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Masern-Impfpflicht
Viele Detailfragen noch offen

Wenn Eltern ihr Kind im Kindergarten oder in der Schule anmelden wollen, müssen sie vom 1. März an nachweisen, dass es gegen Masern geimpft ist. Doch einige Kitas und Schulen fühlen sich mit dem Thema Impfpflicht allein gelassen - auch angesichts des bürokratischen Mehraufwands und ungeklärter Fragen.

Von Meret Reh | 29.02.2020
Ein Arzt impft ein Mädchen.
Alle Kinder müssen künftig gegen Masern geimpft werden - aber auch einige Erwachsene fallen unter diese Impfpflicht (picture-alliance / Sven Somion)
Am schwarzen Brett im Eingangsbereich der Kita Mozartkugeln in Köln hängen Zettel mit Telefonnummern, Suchanzeigen und Flohmarkt-Einladungen. Mit der neuen Impfpflicht kommt auf Kita-Leiterin Birte Kleber ganz anderer Papierkram zu. Zwölf Familien haben sich zum Kita-Start im August neu angemeldet. Sorgen mit Impfgegnern hatte Kleber bisher nicht.
"Da wir es von Anfang an transparent gemacht haben und sie es aus den Medien schon wussten, gab es da überhaupt keine Probleme. Und die Stimmung schätze ich hier so ein, dass es nicht in Panik verfallen wird, sondern dass wir eine Elternschaft haben, die dem Folge leisten wird."
Ein Säugling wird geimpft
Masern-Impfpflicht: "Wir hoffen, dass ein klärendes Gespräch ausreichend ist"
Die ab 1. März geltende Masern-Schutzimpfung sei für Schulen, Kitas und die jetzt schon überlasteten Gesundheitsämtereinen erheblichen Zusatzaufwand, sagte Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund im Dlf.
Betroffen vom neuen Masernschutzgesetz sind neben Kitas, Schulen und Tagesmüttern auch Krankenhäuser, Arztpraxen und Unterkünfte für Geflüchtete.
Wer überprüft die Impfbescheinigungen?
Nicht nur die betreuten Kinder müssen je nach Alter ein oder zwei Schutzimpfungen oder eine Masernimmunität nachweisen, sondern auch alle, die in den betroffenen Einrichtungen angestellt und nach 1970 geboren sind. Die Überprüfung von Impfpässen oder ärztlichen Attesten liegt bei den jeweiligen Einrichtungen.
Ilka Hoffmann von der Bildungsgewerkschaft GEW sieht diese Umsetzung kritisch: "Wir haben einen erheblichen Fachkräftemangel. Da ist es schon schwierig das Kerngeschäft, dazu gehört Bildung und Erziehung, wirklich qualitativ abzudecken. Und da finde ich es kurzsichtig und gedankenlos, den Schulen noch weitere administrative Aufgaben aufzudrücken.
Auch fehle dem Personal die medizinische Ausbildung zu prüfen, welche Papiere zulässig seien; zum Beispiel bei ausländischen Impfbescheinigungen. Hoffman will, dass die Gesundheitsämter diese Aufgaben übernehmen - aber auch die sind meist schon überlastet.
Das Foto zeigt Kita-Kinder, die draußen im Matsch spielen.
SPD-Politikerin Dittmar: "In die Kita darf ein ungeimpftes Kind nicht"
Die SPD-Gesundheitspolitikerin Sabine Dittmar hat die vom Bundestag beschlossene Masern-Impfpflicht verteidigt. Alle anderen Maßnahmen hätten nicht zum gewünschten Erfolg geführt, sagte Dittmar im Dlf.
Konflikte mit Impfverweigerern vorprogrammiert
Unsicherheit spürt auch Helmut Dedy, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags. Vor dem großen Tag seien viele Detailfragen noch offen, etwa zu Datenschutz und Haftung. Die Zeit drängt - die Länder müssten jetzt Antworten liefern. Entsprechende Durchführungsverordnungen haben die meisten Bundesländer aber noch nicht vorgelegt. Im Corona-Stress ist damit wohl auch erstmal nicht zu rechnen. Helmut Dedy:
"Bei den Kita-Anmeldeverfahren ist völlig unklar bis jetzt, zu welchem Zeitpunkt das Kind geimpft sein muss. Rechtlich muss es geimpft sein, wenn es in die Kita kommt, aber das Anmeldeverfahren läuft ein halbes Jahr vorher. Also wir haben ne ganze Menge Rechtsfragen, die dürfen wir nicht den Eltern vor die Füße legen, sondern die müssen wir beantworten.
Konflikte wird es ab März wohl auch an Schulen geben, vor allem mit Impfverweigerern. Dort kollidiert die Impfpflicht mit der Schulpflicht. Zur Impfung gezwungen werden solle niemand und vom Unterricht ausgeschlossen werden darf niemand: Schulpflicht geht vor Masernschutz! Die Schulleitungen sind aber aufgefordert, die Fälle ans Gesundheitsamt zu melden – dann drohen Bußgelder bis zu 2.500 Euro. Die Kritik: Eltern könnten sich somit "freikaufen"; die Impfpflicht würde de facto ausgehebelt.
Wer sich nicht impfen will, muss mit Konsequenzen rechnen
GEW-Vorstandsmitglied Ilka Hofmann sieht noch ein anderes Problem: "Ich denke, wenn die Bildungseinrichtungen, zum Beispiel Kindertagesstätten oder Schulen, hier als Behörde auftreten, dann kann das das Vertrauensverhältnis von Kindern und der Bildungseinrichtung in erheblichem Maße zerstören."
Ein Sprecher des Gesundheitsministeriums hält dagegen. Eltern sei es wichtiger darauf vertrauen zu können, dass ihr Kind sich nicht mit Masern ansteckt.
Klarer sind die Konsequenzen bei Impfverweigerern unter den Mitarbeitenden: Wer sich nicht impfen lassen will, muss mit Abmahnung oder Kündigung rechnen. Betroffen sind auch PraktikantInnen und Ehrenamtliche.
Das Gesetz gilt erstmal nur für neu-angemeldete und neu-angestellte. Alle Kinder und Erwachsenen, die zum Start der Reform bereits betreut werden oder tätig sind, haben Zeit bis Juli 2021 den Masernschutz nachzuweisen.