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Martin Roths "Widerrede" erscheint posthum
Ein politisches Vermächtnis

Drei Wochen nach seinem Tod erscheint Martin Roths letztes Werk. In "Widerrede" wird Europa und die Welt, wie sie besser aussehen könnte, thematisiert. Anhand eines Dialogs diskutiert er mit seinen drei Kindern dabei über unterschiedliche politische Themen und Werte.

Von Michael Köhler | 29.08.2017
    Der damalige Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, Martin Roth, steht am 18.06.2010 in Dresden (Sachsen) im Albertinum vor Gemälden von Georg Baselitz.
    Martin Roth ist am 06. August 2017 im Alter von 62 Jahren gestorben (dpa-Bildfunk / Matthias Hiekel)
    Als Weltbürger mit schwäbischen Wurzeln preist ihn der Verlag. Und ein fraglos großer Museumsmann und Kulturmanager war Martin Roth. Darin sogar undiplomatisch. Er machte den Mund auf, wenn er es für richtig und wichtig hielt, auch wenn er damit aneckte:
    "Ich finde ja, dass die Museen in Deutschland nicht gerade besonders aufregende Programme haben. Das hängt aber auch einfach damit zusammen, weil wenn einem die Ministerialregierung reinquatschen kann, bis, was weiß ich für eine Ebene, dann sind sie nicht sonderlich flexibel im Denken. Und ich find schon, dass sich da mal was verändern müsste."
    Nun legt er, gewissermaßen als eine Art Spätwerk und Testament, einen politischen Familiendialog unter dem Titel "Widerrede" vor. Kaum hundert Seiten. Darin zeigt er sich und seine großen Kinder in einer Art Küchentisch-Dialog über aktuelle Fragen der Europaskepsis, des Populismus und des persönlichen Engagements.
    Als ehemaliger Chef der Dresdner Staatlichen Gemäldesammlungen sowie des Londoner Victoria and Albert Museums wundert seine Europabegeisterung und sein Ärger über den Brexit kaum. Er schreibt in typischem Ton: "Wer aufrütteln will, muss die vornehme Zurückhaltung aufgebeben können."
    Kunst muss politisch sein
    Ja, möchte man entgegnen, sie wird ja aufgegeben, nur von den Falschen. Klare Ansage war immer sein Ding. Und damit ist er auch angeeckt. Seine Aufklärungs-Ausstellung in China oder seine Kuratorentätigkeit für Aserbaidschan haben auch Freunde irritiert. Doch dann bekennt er: "Ich bin überzeugt, dass Kunst und Kultur unverzichtbare Grundlage einer Gesellschaft im demokratischen und friedlichen Zusammenleben sind."
    "Ich bin schon ein großer Freund - aber ich weiß, dass ich nicht all´ zu viele Menschen hab´, die mir da folgen werden -, dass Kunst einfach politisch sein muss, zumindest dann, wenn die Zeiten so sind, dass wir auf `ne klare Aussage warten, und die haben wir zurzeit, eindeutig!"
    Martin Roth lässt keine Zweifel, dass er aus einfachen Verhältnissen kommt und nicht missen möchte, was das freie Europa bietet. "Mir war es wichtig, etwas über Generationen hinweg zu debattieren und zu publizieren", schreibt er.
    Mit seinen Kindern Clara, Roman und Mascha, die alle unterschiedlich engagiert sind, diskutiert er in dem schmalen Büchlein über Gesundheitssystem, Arbeitslosigkeit Klimawandel, Populismus und die "offene Gesellschaft".
    Die Kinder stellen die Kinderfragen: "Warum konnten Rating Agenturen so mächtig werden", warum habt ihr das zugelassen? Mascha empört sich und sagt, man müsse aufstehen und was machen und dann bleibe man nur "wahnsinnig engagiert auf dem Sofa sitzen." Roman spricht Klartext: "Aus unserer Generation müsste das Gegengift zum Europäischen Populismus kommen."
    "Die Leute sollten für ein gemeinsames Europa arbeiten"
    Machen wir es kurz. Das ist alles sehr honorig. Und es muss auch nicht immer alles von gesellschaftlichen Analysen und theoretischem Überbau strotzen, um verbindlich zu sein. Aber diese "Widerrede" ist günstigstenfalls eine Empörung und eine Ermutigung. Eine Empörung über ungerechte Zustände wie Armut, Klimakriege, und eine Ermutigung für seine Überzeugungen einzutreten, sich einzumischen. Das mag evangelisch und sozialdemokratisch sein, oder auch nicht, oder einfach nur menschlich. Aber ist es auch ein Buch? Nein! Es ist ein Gesprächs- oder Interviewband für "Chrismon" oder "Die Zeit".
    Stark wird es immer dann, wenn Martin Roth im O-Ton durchscheint: "Für mich war Europa, für mich ist Europa eine Idee, die selbstverständlich ist. Ich habe mir überhaupt nicht vorstellen können, dass jemand gegen Europa sein könnte".
    Nach seiner Rückkehr aus England - die Krankheit hatte ihn schon im Griff und ließ ihn nicht mehr los - machte er klar, dass er politisch aktiv sein wollte. Er hat seinen Kindern, die in der ganzen Welt studieren durften, offenbar viel mitgegeben.
    Clara schreibt: "Die Leute sollten aufstehen und für ein gemeinsames Europa arbeiten." "Wir" - schreibt Mascha - "sind die Erasmus - Generation."
    Das ist alles sehr ehrenwert, aber würde nicht der Name Martin Roth auf dem Umschlag stehen, hätten wir kaum angefangen zu lesen. Behalten wir deshalb den wegweisenden Museumsmann und freundlichen Kulturmanager in herzlicher Erinnerung.