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Martin Niemöller und die Freikorps
Gegen Spartakus

Der protestantische Theologe Martin Niemöller, Gründer der "Bekennenden Kirche", war ein Gegner des Nationalsozialismus. Er bekämpfte allerdings auch als Anführer eines Freikorps die Weimarer Republik. Eine aktuelle Biografie beleuchtet seine deutsch-nationale Vergangenheit.

Von Karsten Krampitz | 12.03.2020
Eine historische Aufnahme von Martin Niemöller, evangelischer Pastor und Theologer, im Anzug und Pfeife im Mund.
Vom Freikorps zur Friedensbewegung und ein Leben voller Widersprüche: Benjamin Ziemann hat eine neue Biografie über den berühmten Theologen vorgelegt (DVA Verlag)
Berühmt ist sein Zitat: Als die Nazis die Kommunisten holten, habe er geschwiegen; er war ja kein Kommunist. Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe er geschwiegen; er war ja kein Sozialdemokrat. Und am Ende dann:
"Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte."
Marin Niemöller. Weniger bekannt ist dagegen seine deutsch-nationale Vergangenheit. Den Pfarrberuf hatte der frühere Marineoffizier 1919 weniger aus religiös-pazifistischer Läuterung gewählt – immerhin hatte Deutschland gerade den Ersten Weltkrieg verloren. Seine militaristischen Wertevorstellungen nahm der damals 28-Jährige mit ins Theologiestudium. In seinen bereits 1934 erschienenen Memoiren "Vom U-Boot zur Kanzel" erinnerte sich Niemöller an die Universität Münster:
"Gleich zu Beginn des Semesters hatten ein paar ehemalige Offiziere begonnen, national gesinnte Studenten in einer deutschnationalen Studentengruppe zu sammeln; und da ich für das eigentliche Korporationsstudententum wegen meines "vorgerückten Alters" keine rechte Neigung mehr aufbringen konnte, widmete ich mich in den Stunden, die mir übrigblieben, ganz dieser Aufgabe."
Kommandeur von Studenten-Bataillon
Aus diesem Umfeld heraus meldete er sich im April 1920 zu den Freikorps. – Martin Niemöller, die spätere Ikone der Friedensbewegung: In den Ruhrkämpfen vor hundert Jahren führte er ein Freikorps an; ein Bataillon von rund 250 Studenten.
In seinem Buch schrieb Niemöller davon. Zuvor aber berichtet er vom Ende seines ersten Semesters. Am 13. März 1920 treffen Telegramme ein, die den Sturz der Weimarer Regierung zur Nachricht haben. In Berlin hat das Freikorps Lüttwitz eine "nationale Regierung" unter Kapp eingesetzt – für etwa 100 Stunden.
Überall im Land wird der Generalstreik ausgerufen, selbst an der Universität Münster. Mit den Worten "Unerhört so etwas!" reißt ein Professor den Zettel vom Anschlagbrett. Brave Bürger zeigen sich entsetzt vom drohenden Aufruhr, wie Niemöller erzählt.
"Aber der Generalstreik kam …, und im Industriegebiet wurde die "Rote Republik" ausgerufen. Die einzige ernstzunehmende Truppe, die es damals in Münster gab, war das Korps Lichtschlag, das sofort ins Industriegebiet geworfen wurde, weil man glaubte, die Unruhe noch meistern zu können."
Nur wurden die paar hundert Mann umgehend von den Aufständischen aufgerieben.
"… und es waren nur wenige, die sich durchschlagen konnten oder als Verwundete in den Krankenhäusern untertauchten, um von dort in Zivilkleidung bei Nacht und Nebel weitergebracht zu werden. Natürlich hatte dieser Erfolg der Spartakisten die Wirkung, dass ihnen ungeheuer der Kamm schwoll."
"Als sie ankamen, war der Kampf schon vorbei"
Die angeblichen Spartakisten waren meist linke Sozialdemokraten, aber auch Anarchisten und Kommunisten, die nun im Ruhrgebiet vielerorts die Machtfrage stellten, von der sich auch der junge Martin Niemöller herausgefordert fühlte.
Der Historiker Benjamin Ziemann hat vor kurzem in der DVA München eine erste wissenschaftliche Niemöller-Biografie vorgelegt, die auch von dessen Rolle in den Ruhrkämpfen berichtet.
"Niemöllers Beteiligung an der Niederschlagung der Roten Ruhrarmee im Ruhrgebiet nach dem Kapp-Putsch 1920 hätte auch anders kommen können. Weil, er war ja Marineoffizier gewesen und eine der Einheiten, die dem Lüttwitz unterstand, dem General, der putschte, war die Marinebrigade Loewenfeld. Und deren Kommandeur, Wilfried von Loewenfeld, hatte Niemöller Anfang 1919 noch bekniet, doch seiner Brigade beizutreten. Hat er aber nicht gemacht. Also kam er erst 1920 nach dem Kapp-Putsch über die Uni-Münster, wo er Theologie studierte, dann in diese Auseinandersetzung mit rein, als Teilnehmer, auch Kommandeur eines Bataillons von zeitfreiwilligen Studenten, die dann ins Ruhrgebiet marschiert sind. Aber als sie ankamen, um die Rote Ruhrarmee zu schlagen, war der Kampf schon vorbei…"
Portrait des Autors Benjamin Ziemann.
