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Mashrou Leila
Texte gegen den Terror

Die libanesische Band Mashrou Leila ist weltweit ein Publikumsmagnet, denn ihre Themen sind universell: Religion und Politik, Terror und Korruption, Gewalt gegen Homosexuelle und Frauen. Mit ihrer engagierten und humorvollen Musik aus arabischer Tradition, Indie-Rock und Pop steht die Band für den aktuellen politischen Song im arabischen Raum.

Von Camilla Hildebrandt | 07.04.2017
    Die libanesische Indie-Rock-Band Mashrou' Leila bei einem Auftritt im französischen Bourges am 26.04.2015
    Politisches Engagement mit Verve: Die libanesische Band Mashrou Leila (AFP / GUILLAUME SOUVANT)
    Musik: "Lil Watan" - Mashrou Leila
    Sie brachten dir die Nationalhymne bei und bläuten dir ein,
    dass es gut ist zu leiden - für die Heimat
    Sie lähmten dich intravenös, sagten deine Ruhigstellung
    sei gut - für die Heimat,
    Lass uns ein bisschen tanzen - sagten sie.
    "Wir haben schon immer das besungen, was wir wollten", sagt die Band Mashrou Leila aus Beirut. In ihren Liedern kritisieren sie den oktroyierten Nationalismus, korrupte Politiker, Gewalt gegen Frauen und das Gesetz gegen so genannte widernatürliche sexuelle Beziehungen: Artikel 534. Sänger Hamed Sinno ist schwul und macht daraus keinen Hehl. Weder im Privatleben, noch in seinen Liedern. Für diese Haltung genießt Mashrou Leila Kultstatus. Was jedoch nie ihre Absicht war, sagt Gitarrist Firas Abou Fakher.
    "Für uns sind das Themen, die in der Kunst schon länger diskutiert werden, als wir überhaupt am Leben sind. Aber die Tatsache, dass sie nicht in der arabischen Musik angesprochen werden, ist sehr seltsam. Dass wir darüber reden, macht uns deswegen aber noch lange nicht außergewöhnlich."
    Musik: "Ala Babu" - Mashrou Leila
    Ich komme zu dir zurück,
    knie nieder, obwohl du mich erwürgst
    Ich vergebe dir,
    gehorche, obwohl du mich versengst
    Sag mir, dass er dich befriedigt, so wie ich es einst tat
    Wenn seine Lippen dorthin gehen, wo meine waren.
    Hast du die meinen genossen?
    Texte wie diese sind für viele junge Araber wegweisend, enthalten sie doch die Hoffnung auf Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben. Die Konzerte sind weltweit notorisch ausverkauft. Als die libanesische Band Mashrou Leila Anfang Mai 2016 ihr erstes Konzert in Deutschland in Berlin per Facebook ankündigte, war es innerhalb von zwei Tagen ausgebucht. Das Publikum – es waren nicht nur Araber, sondern eine junge, multinationale Fangemeinde, klar erkennbar auch viele Homosexuelle - kreischte frenetisch, gut die Hälfte sang lautstark mit.
    "Tonight is a really big deal for us, we really wanted to play in Berlin for such a long time. And the next song is like a Lebanese Romeo and Juliet…"
    Musik: "Fasateen" - Mashrou Leila
    Auf der Bühne gefeiert wie Rockstars - Sänger Hamed wurde schon öfter als Freddy Mercury des Nahen Ostens betitelt - sind sie im Interview eher bescheiden und nachdenklich. Sie wollen nicht hervorgehoben werden als Repräsentanten einer Szene oder Bewegung, sondern einfach ihre Musik machen, eine eklektische Mischung aus Rock-, Pop-, Indie- und Klassik-Anleihen mit mal poetischen, mal schonungslos kritischen Texten. "Wir lassen uns von allem beeinflussen", sagt Hamed, "es gibt noch viel zu lernen".
    Mashrou Leila bedeutet nächtliches Projekt und tatsächlich ist die Band 2008 nach stundenlangen Jamsessions entstanden. Es heißt, sie sei vor allem die erste arabische Band, die es gewagt hätte über Sexualität zu singen, schwule, lesbische, heterosexuelle. Sänger Hamed Sinno sagt dazu trocken: "Stimmt aber nicht!"
