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Marxismus, Sozialismus oder Lafontaineismus

Gerade ist in der berliner Max-Schmeling-Halle der Parteitag der Linken über die Bühne gegangen. Mittels bekannter Klassenkampf-Rhetorik ist es den Parteioberen Lafontaine und Gysi gelungen, das Programm für die Bundestagswahl zu verabschieden.

Von Katrin Michaelsen und Jacqueline Boysen | 21.06.2009
    "Ich bitte Euch, Euch zu setzen, sonst heißt es wieder Aufstand der Linken gegen Lafontaine. Das dürft ihr nicht machen."

    Oskar Lafontaine grinst spitzbübisch, als er am Ende seiner Rede noch einmal zum Mikrofon auf der tiefroten Bühne eilt. Diesen Seitenhieb kann er sich dann doch nicht verkneifen. Im Saal sind viele der insgesamt 500 Delegierten von ihren Plätzen aufgestanden und applaudieren. 75 Minuten lang hat Partei-Chef Lafontaine zu ihnen gesprochen, ohne jedoch dabei auf das Rumoren einzugehen, den Streit der vergangenen Wochen, der sich auch an seiner Person entzündet hat.

    "Er ist sicherlich jemand, der ganz stark im Fokus der Medien steht und auch keine leise Persönlichkeit, da gibt es verschiedene Meinungen dazu, ich denke, dass er sich aber durchaus für die Partei einsetzt, und dass man dann akzeptieren muss, dass Menschen verschieden auftreten und er eben so ist wie er ist ( ... ). Da gibt es schon manchmal Schwierigkeiten, wie der Oskar sozusagen Grabenkämpfe gegenüber der SPD versucht rüberzubringen, sie sind persönliche Entscheidungen und mentale denke ich mal, des Oskars, bezüglich der SPD sehr sehr schwierig, aber ich denke mal irgendwann wird er denn auch mal, ja, wird denn auch zur Vernunft kommen."

    In Berlin, in der Max-Schmeling-Halle, ist zumindest während Oskar Lafontaines Auftritt von den Aufgeregtheiten der letzten Wochen nichts zu spüren. Stattdessen spricht Lafontaine davon, das Arbeitslosengeld zu verlängern, Hartz-IV abzuschaffen, außerdem zehn Euro Mindestlohn zu zahlen, und davon, wie ungerecht das Vermögen nicht nur hierzulande verteilt ist.

    "Die Banken haben die Welt überfallen und gerufen Geld her oder wir vernichten Millionen Arbeitsplätze und verschlechtern die Lebensbedingungen von Milliarden Menschen. Die Regierungen der Welt, ja die Völker dieser Welt wurden von den Banken erpresst und werden noch von den Banken erpresst. Die Verluste werden sozialisiert und die Gewinne sollen weiter privatisiert werden. Dagegen setzt sich die Linke zur Wehr. Wir wollen eine andere Verteilung der Lasten."

    Oskar Lafontaine bringt seine Partei in Stellung, drei Monate vor der Bundestagswahl. Er rechnet nicht nur mit jenen ab, die seiner Meinung nach nicht wirklich links sind. Die Grünen beispielsweise, denen er vorwirft, sie hätten auf dem Balkan und in Afghanistan versagt und ihre ökologische Unschuld verloren. Oskar Lafontaine rechnet auch viel vor und manch einer im Saal sagt hinterher, dass Lafontaine es eigentlich besser kann.

    "Meiner Ansicht nach war die Rede nicht so scharf gesetzt, wie man sie eigentlich gewohnt wäre von ihm. Des weitern finde ich, dass Oskar Lafontaine zu viel Zahlenwerk in seiner Rede verbaut hat, was vielen normalen Mitgliedern eben zu hoch ist ( ... ). Ja ich würde sagen, die war zwar ein bisschen zu lang, aber das war Oskar Lafontaine, das war die Linke. Er hat sehr deutlich gemacht, wo die Probleme liegen, er hat die Finger in die Wunde gelegt und es geht bergauf mit der Linken und das wir keine Mogelpackung sind, sondern dass wir die eigentliche Sozial- Bewegung sind. ( ... ) Ich fand die Rede in weiten Teilen in Ordnung und fand die Rede in bestimmten Teilen sehr schlecht, da kann ich hervorheben, seine Position zu Mindestlohn. ( ... ) Inhaltsreich, alle Themen angesprochen, eine herzerfrischende Rede, ich hoffe, dass das alle gut verstanden haben, deutlich war sie genug. ( ... ) Hat mir sehr gut gefallen, muss ich sagen. Sie war sehr mitreißend. ( ... ) Er hat die Partei gezeigt, wie sie eigentlich momentan ist, und ich fand die Rede sehr gut, ja."

