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Martyna Bunda: "Das Glück der kalten Jahre"
Eine Geschichte der wiederentdeckten Empfindsamkeit

Ein Heiratskandidat unterhält seine Angebetete und deren Schwestern mit Kunststücken, erweist sich aber nach der Hochzeit als Nullnummer. Der Debütroman der polnischen Journalistin Martyna Bunda ist bewusst und durchaus provokant einseitig, denn Sympathieträgerinnen können bei ihr nur Frauen sein.

Von Katrin Hillgruber | 22.11.2019
Kleeblatt mit Raureif im Winter
Drei Schwestern sind die Protagonistinnen in Martyna Bundas Debütroman (imago stock&people/ imagebroker)
Gerta, Truda und Ilda heißen die drei kaschubischen Schwestern aus der Gegend westlich von Danzig, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Gerta, die Erstgeborene, ist die vernünftigste und kommt nach der Mutter Rozela. Gerta hat die Anmutung einer Athletin, sie ist praktisch veranlagt und achtet immer darauf, was die Leute sagen könnten. Truda, die mittlere, erscheint daneben als Unvernunft in Person. Sie kommt während des Zweiten Weltkriegs als Zwangsarbeiterin nach Berlin, wo sie sich unsterblich in den Deutschen Gustav verliebt.
Frauen sieht die lebenslustige Truda herzlich und zugewandt in die Augen, wie es heißt, Männern dagegen kühn und herausfordernd. Hier deutet sich die dezidiert weibliche Perspektive von Martyna Bundas Debütroman bereits an. Und da wäre schließlich noch Ilda, die jüngste Schwester: Die couragierte Motorradfahrerin ist klein und üppig zugleich und diente dadurch ihrem verstorbenen Mann, dem Bildhauer Tadeusz, als ideales Modell. Das schwere Motorrad hat sie im Januar 1945 aus dem Graben gezogen, es stammt von einem deutschen Flüchtlingstreck. Mit dem Begräbnis des Bildhauers und treulosen Ehemanns Tadeusz setzt der Roman "Das Glück der kalten Jahre" ein. Er spielt in der Kaschubei, einer Region im Nordosten Pommerns und den Pomerellen. Die Kaschuben sprechen eine eigene westslawische Sprache, die auch deutsche Elemente hat. Martyna Bunda stammt aus Danzig und war viele Jahre als Reporterin in der nahen Kaschubei unterwegs. Sie traf dort auf Menschen und ihre Schicksale, die häufig noch vom Zweiten Weltkrieg geprägt waren.
"Oft war das scherzhaft, da gab es diese und jene Anekdote oder lustige Geschichte, die aber eigentlich einen ganz schrecklichen Hintergrund hatte. Ich war jedesmal und auch zunehmend erstaunt - und das war vielleicht auch einer der Gründe, warum das Buch entstanden ist - , wie lebendig der Krieg noch war."
Wie ein Katzenwurf
In Anton Tschechows Drama "Drei Schwestern" wünschen sich diese sehnlichst aus der russischen Provinz nach Moskau. Das Trio in Martyna Bundas Roman "Das Glück der kalten Jahre" hingegen kehrt immer wieder in das Dorf Dziewcza Góra zurück, wo die Witwe Rozela 1932 für sich und ihre drei Töchter das erste Haus aus Stein errichtet hat. Auch als diese längst selbst mehr oder weniger glückliche Familien gegründet haben, zieht es Gerta, Truda und Ilda in das Häuschen zurück, wo sie am liebsten wie ein Katzenwurf zusammen in einem Bett liegen. Ohnehin wimmelt es nur so von Haustieren vom Pfau bis zu Schweinen, die schöne Namen tragen und erst nach einer liebevollen Zeremonie geschlachtet werden.
Als uneheliche Tochter einer unehelichen Mutter geboren, ist es das größte Bestreben der Matriarchin Rozela, den Anforderungen des Lebens gerecht zu werden. Rozela wurde gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von Angehörigen der Roten Armee vergewaltigt. In der sozialistischen Volksrepublik Polen jedoch wurden die Geschehnisse in den ehemaligen deutschen Gebieten nach Möglichkeit nicht thematisiert. Das Verbrechen an Rozela bildet daher das Ur-Trauma in diesem an Traumata so reichen Roman, wie Martyna Bunda erklärt:
"Ich habe als Kind die Spur des Bügeleisens auf dem Bauch meiner Großmutter gesehen, und das war natürlich ein entsetzlicher Anblick für mich. Aber letztlich ist das auch ein Symbol für die Geschichte der Region, wo die Armeen durchmarschiert sind und wo immer Frontlinien verliefen. Es ist eine von der Geschichte geprüfte Region, deren Geschichte aber nie erzählt wurde. Man konnte nur aus Einzelheiten Rückschlüsse ziehen, und ohne das rational zu begreifen, hat sich ein Bild entwickelt, das dann später durch Erzählungen lebendig wurde, vor allem über die Versuche, die jungen Mädchen vor Vergewaltigungen zu schützen – man hat sie zum Beispiel mit Pflaumenmus beschmiert, damit sie schmutzig aussehen. Das war eine Geschichte, die immer präsent war, aber nie bewusst geworden ist."