    "In alten Beduinen-Songs ging es viel um Sexualität"
    "Wenn du dir die alten Beduinen-Songs anschaust, da ging es sehr viel um Sexualität, auch um Homosexualität, das war nicht ungewöhnlich. Aber heute herrscht diese seltsame Art des Nacherzählens, was arabische Kultur bedeutet. Das Ganze begann mit der Post-Kolonialen Ära. Damals wurde eine 'kollektive Identität' erschaffen, und die stand in unmittelbarer Opposition zu allem, was aus dem Westen kam. Es gab, wie gesagt, eine Art ausselektiertes Verständnis, was arabische Musik überhaupt ist."
    Heute werden diese Songs im Radio nicht mehr gespielt, sagt Hamed. Sie wurden einfach aus dem offiziellen Musikkanon gestrichen.
    "Nochmal zurück zu der Beduinen-Musik, die ist Hardcore, wenn es um Sex geht. Oh mein Gott. Es gibt zum Beispiel diesen Song von einer Frau, da heißt es: ‚Dieser Typ hat die Hand auf mein Kleid gelegt, woraufhin ich ihn einen Idioten nannte und ihm sagte, er solle die Hand doch unter das Kleid legen und lernen, was es da zu tun gebe‘."
    Musik: "Shim el Yasmine" - Mashrou Leila
    Um ihre Songs zu produzieren, kann Mashrou Leila nicht mit staatlicher Unterstützung rechnen, mit Geld aus Kulturfonds oder Sponsoring. Auch die paar großen Plattenlabels, die es im Libanon gibt, bauen vor allem Musiker auf, welche die vermeintliche nationale Identität hochhalten, sagt Hamed.
    "Der Libanon ist dermaßen korrupt, dass es ehrlich gesagt Null Unterstützung für Nichts gibt. Krankenversicherung, Rente, das ist ein Witz. Und im Kultursektor? Die Regierung hat nur ein paar Fonds für bestimmte Projekte, um ein oder zwei Mal im Jahr zu zeigen: Schau, wir haben doch was getan! Da werden dann Projekte unterstützt, die diese seichte, engstirnige Idee vom Nationalstaat haben. Autoren z.B., die den Libanon als einen Ort mit drei Bögen-Häusern beschreiben und den ganzen Märchen-Bullshit, der gar nicht existiert. Natürlich unterstützt die Regierung nicht solche Künstler, die sagen: Fuck the government."
    Die libanesische Kultband Mashrou' Leila
    Die libanesische Kultband Mashrou' Leila (Mashrou' Leila)
    Ihre ersten beiden Alben wurden von unabhängigen Labels produziert. Die Werbung dafür erledigte Facebook - eine pure Notwendigkeit. Ihr drittes Album Raasük entstand durch Crowdfunding, und Ibn El Leil, auf Deutsch: Der Sohn der Nacht, ihre aktuelle CD, hat Mashrou Leila unter eigenem Namen rausgebracht. Alle vier sind Statements gegen den politischen und den alltäglichen Terror. In Rassük, auf Deutsch: Sie bringen dich zum Tanzen, heißt es: "Sie haben dich gejagt und gezähmt, sie zeigten dir dich zu bewegen wie sie."
    Musik: "Rassük" - Mashrou Leila
    Es gab eine Wahl – und du hast getanzt
    Wir waren frei - und du hast getanzt
    Es gab eine Wahl – und du hast getanzt
    Selbstmord - und du hast getanzt
    "Für viele Leute gilt hier das bloße Überleben. Und das bedeutet so unpolitisch und unpolarisierend wie möglich zu sein, um nicht beim System, das uns beherrscht, anzuecken. In dem Song Rassük geht es um die Beziehung jedes Einzelnen zur sozialen Kontrolle. Heidegger sagte aber auch: Du kannst der Gesellschaft nicht entkommen."
    Wurde der Arabische Frühling von Medien gemacht?