    Von der Reizfigur Lafontaine, von einem Flügelkampf innerhalb der Linken, will die Parteiführung an diesem Wochenende nichts wissen. Sie will mit ihrem Programm für die Bundestagswahl ein klares Signal setzen, aber auch dem Vorwurf entgegentreten, sie habe auf die Wirtschaftskrise keine Antworten. Sie biete statt Lösungen nur parteiinterne Machtkämpfe mit Gräben zwischen den Landesverbänden in Ost und West und zwischen pragmatischen und radikalen Strömungen der Partei. Dabei, sagt die stellvertretende Partei-Chefin Halina Wawzyniak, sollte es zum zweiten Geburtstag der Linken eigentlich mit den Kinderkrankheiten vorbei sein.

    "Ich glaube, dass man ja wirklich auch eine sehr sachliche Debatte darüber führen kann, ob man mit den Buddelförmchen eine Burg bauen kann oder nicht bauen kann. Das Problem ist, wenn der Streit darum geht, wer das Buddelförmchen zuerst besessen hat, statt sich solidarisch das Buddelförmchen zu teilen."

    Alte Arbeiterlieder brachten Linkspartei, PDS und WASG auf ihrem Vereinigungsparteitag vor zwei Jahren nicht zu Gehör. Welche auch? Die Wurzeln der neuen Linken berührten sich zunächst nicht. Der kleinere Partner, die WASG, war aus Protest gegen die Sozial-, Steuer- und Wirtschaftspolitik der rot-grünen Bundesregierung erwachsen. Der mitgliederstärkere Teil, die PDS, stammte aus den fünf neuen Ländern und aus Berlin – geprägt von einer einschneidenden historischen Erfahrung: dem Übergang von der SED zur PDS

    "Das lässt sich auf die eine Formel bringen, die Gorbatschow ausgesprochen hat. Sozialismus ohne Demokratie geht nicht. Mehr Demokratie ist auch mehr Sozialismus."

    Hans Modrow hatte die einstige Staatspartei 1989/1990 durch die weltpolitischen Umwälzungen geführt. Und auch Gregor Gysi wusste durchaus aus eigener Anschauung, wie schwer das Erbe der Diktatur des Proletariats wog.

    Gysi: "Wir versuchen aus der SED heraus eine linke, moderne sozialistische neue Partei zu machen, aber ohne den Versuch zu leugnen, wo wir herkommen. Wir haben in einem ganz schweren Erneuerungsprozess mit Beulen, mit Rückschlägen, versucht, eine andere Partei zu werden. Und ich glaube, dass uns das in ganz beachtlichem Maße auch gelungen ist."

    Dieser Prozess hat der Partei des Demokratischen Sozialismus im Verlaufe der 90er-Jahre noch viele Beulen und Zerreißproben beschert. Regieren oder Opponieren – lautete eine der Kernfragen, an denen die Ost-Partei auf dem Weg in die gesamtdeutsche Wirklichkeit fast zerbrochen wäre. Doch auch die WASG war nicht geschichtslos, als sie sich mit der PDS zusammentat. In ihren Reihen fanden sich enttäuschte Gewerkschafter und einstige Sozialdemokraten – allen voran der Mann, der im Jahr 1999 das Unvorstellbare gewagt und sein Ministeramt sowie den SPD-Vorsitz aufgegeben hatte.

    "Ich wünsche der Partei weiterhin einen guten Weg und eines soll sie nicht vergessen. Das Herz wird noch nicht an der Börse gehandelt, aber es hat einen Standort, es schlägt links."

