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Martin Amanshauser: "Der Fisch in der Streichholzschachtel"
Messerscharfe Zivilisationskritik

Martin Amanshauser schickt in seinem Roman "Der Fisch in der Streichholzschachtel" eine durchschnittliche Familie auf eine Kreuzfahrt in die Karibik. Nach einem Orkan trifft der Luxus-Liner auf ein Piratenschiff aus dem 17. Jahrhundert. Konflikte sind da vorprogrammiert.

Von Eva Schobel | 10.02.2016
    Eine Palme an einem Strand - im Hintergrund das Meer.
    "Eine Kreuzfahrt ist die Endstation der Verbraucherhölle westlicher Lebensträume", schreibt Martin Amanshauser (dpa / Stephan Persch)
    "Eine Kreuzfahrt ist die Endstation der Verbraucherhölle westlicher Lebensträume man lässt sich einsperren mit all den blasierten Wasserköpfen der Konsumgesellschaft und man verzichtet auf jeden Fluchtweg. 12 Nights Caribbean ist wie Familienweihnachten auf engstem Raum, im erweiterten Verwandtenkreis, überfrachtet mit all den unterdrückten Wünschen, offenen Rechnungen und Ansprüchen, aber zeitlich ausgedehnt auf zwölf Tage. Am Ende wird man selbst zum Wasserkopf."
    Hier spricht Fred Dreher oder Alarm-Fred wie sich der alleinige Inhaber einer Sicherheitsfirma nennt, die gerade in den Ruin steuert. Irgendwie ist er auf die verrückte Idee gekommen, seiner Frau zum Geburtstag eine familiäre Kreuzfahrt auf dem Luxusliner "Atlantis" zu schenken, die sie obendrein vorfinanziert. Die Ehe von Fred und Tamara ist in der ganz normalen Krise, die 15-jährige Tochter Malvi ist dem Vater zu dünn und gruftig, Tom, der 10-jährige Sohn ist ihm zu dick und verfressen, seine Frau ist ihm zu schön und zu ebenbürtig. Das künstliche Freizeitleben auf dem Luxusdampfer "Atlantis" ist ihm zu abgeschmackt und langweilig, seine Laune ist miserabel.
    "Die Leute fragen mich immer, ob ich dem kritisch gegenüber steh, aber ich steh einer Kreuzfahrt persönlich viel weniger kritisch gegenüber als meine Hauptfigur Fred. Also Fred hasst das alles und hält es sehr schlecht aus. Ich halts ganz gut aus in einer Kabine zu sein und durchgefüttert zu werden einige Tage, ich mach dann nicht das Animationsprogramm mit, sondern ich schreib halt, ich habs gern das Kreuzfahren."
    Konflikte auf diesem Familientrip sind vorprogrammiert. Als Fred dann noch seiner alten Liebe, Amelie begegnet, einer Reisejournalistin, die zufällig mit an Bord ist, gehen die Turbulenzen erst richtig los.
    Können seelische Spannungen einen Sturm auslösen? Jedenfalls gerät die "Atlantis" in ein elementares Unwetter, das der Autor mit einer erzählerischen Wucht beschreibt, die an Edgar Alan Poes Roman "Arthur Gordon Pym" erinnert.
    "Da kommen Schiffe in Stürme. Überhaupt kommen in der Literatur des 18./19. Jahrhunderts ja immer wieder Schiffe in Stürme, damit hab ich mich beschäftigt und auf unsere moderne Art abgeändert oder einfach im 18.Jahrhundert spielen lassen, aber natürlich hat man da seine Vorbilder. Man könnte einen Sturm nie beschreiben, ohne Beschreibungen von Stürmen aus der Weltliteratur zu kennen, ich glaub das ist wichtig."
    Luxus-Liner trifft auf Piratenschiff
    Durch diesen Sturm kämpft sich auch ein Piratenschiff aus dem Jahr 1730. Stürme, so heißt es im Roman, können ein Zeitloch provozieren. Der Kapitän des Schoners "Fín del Mundo" ist kein Geringerer als der legendäre Klaus Störtebeker oder genauer gesagt, eine etwas vom Weg abgekommene Kopie des Originals, denn der echte Seeräuber ist bereits seit 300 Jahren tot und hat in nördlichen Meeren geplündert. Sein Nachfolger hingegen fährt durch die Karibik und leidet unter einer Enter-Hemmung. Meuterei liegt in der Luft. Erst im Kampf gegen die Elemente läuft der Käpten zur Hochform auf. Dann folgt die Ruhe nach dem Sturm und man sitzt fest. Nur ein paar hundert Meter entfernt von einem anderen Schiff aus einer anderen Zeit: der ramponierten "Atlantis." Aber was für ein Schiff ist das aus Sicht der Piraten! Ein mehrstöckiger Turm, wie der von Babel, obwohl im Meer schwimmend, spornt dazu an, gekapert zu werden, flößt aber auch Furcht ein.