    Mashrou Leila wird vor allem wegen ihrer Texte immer wieder als die Band des Arabischen Frühlings bezeichnet. Die Musiker selber empfinden diese Einordnung schlicht als unfair und außerdem politisch problematisch. Schließlich müsse man sich fragen, ob es den Arabischen Frühling überhaupt gegeben habe oder ob er nicht vielmehr von den Medien gemacht wurde?
    "Wir glauben nicht, dass die Rechte der Tunesier viel zu tun haben mit den Rechten, die vorher in Beirut erkämpft wurden oder später in Syrien. Wir reden hier von politisch völlig unterschiedlichen Gemeinschaften und Mikrogemeinschaften, die gegen ihr jeweiliges System gekämpft haben. Das alles zusammenzufügen und zu sagen: Das war der Arabische Frühling und hier ist eine Band aus Beirut, die das Ganze repräsentiert, das hieße auch, alle anderen Stimmen seien es nicht wert gehört zu werden. Wir können nicht für alle sprechen!"
    Musik: "Wa Nueid" - Mashrou Leila
    Bei uns ist es möglich, dass wir den Käfig schütteln,
    zu dem wir geworden sind, um ihn zu zerstören.
    Sag mir: vor was fürchten wir uns?
    Bei uns ist es möglich, dass wir Widerstand leisten,
    damit die Phantasie zugrunde geht, die wir bekämpfen.
    Sag ihnen, dass wir immer noch standhaft sind!
    […]
    Wenn wir den Winter nicht ertragen,
    bringt uns das Schicksal den Frühling.
    Sag ihnen, dass wir immer noch stehen.
    Ihre Musik verspricht gute Laune, tanzbare Stücke, eine Pop-Rock-Indie-Mischung. Und die Texte sind kritisch und wunderbar mehrdeutig, mitunter satirisch. Der Song Djin zum Beispiel, von der aktuellen CD Ibn El Leil, ist ein Lied über die großartigen Partys in Beirut, wie die fünf Musiker sagen, eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Eine Referenz an die römischen Feiern, die Bacchanalien, mit viel Sex und Alkohol. Und die Djin, das sind in der islamischen Vorstellung übersinnliche Wesen, die aus rauchlosem Feuer erschaffen wurden und neben den Menschen die Welt bevölkern. Eine Hommage? "Ja", sagt Hamed, "und zugleich eine Kritik", denn das Nachtleben in Beirut sei kompliziert.
    "Eine große unreflexitierte Selbstaggression"
    "Es reflektiert das Leben am Tag, von dem die Leute nachts loskommen wollen. Die Art, wie dort getrunken wird, zeugt von einer sehr großen, unreflektierten Selbstaggression. Man geht nicht nur aus und trinkt ein Bier, sondern dann geht es auch richtig ab. Das ist auch eine politische Angelegenheit, wie man nachts aufeinander losgeht, Männer schlagen Frauen, in Clubs wird aufeinander geschossen. Tatsache."
    Musik: "Djin" - Mashrou Leila
    Ist Beirut die Partystadt für alle, für Heteros und Homos, kulturbegeistert, modern, so wie sie oft beschrieben wird? Ja und nein. Frauen haben im Libanon wesentlich mehr Rechte und Möglichkeiten als in vielen anderen arabischen Staaten. Sie gelten als sehr offen, sehr modebewusst. Trotzdem ist ihr Status aufgrund der multikonfessionellen Zusammensetzung nicht einheitlich. Das Portal Queer.de meldete Anfang 2017, dass Artikel 534, der sogenannte widernatürliche sexuelle Beziehungen verbietet, praktisch nicht mehr angewendet wird. Aber laut einer Umfrage lehnt nach wie vor 70 Prozent der Bevölkerung Homosexualität als unnatürlich ab.
    "Wenn du in eine Gay-Bar gehst, kannst du festgenommen werden." sagt Hamed Sinno. Wegen der weiter vorhandenen Stigmatisierung leben die meisten Homosexuellen versteckt. "Sie haben uns beigebracht ein Mann zu sein", heißt es in dem Titel "Commandos", "Junge, du wurdest erschossen!"