    Oskar Lafontaines Herz schlug 2005, nach seinem Austritt aus der SPD, für ein gesamtdeutsches linkes Projekt. Gezielt trieb er die Verschmelzung der Anti-Hartz-IV-Bewegung mit den Ost-Sozialisten voran. Deren Protagonisten waren es leid, als Regionalpartei und kommunistische Schmuddelkinder abgestempelt zu werden. Und so erschien ihnen die Vereinigung mit der westdeutschen Protestbewegung verlockend, versprach sie doch die Westausdehnung – und damit eine jüngere Wählerklientel. Bereits bei der Bundestagswahl 2005 konnten die Kandidaten der WASG auf der offenen Liste der Linkspartei-PDS antreten. Fast neun Prozent erreichte die Linkspartei – und den Effekt, dass sich die Fraktion mehrheitlich aus Westdeutschen zusammensetzt

    Nachdem die beiden ungleichen Partner auf ihren Vereinigungsparteitagen beschlossen hatten, künftig Seit an Seit zu schreiten, war es Gregor Gysi, der in gewohnt flapsiger Manier den Aufbruch in eine neue linke Zukunft beschwor

    "Ich weiß, wir haben heute alle ein weinendes und ein lachendes Auge, aber ich sage euch, jetzt müssen wir das weinende Auge schließen und müssen mit dem lachenden Auge in den morgigen Tag und in die Zeit danach gehen. Wisst Ihr was? Wir werden wichtiger, na und?"

    Ganz so locker gingen die Vertreter der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit in das gesamtdeutsche linke Projekt nicht hinein. Sie wussten sehr genau, dass sie als kleinerer Partner in ein Bündnis eintraten. An Selbstbewusstsein aber mangelte es ihren Protagonisten nicht.

    Klaus Ernst: "Das wichtigste was wir einbringen, wir bringen uns ein Kolleginnen und Kollegen als Menschen. Wir sind kritisch, wir sind auch unbequem, wir sind konsequent. Und ich sag auch ein bisschen leiserer, ich glaub auch, wir sind der spannendere Teil der neuen Linken."

    Damit dieser spannendere Teil auch ausreichend repräsentiert werde, und sich bei der innerparteilichen Vergabe von Posten und Pöstchen nicht in Konkurrenz zu den zahlenmäßig stärkeren Ost-Parteimitgliedern begeben musste, wurde den neuen Linksparteimitgliedern aus dem Westen in der Parteisatzung ein besonderer Status eingeräumt: Gemessen an der Stärke ihrer Landesverbände sind sie überrepräsentiert. Freilich fahren sie auch Erfolge ein: Binnen kürzester Frist gelang in Bremen, Hessen, Niedersachsen und Hamburg der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde,

    Gysi: "Es macht eins deutlich, dass das Fünf-Parteien-System in Deutschland damit etabliert ist."

    Doch die Freude über die Wahlerfolge blieb nicht ungetrübt. In die Landtage im Westen zogen Sektierer ein, deren politischer Erfahrungshorizont sich vielfach auf ein jahrzehntelanges Schattendasein in linken und linkesten Nischen beschränkte – es mangelte an Parteidisziplin und politischer Vernunft. Die Reformer aus den ostdeutschen Landesverbänden forderten mehr Realismus im politischen Alltagsgeschäft, aber kaum einer wagt, seinen Unmut so zu artikulieren wie Vordenker André Brie

    "Wenn man nur Protest ausdrücken will, wenn man nur populistisch ist, dann wird diese Partei auch keine Zukunft haben. Und die Fragen, die wir ansprechen, wo wir Protest haben, müssen auch um eindeutig unterscheidbar zu sein auch gegenüber der NPD, die ja auch einen Protest artikuliert und missbraucht, müssen verbunden werden mit realistischen Alternativen."

    Auch der Europaparlamentarier Brie konnte nicht verhindern, dass die Haltung zum Lissabon-Vertrag ungute Schlagzeilen brachte. Auf dem Parteitag zur Europawahl in Essen konnte sich der realpolitische Flügel der Partei nicht durchsetzen, vielmehr wurde abgestraft, wer Politik nicht allein als Destruktion versteht. Die Europaparlamentarierin Sylvia-Yvonne Kaufmann wurde nicht erneut nominiert. Sie hatte im Verfassungskonvent mitgearbeitet – die Linke aber lehnt den Vertrag von Lissabon kategorisch ab.

    Kaufmann: "Ich bin vor 20 Jahren in der Wendezeit auf der Straße gewesen, gegen die SED. Heute in Essen, 20 Jahre nach der Wende und 20 Jahre nach der deutschen Einheit, fällt mir dazu nur das Buch von Wolfgang Leonhardt ein, die Revolution entlässt ihre Kinder."

    Die Bewerbung des Schauspielers Peter Sodann für das Amt des Bundespräsidenten begann für die Linke als Flop. Schon die Begründung für die Kandidatur des populären Tatortkommissars viel nicht eben politisch aus.

