die Probleme, die Sie ansprechen, mal konkret sprechen! Sie sagen zum Beispiel, das Bachelorstudium sei viel zu überfrachtet. Nun hat sich ja seit den Bildungsstreiks vor ein paar Jahren einiges geändert, ein Großteil der Bachelorstudiengänge, die gehen ja nicht mehr nur sechs Semester, sondern die sind auf acht Semester erweitert worden!

    Marquardt: Ja, ich glaube, das ist falsch. Es gibt keinen Großteil der Bachelorstudiengänge, die auf acht Semester erweitert wurden. Es gibt da in der Tat einige Beispiele, seitdem es die Möglichkeit gibt, das flexibler zu gestalten, es wurde ja gesagt, Bachelorstudiengänge müssen nicht sechs Semester dauern, sondern können auch durchaus sieben oder acht Semester dauern. Es wurde dann aber auch dazu gesagt, insgesamt, Bachelor und Master darf nicht über zehn Semester dauern. Das heißt, wenn man einen achtsemestrigen Studiengang konzipiert, dann darf der Master dazu nur zwei Semester dauern. Und das vermeiden viele Hochschulen, weil man in zwei Semestern eigentlich in vielen Fächern keinen sinnvollen Studiengang konzipieren kann. Deswegen werden diese Spielräume nicht genutzt und da muss an auch sagen, dass die Spielräume vielleicht nicht groß genug sind.

    Das ist eben ein relativ starres System, es ist auch ein System, was föderal funktioniert. Es gibt 16 Landeshochschulgesetze, 16 Landeshochschulzulassungsgesetze durch die Hochschulautonomie, die nicht allen Fällen positiv ist, dann eben auch noch sehr, sehr viele unterschiedliche Regelungen, wo man überhaupt nicht mehr durchsieht. Und in dieser Situation will man den europäischen Hochschulraum befördern. Das erscheint uns noch nicht ganz logisch und da würden wir gern mehr Antworten als Fragen hören.

    Götzke: Aber vielleicht machen sich die Studenten selbst auch das Korsett. Sie haben es ja genannt, also, manchmal kann man … Man kann ja acht Semester lang den Bachelor studieren und muss es nicht in sechs Semestern durchpauken. Machen sich Studierende, auch Erstsemester da selbst manchmal ein bisschen einfach zu viel Druck?

    Marquardt: Nein. Also, ich glaube, wenn man jetzt Erstsemesterstudent ist und genug Geld von den reichen Eltern bekommt, die einem auch die Wohnung finanzieren, und man nicht auf das BAföG angewiesen ist, dann ist das natürlich kein Problem, auch noch etwas länger zu studieren, wenn man jetzt nicht bestimmte Zwangsfristen bekommt, zum dritten Mal durch eine Prüfung fällt.

    Aber ich glaube, die Realität der Studierenden sieht schon ein bisschen so aus, dass die Länge des Studiums auch durch finanzielle Nöte gedeckelt ist, dass man nebenbei eben arbeiten muss, über zwei Drittel der Studierenden arbeiten ja neben dem Studium, nur etwas über 20 Prozent bekommen überhaupt noch BAföG. Das ist, glaube ich, durchaus so, dass man jetzt nicht die Schuld den Studierenden geben kann, die sich zu viel Druck machen. Es ist im Einzelfall so, dass ich glaube, dass ein bisschen mehr Ruhe und Gelassenheit den Studierenden auch nicht schaden würde, aber ich denke schon, dass man da auch politische Verantwortung hat und die nicht einfach wegschieben darf.

    Götzke: Dann sprechen wir mal über die politische Verantwortung beim Thema Wohnungsnot! Sie haben jetzt ein Aktionsbündnis gegen studentische Wohnungsnot gegründet, Sie fordern ein sofortiges Bund-Länder-Investitionsprogramm für mindestens 25.000 zusätzliche Wohnheimplätze. Herr Marquardt, selbst wenn die Länder morgen mit dem Bauen anfingen, wären die Plätze frühestens in vier Jahren da!

    Marquardt: Ja, das kommt natürlich – das wissen Sie auch – darauf an, wie schnell man baut. Aber wir fordern ja eben auch sofortige Lösungen. Wir fordern, dass zumindest jetzt für die Studierenden – und das sind relativ viele, die auch in den Studierendenvertretungen fragen, wo es noch freie Wohnungen gibt und so weiter, obwohl das Semester schon angefangen hat –, da fordern wir eben Notlösungen, dass die erst mal unterkommen. Es gibt ja da auch kreative Lösungen. Ich habe jetzt gelesen, dass irgendein Hochschulpräsident, glaube ich, sein Büro zum Übernachten anbietet, na ja, das ist jetzt vielleicht nicht das Gemütlichste, aber …

    Götzke: Das ist vielleicht auch nicht so angenehm!

    Marquardt: Immerhin hat man da ein Dach überm Kopf und einen schönen Teppich. Aber wir glauben, dass es schon eine Reihe von Maßnahmen braucht, aber man kann jetzt auch nicht sagen, wir bauen keine Wohnheime, weil die erst in vier Jahren fertig sind. Dann hat man in vier Jahren auch kein Ergebnis.

    Götzke: Was kann denn jetzt ganz konkret geschehen, Ihrer Meinung nach?

    Marquardt: Ich denke, was wir konkret auch mit dem Bündnis wollen – wir planen ja eine Aktionswoche vom 4. bis 8. November –, erst mal wieder mehr Druck erzeugen, es gab ja jetzt auch einen runden Tisch bei Bundesbauminister Peter Ramsauer, wo man zwar darüber geredet hat, dass es Probleme gibt, auch, glaube ich, alle einer Meinung waren, aber die Konsequenz daraus darf eben nicht sein, dass man dann traurig im Kreis sitzt und sich anschweigt, sondern da muss eben gehandelt werden. Und wir denken, dass wir dafür auch Druck brauchen, dass wir das auf die politische Tagesordnung setzen müssen.

    Und ja, dann glauben wir, dass wir mehr Wohnheimplätzen, aber auch mehr Verständnis für die Zielgruppe der Studierenden und auch allgemein der Leute, die eben nicht sich teure Mieten leisten können, die eben keine Mietsteigerung in entsprechenden Maßen bezahlen können. Dass, wenn man da mehr Verständnis hat, man eben auch vielleicht politisch handelt. Und wenn man das Verständnis nicht aufbringt, dann muss man eben Druck erzeugen. Und dann denken wir, dass wir da schon vorankommen und dass so ein Bündnis vielleicht auch der richtige Weg dafür ist.

    Götzke: Sagt Erik Marquardt, der Co-Vorsitzende des studentischen Dachverbandes fzs. Er fordert einen Masterplan für eine Reform der Bologna-Reform. Vielen Dank für das Gespräch!

    Marquardt: Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.