    Musik: "Maghawir" - Mashrou Leila
    Erstens, Happy Birthday, Schöner
    Zweitens, die Nacht wird lang werden
    Sag deiner Mutter, sie soll sich nicht sorgen,
    der Club ist weit entfernt von Schießereien
    Drittens, wir ziehen uns schwarz an
    und gehen raus in die Nacht.
    und die Jungs werden zu Männern

    "Hier geht es um Genderfragen in allen Facetten. Aber vor allem geht es darum, was Männern beigebracht wird, wie sie sein sollen: militant-aggressiv-maskulin. Du bekommt ganz früh dieses System der Belohnung und Bestrafung beigebracht. Und in diesem Song geht es um zwei Schießereien in Beiruts Clubs, die tatsächlich passiert sind. Das hat mit verletztem männlichen Stolz zu tun, mit maskulinem Hochmut. Deswegen heißt es im Chor: Man brachte uns bei ein Mann zu sein."
    Ein Sieg für freiheitliche Texte von Mashrou Leila
    Mashrou Leila tritt mittlerweile weltweit auf und nimmt kein Blatt vor den Mund. Ganz egal wer versucht, ihnen Steine in den Weg zu legen, wie z.B. die Regierung Jordaniens, die 2016 kurzerhand ihr Konzerte in Amman verbieten wollte und sie als Satanisten beschimpfte. Die Reaktion der enormen Fangemeinde kam über die sozialen Medien, mit dem Hashtag: #WeWantLeilainAmman. Die Regierung nahm das Verbot zurück, leider zu spät. Das Konzert fand nicht statt. Trotzdem war es ein Sieg: für Mashrou Leila, ihre freiheitlichen Texte und die Fans, die dafür kämpften, sie hören zu können.
    Warum sie das machen? Es wäre viel schwieriger den Mund zu halten, sagen die fünf jungen Männer.
    Musik: "3 Minutes" - Mashrou Leila
    Das aktuelle Album Ibn El Leil - Der Sohn der Nacht - ist das persönlichste, erklärt Sänger Hamed Sinno. Es geht um das Feiern, um männliche Aggressivität und um den Tod von Hameds Vater. Der Song "Icarus" erzählt von den letzten Stunden im Krankenhaus.
    "Der Tod meines Vaters war für mich sehr, sehr bewegend, intellektuell, emotional, geistig. Das hat mich wahnsinnig beschäftigt. Also der Startpunkt für dieses Album war der Kummer am Morgen, aber dann auch das Entfliehen in unser Nachtleben, denn wir gehen alle sehr viel aus. Ich hab ganz bewusst versucht, mein Bewusstsein durch Alkohol zu betäuben."
    Musik: "Icarus" - Mashrou Leila
    "Mein Vater liebte es zu tanzen, er tanzte im Wohnzimmer zu Techno. In diesem Song ‚Icarus‘ geht es um die vielen Maschinen im Krankenhaus, die alle irgendeinen Sound machen. Für mich: wie Musik, und im Lied tanzt er dazu. In Wirklichkeit kam er nicht damit klar, dass er nicht mehr machen konnte, was er wollte."
    "Ich glaube, unser Leben ist recht langweilig", sagen die Musiker der Kultband Mashrou Leila aus Beirut. "Die meiste Zeit sitzen wir im Flugzeug."
    Vielleicht für diese Momente, aber schon am Abend rocken sie die Bühne - in Montreal, New York, Berlin, Casablanca, London. Danach muss ein Foto mit dem jubelnden Publikum im Hintergrund und dem Hinweis auf die Stadt für Facebook gemacht werden; rund 340.000 Fans hat Mashrou Leila dort. Beim Step Music Festival in Dubai, das die Independent Musik Szene aus der Region vorstellt, treten sie im April 2017 auf. Es könnte langweiligeres geben.
    Musik: "Lil Watan" - Mashrou Leila
    Für die Herde bist du gleich
    der Verräter, der gibt preis
    - die Heimat
    Ohne Hoffnung bietest dann
    zum Verkauf die Freiheit an
    - die Heimat
    Man sagt dir:
    Klage nicht mehr, wir tanzen ein bisschen
    Sei nicht mürrisch, wir tanzen ein bisschen.
    Diese Sendung können Sie nach Ausstrahlung sieben Tage online nachhören.