    "Ich löse immer jeden morgen auf der Toilette ein Kreuzworträtsel. Weil ich gern morgens zwei Erfolgserlebnisse haben möchte."

    Die bürgerliche Presse, so hieß es postwendend aus der Parteizentrale, schreibe Sodann nieder. In der Bundesversammlung gaben ihm schließlich zwei Wahlmänner aus den anderen Lagern ihre Stimme. Wiederum ein kleiner Erfolg der Linken. Doch dass Sylvia-Yvonne Kaufmann der Linken den Rücken gekehrt hat und inzwischen in die SPD eingetreten ist, das wiegt schwerer – zumal es weitere spektakuläre Austritte aus der 76.000 Mitglieder zählenden Linken gab. Carl Wechselberg aus dem Berliner Abgeordnetenhaus ertrug die inhaltliche Ausrichtung seiner Partei nicht länger:
    "Das Problem ist, mit der Tatsache, dass man nun gesamtdeutsche Linke ist und die WSAG mit dazugekommen ist, man sich verbunden hat, geht man auch eine inhaltliche Ausrichtung ein. ( ... ) Die wiederum hat mich und auch viele andere sehr enttäuscht und da, muss man auch feststellen, haben die realpolitischen Pragmatiker aus dem Osten viele bittere Niederlagen erlitten und gerade im letzten halben Jahr hat sich das auch noch einmal zugespitzt. Heute müssen wir feststellen, dass von dem was politisches Erbe insbesondere der PDS ist, also ein pragmatischer, realpolitischer, auch reformorientierter Zugang zu Politik kaum mehr vorhanden, zumindest nicht mehr mehrheitsfähig in dieser gemeinsamen neuen Partei und in sofern auch für Menschen die Wert auf eine solche Politik legen, wie ich einer bin, eben auch die Frage steht, ob sie hier noch verbleiben können, ob das noch die angemessen politische Plattform für mich und für andere ist."

    Wechselberg hat diese Frage mit Nein beantwortet. Und er kritisiert die Parteiführung. Hatte diese vor der Europa-Wahl die Zielmarke über zehn Prozent gesetzt, so musste sie eine Enttäuschung erleben. 7,5 Prozent erreichte die Linke, immerhin ein Mandat mehr als in der vergangenen Legislaturperiode. Dennoch sieht der Bundestagsabgeordnete Jan Korte Grund zur Selbstkritik

    "Natürlich haben uns diese Austritte, die wir hatten, voll ins Kontor geschlagen. Da braucht man nicht drum herum reden, die mögen einen Grund haben. Ich kann es nicht nachvollziehen, kurz vor den Wahlen so einen Schritt zu gehen, aber gut. Was ich allerdings glaube ist, dass wir mit der radikalen Phrase auf Dauer nichts gewinnen werden."

    Denn nicht zuletzt müsse es darum gehen, die Partei zum attraktiven Bündnispartner zu machen. Koalitionen mit der Linken aber haben bisher nicht zur Profilierung der Partei beigetragen, beobachtet der Parteienforscher Wolfgang Merkel vom Wissenschaftszentrum Berlin:

    "Am besten ist das absehbar in Berlin, wo sie im Grunde keine Rolle spielt, sondern etwas Spielmaterial für den regierenden Bürgermeister ist und mittelfristig wird es eine Annäherung geben. Man könnte sofort mit Gysi und anderen, Lafontaine ist einfach eine verhasste Figur in der deutschen Sozialdemokratie, sozusagen der Verräter und das erschwert Bündnisse."

    Immerhin kann sich Oskar Lafontaine noch an sozialdemokratische Traditionslieder erinnern, wenn es darum geht linke Genossen zu mobilisieren.

    "...und deshalb soll es nicht heißen wenn wir schreiten Seit an Seit, sondern in den nächsten Monaten, wenn wir fighten Seit an Seit, dann wird das auch gelingen."

    Diese Strategie soll nicht nur für die Landtagswahlen im Saarland gelten, sondern auch für die Wahlen in Thüringen, Sachsen und in Brandenburg. Und nicht zuletzt für die Bundestagswahl im Herbst.

    "Wir verweigern uns nicht einer Regierungszusammenarbeit, wir verweigern uns nicht der Zusammenarbeit einer linken Mehrheit im deutschen Bundestag. Es ist die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, die den törichten Beschluss gefasst hat, nicht mit uns zusammenzuarbeiten und damit ihr eigenes Programm in den Mülleimer geworfen hat."

