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Martin Kannegiesser: "Das ist einfach zu platt"

Gesamtmetall-Präsident Martin Kannegiesser hat die Kritik der Gewerkschaften an Niedriglöhnen zurückgewiesen. Der Arbeitsmarkt habe sich in den vergangenen Jahren außerordentlich positiv entwickelt, sagte Kannegiesser. Bei einem Großteil der mehr als zwei Millionen Arbeitslosen, die wieder eine Beschäftigung gefunden hätten, handele es sich aber um Geringqualifizierte und Ungelernte.

Moderation: Christian Schütte | 28.04.2008
    Christian Schütte: Am Donnerstag haben viele frei; da ist Mai-Feiertag, Tag der Arbeit. Nicht alle werden zu den traditionellen Kundgebungen gehen. Etliche nutzen die Gelegenheit zum Ausspannen oder für einen Familienausflug. Für die Gewerkschaften gibt der 1. Mai dagegen keinen Anlass zum ausgelassen sein. Trotz Aufschwung und positivem Trend am Arbeitsmarkt sieht IG-Metall-Chef Berthold Huber keinen Grund zum Feiern.

    O-Ton Huber: Nur noch das zählt, was den Aktionären nützt. Langfristigkeit, Nachhaltigkeit, Beschäftigung spielen keine Rolle. Und auf der Strecke bleiben die Beschäftigten, zumindest so lange sie sich nicht wehren - am besten mit einer starken Gewerkschaft.

    Schütte: IG-Metall-Chef Huber im "Interview der Woche" hier im Deutschlandfunk. Am Telefon ist nun Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Guten Morgen Herr Kannegiesser!

    Martin Kannegiesser: Guten Morgen Herr Schütte.

    Schütte: Die Beschäftigten bleiben mit Niedriglöhnen auf der Strecke. Dieser Vorwurf Hubers ist indirekt auch an Sie als Vertreter der Arbeitgeber gerichtet. Fühlen Sie sich angesprochen?

    Kannegiesser: Nein, das ist einfach zu platt. Wenn wir uns ansehen, was in den letzten zwei, drei Jahren geleistet worden ist, wo wir herkommen, aus welcher verzweifelten Situation wir kommen mit fast fünf Millionen Arbeitslosen, Unfinanzierbarkeit unserer Sozialsysteme, Riesen Schuldenbergen, dann ist fast was niemand in Europa für möglich gehalten hatte geschehen, nämlich wir haben uns aus diesem Loch ein gutes Stück herausgearbeitet. Außerdem muss man sagen, diese ganze Argumentation enthält eine gewisse Doppelbödigkeit. Doppelbödigkeit deshalb, weil der größte Teil unserer Arbeitslosen - wie gesagt: Wir kommen von fast fünf Millionen - Geringqualifizierte und Ungelernte waren, fast zwei Drittel. Und jetzt, da ein großer Teil genau dieser Gruppe, die auch stark von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen war, wieder aus der Arbeitslosigkeit herausgekommen ist, in drei Jahren zweieinhalb Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden sind, jetzt wundert man sich, dass genau diese Gruppe in Beschäftigungen ist, die natürlich nicht so wie Facharbeiter honoriert werden, und das passt nicht. Wo sollten denn diese Arbeitsplätze für diese Art von Menschen herkommen? In den anderen Bereichen haben wir inzwischen schon wieder Mangel an qualifizierten Leuten. Also die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist eine außerordentlich positive gewesen. Erst hieß es "alles ist sozial, was Arbeit schafft" und jetzt schaffen wir Arbeit; jetzt heißt es aber, die ist nicht gut genug.

    Schütte: Herr Kannegießer, also ist es Schwarzmalerei, wenn die Gewerkschaften beklagen, dass mehr als ein Fünftel der Beschäftigten im Niedriglohnsektor arbeitet?