Niemöller-Biograf Benjamin Ziemann (Benjamin Ziemann)
Oder wie Niemöller sich in seinem Buch meinte zu erinnern:
"Überall, wohin wir jetzt kamen, wurden wir als Befreier aus der Hölle des Bolschewismus begrüßt; und schlimm genug hatten die Spartakisten gehaust."
Dass sein Bataillon nicht zum Einsatz kam, erklärt Niemöller mit der Feigheit seiner Feinde. Über die vermeintlichen Spartakisten schreibt er:
"Nur wenige jedoch waren zu fassen: Die Leute liefen längst wieder als harmlose Zivilisten herum; und nur, wenn sich unsere Leute einzeln zeigten, wagten sie, zu schießen oder sonst tätlich zu werden."
Niemöller: "Es fehlte an Voraussetzungen für ein echtes völkisches Handeln"
En passant berichtet Niemöller dabei von einer Episode, die man heute als Kriegsverbrechen deuten könnte:
"Am 7. April trafen wir auf dem Marsch nach Castrop in Mengede mit dem Korps Gabcke zusammen und mit den "Pfefferlingen" des Hauptmanns von Pfeffer. Dort sahen wir eine ganz eigenartige Methode, die gefangenen Spartakisten in sicherem Gewahrsam zu halten: man ließ sie zu vieren als erstes Glied in den einzelnen Gruppen marschieren!"
Was für ein Spaß! Demnach wurden in den Straßen vor jeder marschierenden Freikorps-Gruppe gefangene Kämpfer der Roten Ruhrarmee als Schutzschild hergetrieben. Viel mehr aber hat Niemöller vom Ende der Ruhrkämpfe nicht zu berichten. Schon wenige Tage später, nach einer Parade in Münster am 23. April 1920, löste sich sein Regiment auf. Sein Biograf meint:
"Das ist paradox. Es hätte auch anders kommen können. So war das eher ein kurzes Intermezzo. Niemöller hat sich für drei Wochen von seinen Studien verabschiedet und war dann nach drei Wochen wieder zu Hause", so Ziemann.
Auch darüber schrieb Niemöller:
"Als ich nach Hause kam war es mir zweifelhaft geworden, ob der nationale Schwung, der in der Jugend und in den alten Frontsoldaten lebte, stark und rein genug sei, um in der kommenden Zeit ein Neues zu gestalten."
An großen Worten für kleine Taten fehlte es Martin Niemöller schon damals nicht …
"Dieser Kampf auf deutschem Boden, wobei Deutsche gegen Deutsche standen, hatte aufs Neue die tiefe Not offenbart, die seit Kriegsende als Last auf unserem Volke lag. Es fehlte an Führung, es fehlte an einem großen Ziel, es fehlte vor allem an den inneren und sittlichen Voraussetzungen für ein echtes völkisches Wollen und Handeln"
… so Pfarrer Martin Niemöller im Rückblick 1934.
Martin Niemöllers Memoiren "Vom U-Boot zur Kanzel" aus dem Jahr 1934 als Exponat aus der Ausstellung "Leben nach Luther. Eine Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses" im Deutschen Historischen Museum in Berlin im Jahr 2013.
Martin Niemöllers frühe Memoiren "Vom U-Boot zur Kanzel" aus dem Jahr 1934 (imago stock&people / epd)
Während in Deutschland bereits Hunderttausende Juden entrechtet, verfolgt oder ins Exil getrieben und unzählige Menschen auch ermordet wurden, sinnierte der Mitbegründer der Bekennenden Kirche von den "Voraussetzungen für ein echtes völkisches Handeln".
Ein widersprüchliches Leben
Niemöllers Notbund, dem zeitweilig über 7.000 evangelische Geistliche angehörten, kämpfte für höchstens 100 evangelische Pfarrer, denen eine jüdische Herkunft nachgewiesen worden war. Versteht man, wie der Historiker Benjamin Ziemann, unter Widerstand die Solidarität mit Fremden, so war Martin Niemöller im Dritten Reich kein Widerstandskämpfer. Und dennoch brachte ihn sein Kirchenverständnis für acht Jahre ins Konzentrationslager.
Mit den vielen Widersprüchen seiner Biografie, den Irrtümern wie auch seiner gezeigten Haltung zur Demokratie verkörpert Martin Niemöller wie kaum ein anderer Kirchenrepräsentant die Geschichte des deutschen Protestantismus im 20. Jahrhundert. Dass nun ausgerechnet Niemöller zur Ikone der Friedensbewegung avancierte, sieht Benjamin Ziemann kritisch:
"Das ist in gewisser Hinsicht ein Missverständnis. Erstens weil andere vielleicht besser geeignet gewesen wären als Gallionsfigur. Gollwitzer zum Beispiel. Es ist ein Missverständnis, weil ja niemand nachgefragt hat, in den 60er- und 70er-Jahren, niemand wissen wollte, was Niemöller eigentlich vor 1945 so gemacht hat oder auch als Student in Münster. Aber das ist eine historische Bedeutung, die natürlich wichtig war für das Selbstverständnis derjenigen, die sich als Linksprotestanten definierten. Und da kam jemand, der sagen konnte: Ich war mal kaiserlicher Offizier und jetzt bin ich Pazifist und überzeugter Weltenbummler in Sachen Pazifismus – kam da natürlich grade recht."
Martin Niemöller war ein Leben lang in Opposition, auch gegen die Weimarer Demokratie.
Benjamin Ziemann: "Martin Niemöller. Ein Leben in Opposition"
DVA München, 640 Seiten, 39 Euro.