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Martin Luther King Jr.
Motor für den Freiheitskampf

Die Heimatkirche von Martin Luther King war die Ebenezer Baptist Church in Atlanta. Auch 50 Jahre nach der Ermordung des Predigers und Bürgerrechtlers spielt sie in den USA eine wichtige Rolle. Der leitende Pastor, Reverend Raphael Warnock, hält Protest für wichtiger denn je.

Von Katja Ridderbusch | 04.04.2018
    In der Nachfolge von Martin Luther King in der Ebenezer Church in Atlanta: Reverend Raphael G. Warnock
    In der Nachfolge von Martin Luther King in der Ebenezer Church in Atlanta: Reverend Raphael G. Warnock (imago stock&people)
    "When I have to meet my day, I don't want a long funeral. And if you get somebody to deliver the eulogy, tell them not to talk too long [...], say that I was drum major for justice, say that I was a drum major for peace."
    Wenn seine Zeit gekommen sei, dann wolle er keine lange Trauerfeier und keine ausschweifende Grabrede, sagte der Bürgerrechtsführer Martin Luther King Jr. am 4. Februar 1968. Der Redner solle einfach nur sagen, dass er ein Tambourmajor gewesen sei, der für Gerechtigkeit und Frieden getrommelt habe.
    Zwei Monate später war King tot. Diese Predigt hatte er in der Ebenezer Baptist Church in Atlanta im Bundesstaat Georgia gehalten. In der Kirche, in der King aufwuchs. Die er als Pastor bis zu seinem Tod leitete. Die zur Keimzelle des Bürgerrechtskampfs wurde und in der Kings Trauerfeier stattfand. Ebenezer Baptist: die berühmteste schwarze Kirche in den USA.
    Und zwar bis heute. Busladungen von Schulkindern entleeren sich täglich auf der Auburn Avenue in Downtown Atlanta, wo Kings Geburtshaus und Grabstätte liegen. Gegenüber der alten Ebenezer-Kirche, die mittlerweile ein Museum ist, befindet sich das neue Gebäude, wuchtig und aus rotem Backstein.
    "Kings Großvater war hier auch schon Pastor"
    Die Gemeinde von Ebenezer hat heute rund 6.000 Mitglieder. Reverend Raphael Warnock ist hier seit 13 Jahren leitender Pastor. Jene Position, die einst Martin Luther King innehatte. Als Warnock geboren wurde, war King bereits tot.
    "Ich bin ein Kind der Post-Bürgerrechts-Ära. Dennoch hat mich Martin Luther King tief geprägt. Meine Eltern waren Prediger. Kings Selbstverständnis als Seelsorger, sein Kampf für soziale Gerechtigkeit - das war das Vorbild für meinen eigenen Weg."
    Eine Hinweistafel würdigt die Ebenezer Baptist Church in Atlanta als wichtige nationale Gedenkstätte der USA
    Hinweistafel an der Ebenezer Baptist Church in Atlanta (Katja Ridderbusch)
    Zwar sei Ebenezer untrennbar mit Kings Leben und Wirken verbunden, sagt Warnock. Tatsächlich allerdings steht die Baptisten-Kirche - gegründet 1886 von einem ehemaligen Sklaven - für eine noch längere Tradition des Freiheitskampfes.
    "Kings Großvater mütterlicherseits war der zweite Pastor dieser Kirche. Er setzte sich für die Gründung der ersten öffentlichen Schule für schwarze Kinder in Atlanta ein. Solche Schulen gab es in Amerika nicht - bis in die 1920er-Jahre."
    Ausgangspunkt der Bürgerrechtsbewegung
    Kings Vater, ebenfalls Pastor von Ebenezer und von seinen Gemeindemitgliedern "Daddy King" genannt, organisierte 1935 einen Protestmarsch für das Wahlrecht von Afroamerikanern in Atlanta - 30 Jahre bevor der US-Kongress das Wahlrechtsgesetz auf Bundesebene verabschiedete.