    "Für mich persönlich ist es wichtig, dass die Linke in der Opposition bleibt, denn mit einer guten und starken Linken in der Opposition wird die kommende Bundesregierung, wie sie denn auch so aussieht, sozialer werden müssen. (...) Ich möchte eigentlich schon, dass das Ziel der Partei ist, auch Regierungspartei werden zu wollen in einer Koalition, weil nur dann Politik auch Sinn macht. In dem Moment, wo ich sage, ich möchte in die Opposition, dann muss ich aus meiner Sicht auch nicht mehr für eine Wahl antreten. Und ich glaube, dass ist auch nicht unser Ziel, wir wollen regieren, wir wollen verändern. (...) Ich glaube die Zeit ist noch nicht reif ( ... ) Wir müssen noch viel dazu lernen, wir müssen noch viel Argumente bringen, wir müssen auch ein handfestes Programm bringen, was es ja noch nicht direkt gibt. Ich bin der Meinung, es hat jetzt noch keinen Zweck, wir sollten noch abwarten."

    Regierungsverantwortung oder Fundamentalopposition? Das Pendel schwingt hin und her. Es ist der Fraktions-Chef der Linken Gregor Gysi, der den Delegierten den Spiegel vorhält. Er konfrontiert seine Partei offen mit ihrem inneren Zustand, erklärt ihnen, wie Kompromisse und wie Politik funktionieren und macht ihnen Mut.

    "Der Reiz unserer Partei besteht in unserer Pluralität, und jeder der sie gefährdet, gibt uns eigentlich zumindest teilweise auf. Ich weiß, dass sie es wissen, aber ich sage es trotzdem, allen aus der Gruppe eins, zwei, drei, vier oder fünf, gäbe es nur sie und alle anderen nicht in unserer Partei wären sie gesellschaftspolitisch völlig irrelevant."

    Gregor Gysi will die Partei zusammenhalten. Und das kommt an. Jubelrufe und lang anhaltender Applaus folgen auf seine Rede. Gysi will eine starke Linke und seine Rechnung geht auf. Am Ende verabschiedet der Parteitag dann doch das Programm zur Bundestagswahl. Alles geht durch, so wie es der Vorstand aufgeschrieben hat. Auch ein flächendeckender Mindestlohn von zehn Euro, und Hartz-IV-Regelsatz von 500 Euro. Letzte mögliche Stolpersteine, die vor allem ostdeutsche Politiker pragmatischer und näher an ihrer Realität geregelt haben wollten. Aber auch die andere Seite kommt nicht zum Zuge, viele Anträge der Fundamentalisten werden zum großen Teil abgelehnt. Kein offener Streit, keine Konfrontation.

    "Es ist einfach deutlich geworden, dass wir zusammenstehen und dass wir diese neue gemeinsame Partei brauchen, damit auch die SPD wieder sozialdemokratisch wird. Damit auch die Grünen auch gezwungen werden über ihre eigenen Grundpositionen was Friedenspolitik angeht, mal wieder neu nachdenken müssen. Dass eben Militäreinsätze im Ausland eben nicht zu akzeptieren sind. Und deswegen sind wir an dieser Stelle so der Pfosten, an dem wir die anderen Parteien ein bisschen festbinden wollen und auch im gesellschaftlichen Diskurs nach links bringen wollen."

    Bodo Ramelow, der bei der Landtagswahl in Thüringen als Spitzenkandidat der Linken ins Rennen geht. Niemand ist an diesem Wochenende in der Max-Schmeling-Halle zu Boden gegangen. Und darauf ist auch der ehemalige Partei-Chef Lothar Bisky stolz:

    "Mir ist eine Partei lieber, die sich um jede Einzelheit kümmert, als eine Partei, die alles nur abnickt. Wir alle haben jetzt die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dieses Land sozialer zu gestalten, wir haben uns warmgelaufen, ab in den Wahlkampf, liebe Genossinnen und Genossen."

    Und Gregor Gysi gibt der Parteibasis noch einen Rat mit auf den Weg:

    "Und dann möchte ich euch gerne, wenn ich das dürfte, würde ich das auch machen, eine Verpflichtung auferlegen. Zwei Mal im Jahr müsst ihr zwei Tage miteinander reden. Ihr könnt übereinander herfallen, wie ihr wollt. Das interessiert mich überhaupt nicht. Aber ich sage euch, ihr kommt wesentlich gebessert aus diesen Unterredungen wieder raus, redet miteinander und nicht übereinander."