    "Ich bin in Willemstadt gesessen, auf einem Balkon in Curaçao und da ist diese wunderbare St. Anna-Brücke, die aufgeht, eine Pontonbrücke, die biegt sich zur Seite, wenn ein Schiff kommt und sonst ist sie eine Fußgängerbrücke. Und diese Brücke ist auf die Seite gegangen und ein wunderbares, großes Kreuzfahrtschiff ist eingefahren, und nachher ist noch schnell ein historisierendes Schiff hinein gefahren, das ein wenig nach Piratenschiff ausgesehen hat. Und dieses kleine Schiff ist am großen vorbei gefahren. Und ich hab mir in der nächsten Stunde diese Geschichte ausgedacht."
    Während sich die ungleichen Schiffe manövrierunfähig gegenüber liegen, kommt der Roman so richtig in Fahrt. Auf der "Fín del Mundo" befindet sich auch die einzig wirklich historische Figur, der Geschichte, Anne Bonny, berühmteste Piratin aller Zeiten, die vom Pseudo-Störtebeker geschwängert wurde und ihren Bauch so bald wie möglich loswerden will. Störtebeker will seinerseits die renitente Frau an Bord loswerden, denn eine wie sie bringt nach alter Piraten-Weisheit Unglück. Also setzt er sie mit einer kleinen Abordnung, die den schwimmenden Turm von Babel ausspionieren soll, in ein Boot. In dem sitzt auch Salvino d'Armato, seines Zeichens Geograf, Chronist und Alter Ego des Autors. Ein aufgeklärter, ungläubiger Geist, der wegen politischer Intrigen auf der Flucht ist. Sein Befremden und seine Faszination drückt er in einer sehr eigenen Sprache aus. Das Licht der Aufklärung, das auf der "Atlantis" allgegenwärtig ist, lässt ihn paradoxerweise sogar an seinem Unglauben zweifeln.
    "Für ihn ist das irr, weil für ihn ja schon alles was er sieht, völlig irr ist. Man muss ja nur an das Licht auf einem Kreuzfahrtschiff denken. Wie im Jahr 1730 Licht gesehen wurde, Licht in der Nacht, eine Fackel, Feuer und was das Licht für uns ist. Irgendwo anknipsen und ein Raum wird hell. Wir können ganze Räume mit Licht erfüllen in Sekunden wie Götter. Und da beginnt Salvino zu denken, na ja vielleicht gibt's doch einen Gott."
    Hochkomischer Abenteuerroman
    Der Clou an der Geschichte, die in wechselnder Perspektive und auf zwei Spachebenen erzählt wird: Die Piraten halten den Luxus-Liner nicht etwa für eine Erscheinung aus der Zukunft, sondern für ein Relikt aus einer erstaunlich technisierten Vergangenheit, lassen sich von Fotokameras und Handys faszinieren, interpretieren jedoch die befremdlichen Gegenstände auf abenteuerliche Weise. Die Bewohner der "Atlantis" vermuten in den Piraten zuerst eine ausgeflippte Faschingstruppe, dann Rollenspieler, die nicht mehr aus ihrer angenommenen Identität herausfinden, im schlimmsten Fall sogar islamistische Terroristen. Auf allzu menschlicher Ebene trifft man sich trotzdem. Salvino, der Chronist, kommt mit Freds Verflossener, der Reisejournalistin Amelie zusammen, die dem Geheimnis der Piraten, die in ihren Augen keine sind, auf die Spur kommen will. Malvi, die pubertierende Tochter von Fred und Tamara hingegen, reißt aus und vergnügt sich auf der "Fín del Mundo" mit einem ihres Erachtens echten Jungpiraten. Bei ihm und seinen Freunden will sie auch bleiben, obwohl ihr Vater, Fred Dreher, der sich auf dieser stagnierenden Reise nicht nur um sich selbst gedreht, sondern auch gelernt hat, seine Familie wieder wahrzunehmen, nach besten Kräften um sie kämpft. Etwa zeitgleich bringt Anne Bonny, die Piratin, mithilfe von Tamara, einer ehemaligen Hebamme, ihre ungeliebte Tochter zur Welt. Tamara nennt die Räuberstochter Ronja und nimmt sie mit Einverständnis der Mutter an sich.
    Einige Rezensenten haben das Buch als leichte Sommerlektüre gepriesen. Das hängt wohl mit dem karibischen Schauplatz zusammen. Martin Amanshausers in vielen Details hochkomischer Meereabenteuerroman ist aber keineswegs seicht, sondern stellenweise überraschend tief. Der Autor hat durch seine Erzählkunst das Schwere leicht gemacht.
    "Für mich wars irgendwie das entscheidende Buch meines Lebens. Ich wollte das reinbringen was ich kenn und was ich bin und ich wollte diese Fabulierungsverrücktheit, die ich persönlich hab, hinein bringen. Jetzt hab ich es geschrieben und mir am Ende gedacht, es ist ein ernstes Buch. Alle Leute sagen es ist lustig, es ist humorvoll, aber ich habs wirklich nicht so empfunden. Überrascht bei den Lesungen, ich hab natürlich eher unterhaltende Stellen herausgesucht, wie unglaublich die Leute lachen, denn ich hab mir gedacht, es ist ein todernstes Buch."
    Martin Amanshauser: Der Fisch in der Streichholzschachtel
    Deuticke Verlag Wien, 576 Seiten, 21,90 Euro.