    Es war Martin Luther King, der Ebenezer auf die nationale und internationale politische Bühne hob. Die Kirche wurde zum Motor der Bürgerrechtsbewegung in den 50er- und 60er-Jahren. Von hier aus organisierten King und seine Mitstreiter - viele von ihnen schwarze Prediger - ihre Protestzüge durch den Süden und in die Hauptstadt Washington.
    Auf der Kanzel der Ebenezer-Kirche hielt King brisante politische Predigten. Gegen den Vietnam-Krieg zum Beispiel:
    "We were taking the black young men who have been crippled by society and sending them 8.000 miles away to guarantee liberties in Southeast Asia which they had not found in Southwest Georgia and East Harlem."
    Die Regierung, sagte King, schicke schwarze junge Männer nach Südostasien, um dort für eine Freiheit zu kämpfen, die ihnen in Georgia und in Harlem verwehrt würde.
    Auch in den Jahrzehnten nach Kings Tod blieb Ebenezer ein kraftvolles Symbol - und ein effizientes Vehikel für die Mobilisierung von Wählern. Kein demokratischer Präsidentschaftsbewerber konnte es sich leisten, nicht vor der Ebenezer-Gemeinde zu sprechen. Und keiner wurde mit mehr Jubel empfangen als der Wahlkämpfer Barack Obama im Januar 2008.
    "Eine extrem kritische Zeit für Amerika"
    Ebenezer ist seiner Tradition und seinem Mythos treu geblieben. Sozialer und politscher Aktivismus gehören nach wie vor zum Selbstverständnis der Kirche. Heute konzentriert sich Ebenezer vor allem auf den Kampf gegen Armut, gegen Polizeigewalt und gegen Diskriminierung von Wählern.
    Ein Thema, das Pastor Warnock besonders am Herzen liegt, ist das, was er als 'Masseninhaftierung' bezeichnet. 25 Prozent aller Häftlinge weltweit sitzen in US-Gefängnissen ein, die meisten davon sind schwarz, und viele sind wegen minder schwerer Drogendelikte hinter Gittern.
    "Es ist eine tragische Ironie, dass all die Barrieren, die Martin Luther King und seine Mitstreiter mit ihrem Kampf eingerissen haben, heute im Kontext unseres Strafverfolgungssystems langsam wieder aufgebaut werden."
    Vor allem die Präsidentschaft von Donald Trump sorgt dafür, dass Ebenezer, die sich selbst als "Freiheitskirche" bezeichnet, ihre Protestmuskeln geschmeidig hält.
    An einer Hauswand hängt eine blaue Leuchtreklame der Ebenezer Baptist Church
    Ebenezer Baptist Church in Atlanta (Deutschlandradio / Katja Ridderbusch)
    "Dies ist eine extrem kritische Zeit in Amerika, und wir müssen fast täglich auf irgendetwas reagieren, das in Washington passiert. Martin Luther King hat immer gesagt: Schweigen ist Verrat. Protest stört, Protest ist chaotisch, Protest sorgt dafür, dass Menschen sich unwohl fühlen. Und das soll genauso sein."
    In diesen Tagen, in denen sich das Attentat auf den Bürgerrechtsführer jährt, wünscht sich der Pastor von Ebenezer manchmal, er könne seinem Vorgänger ein paar Fragen stellen.
    So hätte er gerne gewusst, was King, wäre er nicht heute vor 50 Jahren ermordet worden, in seiner nächsten Predigt gesagt hätte. Doch es ist nur ein Titel überliefert: "Warum Amerika vielleicht zur Hölle fährt".
    "Dr. King was really concerned about the spiritual health of America 1968. 50 years later [...] a deep spiritual crisis, a moral failure on a national level."
    King sei sehr besorgt um das spirituelle Wohl Amerikas gewesen, sagt Warnock. 50 Jahre später legten die wüsten politischen Debatten nahe: Die Furcht vor einer tiefen spirituellen und moralischen Krise des Landes ist aktueller denn je.