    Kannegiesser: Das ist zumindest sehr stark auf die eigene Interessenlage ausgerichtet. Es ist sicher, dass eine Organisation wie die Gewerkschaften sich um Mitglieder bemühen muss und versuchen muss, entsprechend die Interessen der Arbeitnehmer wahrzunehmen und auch dies teilweise mit sicherlich Schwarzweißbildern tut. Nur es trifft nicht die Wirklichkeit und es darf nicht so weit überzogen werden, dass ein Zerrbild entsteht, was dann auch sicherlich wieder zu falschen Entscheidungen, zu falschen Strömungen führt, die das Problem eher noch verschlimmern können.

    Schütte: Sie sagen, die Gewerkschaften treffen da mit ihrem Ton nicht die Realität. Die Gewerkschaften würden Ihnen wiederum antworten, Sie träumen sich die gesamte Lage schön.

    Kannegiesser: Ich weiß nicht, wenn man zwei Millionen Arbeitslose abbaut, wenn man 40 Millionen Beschäftigte wieder am Arbeitsmarkt hat, ob das ein schön träumen ist. Es ist schon ein kleines Wunder, dass in einer Situation, in der Deutschland im Wachstum Schlusslicht war, in der wir auf den Märkten der Welt mit vielen unserer Produkte kaum noch Chancen hatten, wo andere Länder neu eingestiegen sind in die weltweite Arbeitsteilung, wir es mit unserem nach wie vor doch sehr hohen Lebensstandard - verglichen an den meisten anderen konkurrierenden Ländern der Welt - geschafft haben, dass wir dieses Niveau erreicht haben. Das ist schon keine Selbstverständlichkeit. Man muss sich nur die angrenzenden Länder ansehen und die Länder in der Welt ansehen, wie es dort wirtschaftlich aussieht. Daran gemessen können wir wirklich stolz sein auf das, was die Betriebe und die Belegschaften in diesen Betrieben erreicht haben.

    Schütte: Wie erklären Sie sich denn die Schwarzmalerei, wie Sie es sagen, der Gewerkschaften? Ist das alles nur Werben für neue Mitglieder?

    Kannegiesser: Das erklärt sicherlich einen Teil. Indem man Kontraste sehr stark herausstellt, gewinnt man Profil und mit diesem Profil hofft man, natürlich Mitglieder zu gewinnen. Die Gewinnung von Mitgliedern ist für eine Gewerkschaft natürlich auch wichtig, absolut legitim und dagegen kann auch niemand etwas haben. Aber es darf nicht dazu führen, dass ausgesprochene Zerrbilder gemalt werden und dass wir bei den großen vor uns liegenden Aufgaben die gemeinsame Basis aus den Augen verlieren. Denn letztlich wollen wir mit den Gewerkschaften - speziell wir in der Metall- und Elektroindustrie als der derzeitigen Lokomotive unserer Wirtschaft überhaupt - weiter auf dem Boden von Flächentarifen zusammenarbeiten. Und das geht nur, wenn beide Seiten realistisch an die Aufgaben herangehen und nicht gegenseitig Zerrbilder malen. Das gilt selbstverständlich für beide Seiten!

    Schütte: Die IG Metall verhandelt derzeit mit ihnen über das Thema Arbeitsteilzeit. Hier fordert die Gewerkschaft ein Entgegenkommen - auch als Ausgleich für die Rente ab 67, die jetzt gilt. Da winken Sie eher ab. Weshalb?