Buchcover: Martyna Bunda: „Das Glück der kalten Jahre“
Buchcover: Martyna Bunda: „Das Glück der kalten Jahre“ (Suhrkamp Verlag)
Neues Glück trotz widrigster Umstände
"Gefühllosigkeit", Nieczułość, heißt der Roman im Original. Martyna Bunda geht es ausdrücklich darum, in ihrem Panorama eines knappen Jahrhunderts von 1932 bis heute darzustellen, wie historische Wunden heilen und Menschen trotz widrigster Lebensumstände neues Glück finden können. Deshalb ist der Erzählton gefühlvoll bis rührend, man spürt deutlich die Sympathie der Autorin für ihre Figuren. Das hat die Journalistin Bunda auch zum belletristischen Schreiben bewogen: die Möglichkeit, stärker ins Geschehen einzugreifen, gerade im Hinblick auf das positive Ende.
"In Polen haben wir es ohnehin ein bisschen besser, weil die polnische Schule der Reportage letztlich Metaphern verlangt. Eine Geschichte muss natürlich wahr sein und faktengetreu erzählt werden, aber sie sollte eigentlich immer eine zusätzliche, eine metaphorische Ebene haben. Dennoch ist man bei der Reportage an die Fakten gebunden. In der Literatur hingegen ist man freier, wobei im Buch viele Dinge vorkommen, die ich gesehen und gehört habe. Aber ich bin natürlich im Umgang mit diesen Fakten und wie ich sie zu einer Geschichte zusammenfüge, freier. Entsprechend habe ich diese Welt so gebaut und bin glücklich darüber, dass es diese Freiheit in der Literatur gibt."
"Wie wenig sie ihre Männer kannten!" – So lautet ein häufiger Ausruf im Buch. Die Ehemänner der drei Schwestern sind zwar sehr unterhaltsam und beherrschen wie der Uhrmacher Edward Kunststücke, aber sie haben auch ziemliche Macken. Edward trinkt und bringt den gemeinsamen Besitz durch, der charismatische Bildhauer, Ildas Gatte, hat eine zweite heimliche Familie. Trudas Mann Jan wird in der stalinistischen Ära verhaftet. Ohnehin hätte sie lieber den Berliner Gustav geheiratet, doch das hatte ihr die Mutter verboten. Im Vergleich zu den vier starken Frauen werden die Männer als schwach und unzuverlässig dargestellt, was die Autorin unumwunden bestätigt.
"Ja, das ist so, und zwar aus mehreren Gründen: Zum einen natürlich aus dem faktischen Grund, dass der Krieg die männliche Bevölkerung ausgedünnt hatte. In manchen Orten gab es dann kaum mehr Männer, und die Frauen mussten zusehen, wie sie das Leben wieder aufbauen. Und die Männer im Buch haben auch mit ihren eigenen Traumata zu kämpfen, die man noch weiter hätte ausarbeiten können. Aber mir ist es darum gegangen, zu beschreiben, wie die Gefühle zurückkehren und die Figuren sie wieder zulassen – es ist eine Geschichte der wiederentdeckten Empfindsamkeit. Und das konnte ich gut an diesen Frauen zeigen und wollte es eben bei diesem Mikrokosmos belassen und nicht noch Männer hinzufügen, die diese Geschichte ausgeweitet und eventuell verwässert hätten."
Geschichte aus weiblicher Sicht
Ein Knopf mit einer Perle zieht sich als Dingsymbol durch den Text, den Bernhard Hartmann in ein sehr schönes, geschmeidiges Deutsch gebracht hat. Der Knopf stammt von der Großmutter Otylia und wird sich am Schluss im Fundament eines neuen Hauses wiederfinden, lange nach dem Tod der Protagonistinnen. Mit ihrem Roman "Das Glück der kalten Jahre" schildert Martyna Bunda die jüngste polnische Geschichte dezidiert aus weiblicher Sicht. Damit widersetzt sie sich dem Frauen- und Familienbild der nationalkonservativen Regierung, erschafft aber auch eine Art literarischer Programmmusik, in der der Wille zum Positiven allzu deutlich dominiert.
Martyna Bunda: "Das Glück der kalten Jahre"
Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann
Suhrkamp Verlag, Berlin. 317 Seiten, 24 Euro.