    Kannegiesser: Wir winken überhaupt nicht ab. Wir haben vor einem Jahr eine Sozialpartnererklärung abgeschlossen. Die muss jetzt mit Leben gefüllt werden. Bisher haben wir auf eine grundsätzliche Positionierung des Gesetzgebers gewartet, die bislang nicht erfolgt ist. Wir gehen jetzt davon aus, dass die bisherige gesetzliche Lage bestehen bleibt. Dadurch entsteht eine neue Situation, über die wir mit den Gewerkschaften verhandeln werden. Die Verhandlungen haben in der letzten Woche begonnen. Für uns kommt es dabei darauf an, dass wir auf der einen Seite akzeptieren und in die Wirklichkeit umsetzen, dass in Zukunft ältere Arbeitnehmer länger in unseren Unternehmen bleiben können und auch bleiben müssen. Das Durchschnittsalter in der Bevölkerung müssen wir auch in etwa in unseren Betrieben wiederfinden. Wir können da nicht nur junge haben und die älteren, die werden relativ früh in den Ruhestand geschickt. Da brauchen wir also einen Mentalitätswandel bei den Unternehmen, die sich der Stärken älterer bewusst sein müssen, die auch dafür mehr tun müssen, und auf der anderen Seite der Arbeitnehmer, die davon ausgehen müssen, dass sie ein Stückchen länger über die nächsten Jahre versuchen müssen, in den Betrieben zu bleiben. Aber wir sind uns auch darüber im Klaren - und da gibt es überhaupt keinen Widerspruch mit den Gewerkschaften -, dass nicht jeder bis 65 arbeiten kann oder in 22 Jahren dann bis 67 nicht jeder arbeiten kann, sondern dass es speziell für diejenigen, die nicht können, flexible Übergänge geben muss. Für die müssen wir die gemeinsamen Voraussetzungen festlegen und verhandeln.

    Schütte: Herr Kannegiesser, die Parteien diskutieren jetzt wieder über Manager-Gehälter. Die SPD will da die Grenzen nicht direkt setzen, aber den Beitrag deckeln, den die Unternehmen als Gehaltsausgaben von der Steuer absetzen können. Wie akzeptabel ist aus Ihrer Sicht dieser Vorschlag?

    Kannegiesser: Das ist Mikroeffizienz. Das sind dann alles solche Dinge, die sich nach außen gut darstellen. In Wirklichkeit muss man keine Illusionen haben. Das bringt nicht nur nichts, sondern es erreicht teilweise auch das Gegenteil. Da wird also irgendeine öffentliche Strömung vorübergehend bedient, aber das bringt in der Praxis überhaupt nichts. In der Praxis bringt nur, wenn in Zukunft die Aufsichtsräte, die die Gehälter und Einkommen festsetzen und die Arbeitsverträge schließen, und die Betroffenen selbst mehr Sensibilität und Realismus zeigen für die Festsetzung von Abfindungen. Es geht hier ja um Abfindungen. Nun haben wir ein paar solcher Fälle gehabt. Es ist ja nun nicht so, dass jeder Manager - selbst nicht der von Großunternehmen - abgefunden werden muss. Solche Abfindungen sind ja eher die Ausnahmesituation. Genau wie bei Arbeitnehmern, wo die meisten ja nun nicht über Abfindungen aus dem Unternehmen müssen, also vorzeitige Vertragsbeendigung, sondern ganz normal ausscheiden. Dieses Problem wird hier aufgeblasen, um letztlich irgendwelche Symbole hier zu feiern, aber in der Praxis bringt das nichts.

    Schütte: Aufgeblasen sagen Sie, aber es geht ja nicht nur um Abfindungen, sondern auch um Gehälter. 60 Millionen Euro beispielsweise hat Porsche-Chef Wiedeking zuletzt verdient. Können Sie nicht verstehen, dass das als ungerecht bei vielen Leuten ankommt?

    Kannegiesser: Ja. Das geht sicherlich auch vielen Mittelständlern so. Wir haben ja nun nicht nur ein paar Großunternehmen, sondern 99 Prozent unserer Unternehmen sind kleine und mittlere, die auch mit großen runden Augen das verfolgen. Auf der anderen Seite muss man sich im Klaren sein, wie diese Gehälter zu Stande gekommen sind, dass eben die Einkommen solcher Leute zu zwei Dritteln aus Gewinnbeteiligungen bestehen, also variabel sind, und zu einer Zeit vereinbart worden sind, als sich etwa bei Porsche - Porsche war damals fast ein Sanierungsfall - niemand im Traum hätte vorstellen können, dass eine bestimmte Promillbeteiligung am Gewinn zu solchen Ergebnissen führt. Das muss man in Zukunft dann vielleicht gerade rücken. Aber das ist doch nicht Aufgabe des Staates, sondern das ist in erster Linie Aufgabe der Unternehmen und der Aufsichtsräte in diesen Unternehmen.

    Schütte: Martin Kannegiesser, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. Ich danke Ihnen für das Gespräch!